Arteriitis und Polymyalgie sicher erkennen

Dr. Sascha Bock; Foto: Dirima

Polymyalgia Rheumatica kann meist vom Hausarzt behandelt werden, Arteriitis dagegen ist ein akuter Notfall: Oft entscheidet die schnelle Therapie über das Augenlicht.

Eine 57-jährige Frau mit bekannter Migräne klagt über einseitig verschwommenes Sehen, diffuse Kopfschmerzen und muskuläre Beschwerden. Diese Patientin stellt sich nun bei ihrem Hausarzt vor. Der Kollege verordnet ihr Diclofenac gegen die Muskelschmerzen und überweist sie an eine Augenärztin – eine Woche vergeht. Bei der Ärztin klagt die 57-Jährige zusätzlich über Probleme beim Kauen und eine zunehmende Sehverschlechterung. Mit der Verdachtsdiagnose einer Arteriitis temporalis veranlasst die Kollegin eine Biopsie beim Biopsie beim Gefäßchirurgen – wieder vergehen vier Tage.

Jetzt besteht bereits ein rechtsseitiger Sehverlust und eine linksseitige Sehminderung. Der Chirurg kontaktiert deshalb umgehend eine Rheumaklinik. Noch am selben Tag wird dort eine intravenöse Prednisolonbehandlung (200 mg/d) eingeleitet. Im Verlauf erblindet die Patientin jedoch dauerhaft.

Differenzialdiagnosen

zu Arteriitis und PMR

Häufig ohne Entzündungszeichen:
Schulter-Periarthropathie/aktivierte Omarthrose, Hypothyreose, Depression, Fibromyalgie, Paraneoplasien, Plasmozytom, para- oder postinfektiöse Myalgien

Häufig mit Entzündungszeichen: bakterielle Endokarditis, Polymyositis, Spätform der rheumatoiden Arthritis (LORA), systemischer Lupus erythematodes, systemische Vaskulitiden, systemische Amyloidose

Sehstörung und Kopfschmerz gelten als Leitsymptome

Mit einem früheren Therapiebeginn hätte man die Erblindung möglicherweise vermeiden können, schreiben Dr. Marc Frerix, Abteilung für Rheumatologie und Klinische Immunologie, Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim, und Kollegen. Die Kopfschmerzen wurden vermutlich aufgrund der bekannten Migräne nicht als „red flag“ erkannt, die Sehstörung als unabhängiges Symptom fehlgedeutet.

Unter den Vaskulitiden sind insbesondere die Arteriitis temporalis und die verwandte Polymyalgia rheumatica (PMR) für Hausärzte und niedergelassene Internisten relevant, betonen die Autoren. Beide Erkrankungen bedürfen einer zeitnahen Behandlung, um schwere Komplikationen zu vermeiden.

Arteriitis und Polymyalgie sind Notfälle!

Klassischerweise zählt die PMR nicht zu den Großgefäßvaskulitiden, doch ca. 15–20 % der Betroffenen entwickeln im Verlauf eine Arteriitis temporalis. Umgekehrt leiden bis zu 50 % der Arteriitis-Patienten an Symptomen einer PMR. Wegen dieser Überlappung empfehlen die Rheumatologen, grundsätzlich beide Krankheiten abzuklären (s. Tabelle).

Im Labor sollten immer sowohl Blutsenkungsgeschwindigkeit als auch CRP bestimmt werden. Denn in bis zu 15 % der Fälle ist nur einer der beiden Werte erhöht. Zum Basislabor zählen außerdem: Blutbild, Blutglukose, Kreatinin, Leberenzyme, Kalzium, alkalische Phosphatase, Urinstatus sowie Rheumafaktor und/oder CCP-Antikörper.

CRP und BSG messen: oft ist nur ein Wert verändert

Anamnese, Klinik und Labor führen meist bereits zur richtigen Diagnose. Ergänzend können Gelenkultraschall, MRT, Doppler-Sonographie oder Biopsie der Temporalarterie eingesetzt werden. Ein negatives Biopsieergebnis schließt eine Gefäßentzündung bei segmentalem Befall jedoch nicht aus.

