
Abhilfe bei sexuellen Störungen

Erektions- und Ejakulationsstörungen, fehlende Lust oder das Ausbleiben des Orgasmus: Die Liste an sexuellen Funktionsstörungen, die Patienten mit neurologischen Erkrankungen häufig treffen, ist lang. Allzu oft wird das Thema tabuisiert oder es bleibt am Ende eines Termins keine Zeit mehr, um darüber zu sprechen. Am Anfang steht daher immer eine einfühlsame Anamnese, schreiben Dr. Claire Hentzen vom Pariser Universitätsklinikum Hôpital Tenon und Kollegen. Zunächst gilt es herauszufinden, welche Domäne genau beeinträchtigt ist, z.B. erektile Dysfunktion oder verminderte Erregbarkeit. Dabei können auch sekundäre und tertiäre Faktoren eine auslösende Rolle spielen (mehr darüber im ersten Teil).
Die Behandlung richtet sich größtenteils nach etablierten Therapien, wie sie auch in anderen Patientenkollektiven zum Einsatz kommen. In der Therapie der erektilen Dysfunktion etwa sind PDE-5-Inhibitoren das Mittel der ersten Wahl, ihre Wirksamkeit ist auch bei neurologischen Patienten gut belegt. Für einen Erfolg nach Rückenmarksverletzung mit inkompletter Läsion sprechen erhaltene Reflexerektionen. Bei unzureichendem Ansprechen sollten Einflussfaktoren wie zu niedrige Dosis, mangelnde Stimulation und Alkoholkonsum ausgeschlossen werden. Falls die kurze Wirkdauer stört, kann eine Dauertherapie mit Tadalafil für Abhilfe sorgen.
Als Zweitlinientherapie für Patienten mit mangelndem Ansprechen oder Kontraindikationen für PDE-5-Hemmer wird die Injektion Alprostadil in die Corpora cavernosa empfohlen. Auch eine Applikation über die äußere Mündung der Harnröhre ist möglich, ihre Wirkung wurde aber bei neurologischen Erkrankungen bisher nicht belegt.
Vakuum-Erektionshilfen können angeboten werden, wenn eine medikamentöse Therapie wegen bestehender Komorbiditäten oder dem Auftreten schwerwiegender Nebenwirkungen nicht möglich ist. Eine chirurgische Alternative bei Therapieresistenz bietet die Implantation einer Penisprothese. Die neurologische Evidenz beschränkt sich aber auf Männer mit Rückenmarksverletzung, von diesen sind rund 70–80 % langfristig mit dem Implantat zufrieden.
Störungen der Ejakulation sind besonders für neurologische Patienten mit Kinderwunsch relevant. In diesem Fall verbessert eventuell eine Prostatamassage die Emission der Spermien. Eine weitere Option ist die penile Vibrationsstimulation (ventrale Oberfläche, Frenulum). Von der ausgelösten Reflexejakulation profitieren vor allem rückenmarksverletzte Patienten mit einer kompletten Läsion oberhalb von Th10. Bei mangelndem Erfolg hilft eventuell das Sympathomimetikum Midodrin. Auch invasive Interventionen wie die transrektale Elektroejakulation und die testikuläre Spermienaspiration können die Elternschaft ermöglichen.
Zur Behandlung des vorzeitigen Spermienergusses eignet sich zum Beispiel der SSRI Dapoxetin. Empfohlen wird eine Initialdosis von 30 mg ein bis drei Stunden vor dem Geschlechtsverkehr. Bei unzureichendem Effekt ist eine Erhöhung auf 60 mg möglich. PDE-5-Hemmer kommen vor allem für Männer mit begleitender Erektionsstörung in Betracht. Die Kombination beider Wirkprinzipien kann die Erfolgsrate steigern.
Therapeutische Optionen für Frauen mit sexuellen Funktionsstörungen sind derzeit noch rar. Bei rückenmarksverletzten Patientinnen mit perinealem Taubheitsgefühl hilft eventuell die taktile Stimulation erogener Zonen oberhalb des betroffenen Levels (Brustwarzen, Mundhöhle etc.). Auch die Anwendung von Vibratoren und Vakuumpumpen über der Klitoris kann die Erregbarkeit und Orgasmusfähigkeit steigern. Speziell belegt wurde dies für spinale Läsionen und Multiple Sklerose. Eine vibratorische Stimulation der Zervix ist ebenfalls möglich. Sie eignet sich für Frauen mit kompletter Querschnittlähmung und wirkt über eine Aktivierung der vagalen und thorakolumbalen Innervation.
Eine weitere Option ist die Kombination von Beckenbodentraining und intravaginaler elektrischer Stimulation. Sie kann bei Frauen mit erhaltener sakraler Innervation wieder zum Orgasmus verhelfen. Ein ebenfalls häufiges Problem, die trockenheitsbedingte Dyspareunie, lässt sich auch bei neurologischen Patientinnen mit Gleitmitteln bzw. postmenopausal mit Ospemifen oder topischen Östrogenen lindern.
Die Autoren stellen eine Erweiterung des therapeutischen Arsenals in den kommenden Jahren in Aussicht, da aktuell einer Reihe weiterer Methoden zur allgemeinen Behandlung sexueller Dysfunktionen erforscht wird. Für die meisten Verfahren gibt es bis dato jedoch nur eine stark begrenzte Evidenz, das gilt umso mehr im Zusammenhang mit neurogenen Funktionsstörungen. Zu den vielversprechenden Therapieoptionen zählen z.B. der Versuch einer Wiederherstellung von Nerven mithilfe körpereigener Fettstammzellen, die intrakavernöse Injektion von Botulinumtoxin, tiefe Hirnstimulation sowie transkutane elektrische Nervenstimulation etwa des N. tibialis oder des N. dorsalis clitoridis.
Quelle: Hentzen C et al. Lancet Neurol 2022; 21: 551-562; DOI: 10.1016/S1474-4422(22)00036-9
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).