Arzneimittel und Nierensteine

Dr. Peter Schweikert-Wehner

Nierensteine sind eine der häufigsten Diagnosen in urologischen Kliniken. Nierensteine sind eine der häufigsten Diagnosen in urologischen Kliniken. © New Africa – stock.adobe.com

Proteasehemmer, Antibiotika und Antiepileptika haben eine urologische Gemeinsamkeit: Sie können, ebenso wie einige Diuretika, die Bildung von Harnsteinen begünstigen. Dabei spielen vielfältige Faktoren eine Rolle; nicht immer kommt es zur Konkrementbildung. Erhebliche Mengen an Kristallen können von Gesunden ausgeschieden werden.

Die Urolithiasis war im Jahr 2006 nach den Erkrankungen der Prostata die zweithäufigste Diagnose in urologischen Kliniken Deutschlands. Eine bundesweite Erhebung von Hesse und Kollegen, die 2003 in European Urology publiziert wurde, zeigt folgende Entwicklung: Von 1979 bis 2001 gab es eine Vervielfachung von Inzidenz (von 0,54 % auf 1,47 %) und Prävalenz (von 4,0 % auf 4,7 %). 50 % der Patienten müssen mit mindestens einem Steinrezidiv, 10 % bis 20 % der Patienten mit mindestens drei Rezidivepisoden rechnen. In den USA wird eine Prävalenz von circa 12 % beobachtet, somit ist die Urolithiasis eine Volkskrankheit. In den Schwellenländern nimmt die Häufigkeit des wohlstandbedingten Harnsteinleidens zu, das unter anderem durch kalorienreiche Ernährung bei geringer physischer Aktivität verursacht wird. Harnsteine sind polykristalline Konkremente in den Harnwegen und gehören, wie Knochen und Zähne, zu den Biomineralisaten. 

Während die nicht pathologischen Produkte der Biomineralisation, gebildet in genetisch festgelegten Prozessen, einen hohen biologischen Ordnungsgrad aufweisen, wird die Bildung von Harnsteinen von pathologischanatomischen und physikalisch-chemischen Faktoren bestimmt. Circa 97 % der Harnsteine werden in den Nieren und Harnleitern sowie 3 % in der Harnblase und Harnröhre gefunden. Ihre Größe reicht von Mikrometern bis zu mehreren Zentimetern. Sie bleiben oft lange unbemerkt, bevor sie, häufig unter heftigen Schmerzen, über Röntgenbilder oder mittels Ultraschall entdeckt werden (1 und 2). Grundsätzlich wird zwischen freier und fixierter Steinbildung unterschieden. Zur freien Kristallisation im Nierenbecken- Kelchsystem kommt es prinzipiell bei Überschreitung des Löslichkeitsprodukts lithogener Substanzen wie Calciumsalzen, Oxalaten oder Harnsäure. 

Inhibitorische Substanzen wie Citrate oder Magnesiumionen können eine Kristallisation verhindern. Bis zu 90 % der Steine bestehen aus Calciumoxalatmono- oder -dihydrat und bis zu 10 % aus Harnsäurekomponenten. Daneben gibt es Steine aus Carbonaten, Phosphaten, Xanthin und anderen Substanzen. Allerdings scheiden auch gesunde Menschen eine erhebliche Menge an Kristallen aus, sodass ein Überschreiten des Löslichkeitsproduktes allein eine Steinbildung nicht ausreichend erklärt (2 und 3). 

Ursache und Therapie

Nierensteine gehören heute zu den häufigsten urologischen Diagnosen. Neben Wohlstandsfaktoren können auch Arzneimittel wie Proteasehemmer, Antibiotika und andere Medikamente einen Beitrag zur Steinbildung darstellen. Als Therapeutika eignen sich Alpha-Blocker, Nifedipin und nicht steroidale Antirheumatika. Allopurinol kann zur Auflösung und Verhütung von Nierensteinen eingesetzt werden. Thiaziddiuretika können das Risiko eines Rezidivs von Kompositsteinen vermindern.