Ob Vaskulitis oder Polymyalgie, therapeutisch stehen Glukokortikoide an erster Stelle. NSAR – wie eingangs im Fallbeispiel verwendet – lindern die rheumatischen Muskelschmerzen hingegen nicht. Die Dosierung von Prednisolon richtet sich nach dem klinischen Bild: Handelt es sich um eine unkomplizierte Polymyalgie Rheumatica (ohne Arteriitis oder Sehstörung), kann man mit 15–20 mg/d p.o. starten, so die Autoren. Von einer hohen Anfangsdosis habe man sich inzwischen verabschiedet.

Wann sollten Sie zum Fachmann überweisen?


Eine unkomplizierte Polymyalgia rheumatica kann primär vom Hausarzt diagnostiziert, mit Prednisolon behandelt und weiter betreut werden, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:

  • passende Klinik
  • deutlich erhöhte Entzündungszeichen
  • Patientenalter > 65 Jahre
  • keine peripheren Gelenkentzündungen
Andernfalls empfehlen die Autoren eine Überweisung zum Rheumatologen.

Gibt es Hinweise auf eine (begleitende) Arteriitis temporalis, sollte man frühzeitig einen Spezialisten miteinbeziehen – das kann bei Terminengpässen auch ein versierter Angiologe oder Neurologe sein. Findet sich auf die Schnelle kein Fachmann, ist eine Diagnose ex juvantibus möglich.

Arteriitis benötigt hohe Dosen i.v.-Glukokortikoide

Der Therapieeffekt tritt meist nach zwei bis sieben Tagen ein. Bleibt die Wirkung nach einer Woche noch aus, sollte vor einer Dosiseskalation zunächst an mögliche Differenzialdiagnosen gedacht werden (s. Kasten).

Eine Arteriitis temporalis (mit oder ohne PMR) verlangt nach einer höheren Startdosis: Liegt keine Sehstörung vor, genügen 50–60 mg/d p.o., bei Sehstörungen müssen es mindestens 100 mg/d (in manchen Fällen auch 250–1000 mg Methylprednisolon i.v.) sein. Schon bei Verdacht auf eine Vaskulitis gilt es, unverzüglich eine Kortisontherapie einzuleiten. Droht eine Erblindung, erfolgt die sofortige stationäre Einweisung zur i.v. Behandlung.

Methotrexat schützt vor Cortison-Spätfolgen

Im Verlauf wird die Dosis dann langsam heruntergefahren. Eine zu rasche Reduktion kann den Therapieerfolg langfristig gefährden, mahnen die Rheumatologen. Zudem raten sie aufgrund der oft langjährigen Kortisongabe zu einer begleitenden Osteoporoseprophylaxe und einer initialen Knochendichtemessung. Mittlerweile geht der Trend zum frühzeitigen Einsatz von Methotrexat. Vor allem bei Komorbiditäten wie Diabetes, Osteoporose oder schwer einstellbarem Hypertonus ist eine steroidsparende Basistherapie sinnvoll.

Wichtige Aspekte bei Anamnese und klinischer Untersuchung
Polymyalgia rheumatica Arteriitis temporalis

  • Alter mindestens 50 Jahre (meist über 65)
  • symmetrische, starke Schmerzen des Schulter- und/oder Hüftgürtels (nicht zwangsläufig gemeinsam!)
  • Oberarmdruckschmerz, Bizepssehnenentzündung, gelegentlichDruckschmerz über der Bursa trochanterica
  • plötzlicher Beschwerdebeginn, ausgeprägtes Krankheitsgefühl
  • nachts vermehrte Symptomatik, Morgensteifigkeit
  • oft Mobilitätseinschränkungen (passive Beweglichkeit normal)
  • begleitend häufig depressive Verstimmung
  • eventuell subfebrile Temperaturen


  • Alter über 50 Jahre (häufig jünger als 65)
  • akut bis subakut neu auftretende, diffuse Kopfschmerzen (evtl. temporal verstärkt)
  • bei bis zu 40 % der Patienten Sehstörungen
  • Kaubeschwerden 
  • lokaler, meist unilateraler Druckschmerz der A. temporalis (evtl. Verdickung und Pulsation), gelegentlich Hyperalgesie der Kopfhaut
  • ggf. begleitende Allgemeinsymptomatik (Fieber, Abgeschlagenheit, Gewichtsverlust)
  • in bis zu 50 % der Fälle polymyalgieforme Beschwerden

Quelle: Marc Frerix et al., Hessisches Ärzteblatt 2015; 77: 630-635

 

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