Bakterien in kolorektalen Karzinomen - Beteiligung an Tumorentstehung?

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Welchen Part haben die humanen Papillomviren in der Pathogenese des Zervixkarzinoms? Für die Aufklärung dieser Frage wurde der Medizin-Nobelpreis verliehen. Sind Bakterien wichtiger als bisher angenommen?

Forscher haben nun einen Keim identifiziert, der möglicherweise eine Rolle beim kolorektalen Karzinom spielt. In den letzten Jahren liegt der Fokus in der onkologischen Grundlagenforschung auch auf dem Microenvironment von Tumoren.


Neben den genetisch veränderten Krebszellen selbst findet man dort nämlich verschiedene Arten von Stroma- und Immunzellen, denen man heute zum Teil eine wichtige Funktion bei der Entstehung oder Erhaltung des neoplastischen Geschehens zuschreiben.

Kolon: Neunmal mehr Bakterien als körpereigene Zellen

Anwesend ist auch eine Reihe von Mikroorganismen, über die allerdings am wenigsten bekannt ist. Speziell beim Darmkrebs haben sich die Onkologen auch lange Zeit nicht sehr für sie interessiert, gibt es doch etwa im Dickdarm ungefähr neunmal so viele Bakterien wie körpereigene Zellen.


Dennoch ist in den letzten Jahren spekuliert worden, dass bestimmte Mikrobiotika nicht nur prokarzinogen wirken, sondern die gesamte Darmflora so umbilden könnten, dass es zu proinflammatorischen Immunreaktionen und in der Folge zur Transformation von Epithelzellen des Kolons kommen kann.

Kolorektale Karzinome: vor allem Fusobacterium nucleatum vorhanden

In Screening-Untersuchungen an Darmtumoren mit genetischen Methoden fanden nun die nordamerikanischen und spanischen Kollegen im Gewebe Nukleinsäuren, die spezifisch für Fusobakterien sind – im Fall der kanadischen Gruppe wurde speziell die Art Fusobacterium nucleatum identifiziert, während den Wissenschaftlern von der Harvard University und aus Barcelona dort außerdem eine Verarmung von Arten der Stämme Bacteriodetes und Firmicutes auffiel.

F. nucleatum ist ein selten zu findender Anaerobier von lang gestreckter, fadenförmiger Gestalt, der bisher mit Periodontitis und Appendizitis, aber nicht mit Krebs in Verbindung gebracht wurde. Allerdings sind Fusobakterien, die eher seltene Komponenten der Darm-Mikroflora darstellen, bereits aus entzündeter Darmmukosa isoliert und kultiviert worden.

Tumorgewebe - Fusobakterium kann in Epithelzellen eindringen

Aus einer gefrorenen Tumorprobe gelang es auch den kanadischen Kollegen, ein Fusobakterium zu isolieren, das anhand der DNA-Sequenz identifiziert wurde und in der Kultur imstande war, in Epithelzellen einzudringen. Außerdem wurde in 99 Proben von kolorektalen Karzinomen und in 99 Proben von Normalgewebe mithilfe einer quantitativen Polymerasekettenreaktion (qPCR) nach den Fusobakterien gesucht.

Im Tumorgewebe war F. nucleatum hoch signifikant überrepräsentiert (p = 0,0000025): Im Mittel fanden sich dort über 400-mal mehr von diesen Keimen als in gesundem Gewebe; außerdem zeigten sie eine positive Assoziation mit Lymphknotenmetastasen.

Bakterien im Kolonkarzinom: Beteiligung an Tumorentstehung oder Begleitinfektion?

Dass diese bislang vor allem im oralen Bereich gefundenen Keime, die in der normalen Darmflora zumindest keine große Bedeutung haben, in kolorektalen Karzinomen so massiv überrepräsentiert sind, ist überraschend, stellt aber für sich genommen natürlich noch keinen Beweis für eine kausale ätiopathogenetische Rolle dar.


Es könnte sich auch zum Beispiel um eine opportunistische Infektion aufgrund eingeschränkter Abwehrreaktionen im Tumor handeln. Genauso denkbar und sehr attraktiv ist aber die Annahme, dass die Fusobakterien (und natürlich auch andere Keime) über proinflammatorische Mechanismen an der Tumorätiologie beteiligt sein könnten. Um hier weiter zu kommen, schlagen die kanadischen Forscher verschiedene Untersuchungen vor.

Untersuchung der Darmpolypen könnte Aufschluss über Tumorätiologie geben

Interessant wären zum einen die Verhältnisse in Tumoren, die sich im Zusammenhang mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen entwickelt haben. Außerdem würde es sich lohnen, prospektiv Darmpolypen, also die Frühstadien kolorektaler Karzinome, zu untersuchen, in denen sich diese Keime dann auch nachweisen lassen müssten.


In einigen wenigen Proben der kanadischen Studie waren solche Bereiche des Tumors enthalten gewesen und hatten teilweise sehr hohe Fusobakterien-Titer aufgewiesen. Sollte sich ein kausaler Zusammenhang ergeben, so könnte sich daraus möglicherweise eine Vakzine oder aber eine antimikrobielle Therapieoption für kolorektale Tumoren ergeben.

Neue Forschungsansätze zur tumorspezifischen Therapie mittels Bakterien?

Auch im negativen Fall wäre denkbar, dass man die Anwesenheit der Bakterien etwa für Screening-Zwecke nutzen könnte. Spekulieren könnte man außerdem über die Möglichkeit, über solche tumorspezifischen Bakterien Krebstherapien direkt an die Tumorzellen heranzubringen.

Quelle: Castellarin M et al., Genome Res 2011, Kostic AD et al., Genome Res 2011

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