Lithogene Arzneimittel

Die medikamenteninduzierte Nephrolithiasis kann klassifiziert werden auf der Grundlage der Pathophysiologie in: a) arzneimittelhaltige Nephrolithiasis, bei der der Urin mit dem Medikament oder einer seiner Metaboliten selbst übersättigt wird, womit Wirkstoff oder Metaboliten ein Bestandteil des Steines sind, und b) die metabolisch medikamenteninduzierte Nephrolithiasis, bei der das Medikament oder seine Metaboliten metabolische Veränderungen im Urin verursachen, die zur Steinbildung beitragen, während die Arzneistoffe oder deren Metaboliten nicht Bestandteil des Steins sind. Diese Art des medikamenteninduzierten Nierensteins ist schwieriger zu diagnostizieren, da die Steine eine ähnliche Zusammensetzung wie gewöhnliche Steine haben (5). Die Gesamthäufigkeit der medikamenteninduzierten Urolithiasis beträgt weniger als 0,5 %. 

Es können fünf klinische Erscheinungsformen einer medikamenteninduzierten Kristallisation in den Nieren auftreten: asymptomatische Kristallurie, symptomatische Kristallurie, steinerne Passagen, obstruktive Uropathie und tubulointerstitielle Nephritis. Proteasehemmer zur HIV-Behandlung verursachen gelegentlich (0,1 bis 1 % bei Atazanavir und Darunavir) bis sehr häufig (> 10 % bei Indinavir) eine Kristallisation im Harntrakt. Indinavir kann sogar bei bis zu 50 % der Patienten zu Kristallurie und Nierensteinbildung führen, gelegentlich auch zum akuten Nierenversagen, das durch eine obstruktive Uropathie oder tubulointerstitielle Nephritis verursacht wird. Die Indinavirkristallisation beginnt etwa bei einer Urinkonzentration von 100 mg/l, was einer Plasmakonzentration von 6,4 mg/l entspricht (maximale Plasmakonzentration bei 400 – 800 mg: 8 – 10 mg/l). Andere lithogene Arzneimittel aus der Gruppe der Antibiotika sind: Sulfonamide, Ceftriaxon und Triamteren. Bei Amoxicillin wurde eine Kristallurie in sehr seltenen Fällen gefunden, wodurch es zu einer akuten Nierenschädigung kommen kann. Risikofaktoren für Nierensteine durch Amoxicillin sind die parenterale Therapie, verminderte Harnausscheidung des behandelten Patienten sowie höhere Dosierungen (6, 7 und 8). Nierensteinfördernde Diuretika sind Furosemid und Acetazolamid. 

Des Weiteren können Nierensteine durch die Antiepileptika Zonesamid, Topiramat (beide gelegentlich 0,1 bis 1 %) und Felbamat gefördert werden. Die Urolithiasis ist bei der Gabe des Gichtmittels Allopurinol extrem selten. Eine Chemo- oder Glucocorticoidtherapie kann diese Inzidenz jedoch erhöhen (5). Als Gegenmaßnahme kann eine verbesserte spontane Ausscheidungsrate durch die supportive medikamentöse Therapie über Alpha-Blocker (Tamsulosin, Silodosin, Doxazosin, Terazosin und Alfuzosin) und den Calciumantagonisten Nifedipin erfolgen. Nicht steroidale Antiphlogistika, Paracetamol und Metamizol sind den Opioiden in der Behandlung der akuten Nierenkolik überlegen. Diclofenac ist unter anderem kontraindiziert bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz (4). 

Können Medikamente das Nierensteinrisiko senken? 

Thiaziddiuretika, wie Hydrochlorothiazid, Chlorthalidon und Indepamid können auf zwei Arten Calciumoxalatsteine reduzieren: Sie senken die Calciumphosphat-Übersättigung und behindern damit die Bildung des Calciumphosphatfilms, der für das übermäßige Wachstum von Calciumoxalat auf Plaque benötigt wird. Zudem wird diese Oxalatübersättigung selbst durch Thiazide reduziert. Allopurinol kann auch die Bildung von Calciumoxalatsteinen reduzieren, indem es die Harnsäurekonzentration im Urin senkt, denn zwischen Harnsäure- und Calciumoxalatsteinen gibt es das Phänomen der Kokristallisation. 

