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Arzneimittel mit nicht-medikamentösen Verfahren kombinieren

Was die Akuttherapie der Migräne angeht, hat sich in der aktualisierten Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) nicht viel geändert, berichtete Professor Dr. Hans-Christoph Diener, Universität Duisburg-Essen. NSAR und Analgetika bilden die erste Therapielinie, Triptane die zweite.
Für die dritte Linie, die etwa 20 % der Patienten benötigen, stehen theoretisch zwei weitere Wirkstoffklassen zur Verfügung: die den CGRP-Rezeptor blockierenden Gepante, von denen Rimegepant in Europa bereits zugelassen ist, und die den 5-HT1F-Rezeptor aktivierenden Ditane mit Lasmiditan als zugelassenem Wirkstoff. Beide sind allerdings noch nicht eingeführt; ob und wann das geschehen wird, steht in den Sternen.
Gepante scheinen in direkten Vergleichen zufolge etwas schwächer wirksam zu sein als Triptane, zeichnen sich aber durch eine exzellente Verträglichkeit aus. Wie die Ditane verursachen sie keine Vasokonstriktion und könnten somit auch Patienten verordnet werden, bei denen Triptane z. B. wegen einer koronaren Herzkrankheit kontraindiziert sind. Lasmiditan hat allerdings den Pferdefuß, dass es beträchtliche zentralnervöse Akutnebenwirkungen wie Müdigkeit und Schwindel auslösen kann. Patienten dürfen deshalb acht Stunden nach Einnahme der Substanz weder Auto fahren noch Maschinen bedienen.
Abgesehen vom Markteinführungstermin gibt es weitere offene Fragen: Für welche Patienten eignen sich die Neuen besonders gut? Wie ist die Wirksamkeit bei Patienten mit Kontraindikationen gegen Triptane und bei Nonrespondern auf Triptane? Und nicht zuletzt, wie teuer sind sie? „In den USA kostet eine Tablette Lasmiditan oder Rimegepant 100 Dollar“, so Prof. Diener. „Sie können sich vorstellen, was für einen Herzkasper das beim Gemeinsamen Bundesausschuss auslösen wird, wenn für die Behandlung einer einzigen Migräneattacke 100 Euro fällig werden sollen.“ In der Leitlinie stehen beide Wirkstoffe zwar bereits als Drittlinientherapie drin. Ob sich das halten lässt, sollte der G-BA die Erstattung ablehnen, bleibt abzuwarten.
In der Migräneprophylaxe ist kürzlich ein weiterer CGRP-Antikörper hinzugekommen, das alle drei Monate intravenös zu applizierende Eptinezumab. Die Antikörper nehmen sich laut Prof. Diener in Sachen Wirksamkeit alle nichts, weshalb Vergleichsstudien zwischen ihnen sinnlos wären. Einen Unterschied gibt es aber: Erenumab hat auf Grundlage der HERMES-Studie vom G-BA einen beträchtlichen Zusatznutzen zugesprochen bekommen und ist jetzt ohne Vortherapie erstattungsfähig. Nach einer erfolglosen Vortherapie zählt es sogar als Praxisbesonderheit und fällt daher nicht unter das Budget.
Für alle anderen CGRP-Antikörper muss ein Patient mit episodischer Migräne mindestens vier Vortherapien durchlaufen haben, bei chronischer Migräne sogar fünf – da kommt nämlich noch Botox dazu. „Das ist ein ziemlicher Albtraum, wenn Sie eine chronische Migräne haben mit 24 Kopfschmerztagen im Monat und fünf Therapien absolvieren müssen, bevor Sie einen Antikörper bekommen“, sagte der Kopfschmerzexperte. Nach etwa einem Jahr Prophylaxe sollte ein Auslassversuch klären, ob der Patient die Therapie noch braucht.
Eines war den Leitlinienautoren ganz wichtig: „Die medikamentöse Migräneprophylaxe funktioniert nur, wenn sie mit nicht-medikamentösen Maßnahmen kombiniert wird“, betonte Prof. Diener. „Da gibt es eine Vielzahl von Methoden, die alle wissenschaftlich sehr gut belegt sind.“ Regelmäßiger Ausdauersport steht ganz oben auf der Liste, gefolgt von Stressbewältigung, Entspannungsverfahren und Verhaltenstherapie. Solche Verfahren sind vergleichbar effektiv wie die konventionelle medikamentöse Prophylaxe und können an deren Stelle zum Einsatz kommen. Eine Alternative zu CGRP-Antikörpern sind sie nicht. Der Nachteil der nicht-medikamentösen Verfahren ist, dass es Zeit braucht, sie dem Patienten zu vermitteln. Das muss der Arzt jedoch nicht selbst tun, spezialisierte Kopfschmerz-Nurses können übernehmen.
Schließlich widmet sich die Leitlinie noch den Themen Ernährung und digitale Unterstützung. „Die Rolle von Diäten wird hoffnungslos überschätzt. Es gibt ganz wenig, das vielleicht funktionieren könnte,“ erklärte Prof. Diener. Die Leitlinie führt explizit zuckerarme, fettarme und ketogene Diät als möglicherweise wirksam auf. Dagegen haben sich Apps tatsächlich als hilfreich und sinnvoll erwiesen, wobei natürlich nicht jede App gleich gut ist. Zurzeit läuft eine DFG-geförderte Studie, die prüfen soll, ob Apps mit Tagebuchfunktion in der Lage sind, Chronifizierung und Medikamentenübergebrauch zu verhindern.
Quelle: Pressekonferenz zur Neurowoche 2022
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