Polymyalgie: Endlich wieder Haare kämmen

Die Polymyalgia rheumatica betrifft in der Regel über 50-Jährige (Peak 70–79 Jahre) und zu mehr als zwei Drittel Frauen. Sie beginnt fast immer mit schweren bilateralen Schmerzen und einer erheblichen Steifigkeit im Schultergürtel. Zudem klagen viele über entsprechende Beschwerden in Oberarmen, Nacken, Beckengürtel und Oberschenkeln. Die Beweglichkeit ist oft so stark eingeschränkt, dass sich Betroffene kaum ankleiden oder vom Stuhl aufstehen können. Nächtliche Schmerzen stören potenziell den Schlaf.
Die typischen Symptome entwickeln sich oft innerhalb weniger Tage, eventuell sogar über Nacht. Sie werden häufig von einer ausgeprägten Morgensteifigkeit begleitet, die meist länger als 45–60 Minuten anhält. Auch Allgemeinsymptome wie Fatigue und Gewichtsverlust treten möglicherweise auf, mitunter ist Fieber (≥ 38 °C) das erste Symptom, schreiben der Rheumatologe Professor Dr. Miguel A. González-Gay von der Universidad de Cantabria in Santander und Kollegen.
In der körperlichen Untersuchung dominiert ein nicht spezifisch lokalisierter Schulterschmerz. Außerdem ist meist nur die aktive Beweglichkeit einschränkt, die passive dagegen kaum. Labordiagnostisch zeigt sich ein ausgeprägter Anstieg von BSG und CRP. Bei gemeinsamem Auftreten mit einer Riesenzellarteriitis besteht das Risiko für Ischämien.
Bei Leichtgewichten mit weniger Kortison in den Ring
Inzwischen existieren diverse Klassifikationskriterien. Eine besonders hohe Sensitivität und Spezifität hat nach Einschätzung der spanischen Rheumatologen die Version von ACR und EULAR* (s. Kasten).
Therapeutisch stehen systemische Steroide an erster Stelle, eine Tagesdosis von 12,5–25 mg Prednisolon führt meist zu einer raschen Besserung. Allerdings scheint auch das Gewicht eine Rolle zu spielen: Patienten > 80 kg ohne erhöhtes Nebenwirkungsrisiko wie Diabetes oder Osteoporose können mit 20–25 mg/d beginnen, so die Autoren. Für Leichtgewichte (< 60 kg) mit Risikofaktoren bevorzugen sie eine Startdosis von 12,5–15 mg/d.
ACR/EULAR-Kriterien
- Morgensteifigkeit > 45 Minuten (2 Punkte)
- Hüftschmerz oder eingeschränkte Beweglichkeit (1 Punkt)
- keine Rheumafaktoren oder Antikörper gg. zitrullinierte Proteine (2 Punkte)
- andere Gelenkmanifestationen fehlen (1 Punkt)
- Sono: an mindestens einer Schulter subdeltoidale Bursitis, Bizeps-Tenosynovitis oder glenohumerale Synovitis und an mindestens einem Hüftgelenk Synovitis oder trochantäre Bursitis (1 Punkt)
- Sono: an beiden Schultern subdeltoidale Bursitis, Bizeps-Tenosynovitis oder glenohumerale Synovitis (1 Punkt)
Allerdings wird eine „komplette“ Remission oft verfehlt. Diese ist definiert als Kombination von 70 % Schmerzlinderung, Morgensteifigkeit < 30 Minuten und Normalisierung der Entzündungsmarker. In einer Kohortenstudie zeigten nach drei Wochen über 55 % kein vollständiges Ansprechen.
Stellenwert der meisten Immunsuppressiva unklar
Üblicherweise behält man die Startdosis für drei bis vier Wochen bei und verringert sie dann Schritt für Schritt. Ausgehend von 15 mg Prednisolon reduzieren die Autoren die Tagesdosis zunächst für zwei bis vier Wochen auf 12,5 mg, dann vier bis sechs Wochen mit 10 mg. In der Folgezeit wird die Dosis – wenn möglich – alle zwei bis drei Monate um 2,5 mg verringert. Alternativ lässt sie sich auch, sobald eine Tagesdosis von 10 mg erreicht ist, jeden Monat um 1 mg reduzieren.Konventionelle Immunsuppressiva kommen für Patienten mit schwerwiegenden Steroidnebenwirkungen in Betracht oder für Personen, die wegen eines Rezidivs einer langfristigen Behandlung bedürfen. Zum Kortikoidsparen wird am häufigsten Methotrexat eingesetzt, in Studien erzielte es jedoch unterschiedliche Ergebnisse. Der Stellenwert von Azathioprin und des Anti-IL6-Antikörpers Tocilizumab bleibt ebenfalls unklar. TNF-alpha-Blocker halten die Rheumatologen nicht für indiziert.
Rückfälle bei zu schneller Dosisreduktion häufig
Häufig kommt es zu Rückfällen, sie ereignen sich vor allem bei zu rascher Steroidreduktion bzw. verfrühtem Absetzen. Therapeutisch genügt oft schon eine Erhöhung der aktuellen Dosis auf das Level vor dem Rezidiv, gefolgt von einem langsamen Ausschleichen (4–8 Wochen) bis zu der Dosis, die während des Relaps eingenommen wurde. Patienten mit mehr als zwei Rückfällen profitieren evtl. von einer Methotrexattherapie.* American College of Rheumatology, European League against Rheumatism
Quelle: González-Gay MA et al. Lancet 2017; 390: 1700–1712
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