Fink und Kollegen durchsuchten MEDLINE, Cochrane und andere Datenbanken bis September 2012 sowie Übersichtsarbeiten auf randomisierte, kontrollierte Studien. Bei Patienten mit mehreren Calciumsteinen in der Vergangenheit, bei denen die meisten eine erhöhte Flüssigkeitsaufnahme erhielten, zeigte sich, dass Thiazide (RR: 0,52; KI: 0,39 bis 0,69) und Allopurinol (RR: 0,59; KI: 0,42 bis 0,84) jeweils das Risiko eines Rezidivs von Kompositsteinen im Vergleich zu Placebo oder Kontrolle weiter reduzierten, wobei der Nutzen von Allopurinol sich auf Patienten mit Hyperurikämie oder Hyperurikosurie zu beschränken schien (9). Eine Datenbankrecherche von Li und Kollegen aus dem Jahr 2020 identifizierte acht randomisierte klinische Studien mit primärem Endpunkt der Inzidenz von Nierensteinen. Diese Untersuchung kam zu einem ähnlichen Ergebnis für Thiazide. Demnach betrug die Risikoreduktion RR: 0,44 (KI: 0,33 bis 0,58) gegenüber Placebo oder unbehandelten Gruppen. Daneben wurde eine moderate Abnahme des 24-stündigen Calciumspiegels im Urin bei Patienten mit rezidivierenden Nierensteinen gefunden (10). 

Eine aktuelle Studie aus den USA, die die Wirkung von Hydrochlorothiazid bei 416 Patienten im Median 2,9 Jahre beobachtete, zeigte jedoch, dass sich die Inzidenz des Rezidivs bei Patienten, die einmal täglich HCT in einer Dosis von 12,5 mg, 25 mg oder 50 mg oder einmal täglich Placebo erhielten, nicht wesentlich unterschied (11). In einer Pilotstudie nahmen jeweils vier gesunde Erwachsene über vier Wochen entweder 25 mg/d Hydrochlorothiazid oder 2,5 mg/d Indapamid (8 Probanden). Sie wurden zu Studienbeginn und an den Tagen 7, 14 und 28 untersucht. Hiernach hatte Indapamid über die Analyse der Nierensteinkomponenten im Harn eine stärkere protektive Wirkung gegen die Bildung von Calcium- Nierensteinen als HCT (12).

Quelle: Nierenarzt/Nierenärztin 4/2023

1. C. Fisang et. al.: Urolithiasis – interdisziplinäre Herausforderung in Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe, Deutsches Ärzteblatt, 112, S. 83–91, 2015
2. A. Hesse et al.: Study on the Prevalence and Incidence of Urolithiasis in Germany Comparing the Years 1979 vs. 2000, 44(6), S. 709–713, 2003
3. B. Finlayson: Physicochemical aspects of urolithiasis, Kidney International, 13(5):344–60, 1978
4. S2k-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Metaphylaxe der Urolithiasis – Aktualisierung 2018, Arbeitskreis Harnsteine der Akademie der Deutschen Urologen, Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V., 2019
5. M. Ch. Sighinolfi et al.: Drug‑Induced Urolithiasis in Pediatric Patients, Pediatric Drugs, 21(5), S. 323–344, 2019
6. Fachinformation: Amoxicillin ABZ, Stand 04.2023
7. H. Izzedine et al.: HIV medication-based urolithiasis, Clinical Kidney Journal, V. 7, I. 2, S. 121–126, 2014
8. B. Hess : Drug-induced urolithiasis, Current Opinion in Urology 8(4); S. 331–334, 1998
9. H. A. Fink et al.: Medical management to prevent recurrent nephrolithiasis in adults: a systematic review for an American College of Physicians Clinical Guideline, Annals of Internal Medicine, 158(7); S. 535–43, 2013
10. D.-F. Li: Use of thiazide diuretics for the prevention of recurrent kidney calculi: a systematic review and meta-analysis, Journal of Translational Medicine, 18 (1), S. 106, 2020
11. N. A. Dhayat et al.: Hydrochlorothiazide and Prevention of Kidney-Stone Recurrence, New England Journal of Medicine, 2;388(9); S. 781–791, 2023
12. J. C. Morley: Effect of diuretics on kidney stone-forming risk – an investigation using multiple timed urine collections, African Journal of Nephrology, 25 (1), S. 26–34, 2022

Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Nierenarzt/Nierenärztin 4/2023

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