Basalinsulin mit kurzem Wirkfenster wird vor allem sportlich aktiven Menschen fehlen

Antje Thiel

Die Berliner Diabetesberaterin Ulrike Thurm, Vorstandsmitglied der AG Diabetes, Sport & Bewegung sowie Autorin der bekannten Diabetes- und Sportfibel (Verlag MedTriX), ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet. An sie wenden sich Profi-, Hochleistungs- und Freizeitsportler*innen mit Typ-1-Diabetes. Die Berliner Diabetesberaterin Ulrike Thurm, Vorstandsmitglied der AG Diabetes, Sport & Bewegung sowie Autorin der bekannten Diabetes- und Sportfibel (Verlag MedTriX), ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet. An sie wenden sich Profi-, Hochleistungs- und Freizeitsportler*innen mit Typ-1-Diabetes. © Lustre Art Group - stock.adobe.com

Bis Ende 2026 nimmt das Unternehmen Novo Nordisk seine frühen Insuline vom deutschen Markt. Für Insulin detemir (Levemir®) ist sogar schon Ende 2025 Schluss. Das stellt eine kleine Gruppe von Menschen mit Typ-1-Diabetes vor große Probleme, nämlich sportlich und körperlich aktive Personen, die aus guten Gründen eine intensivierte Insulintherapie (ICT) statt einer Pumpen- oder AID-Therapie nutzen und die Flexibilität mit diesem Basalinsulin zu schätzen wissen.

Die Berliner Diabetesberaterin Ulrike Thurm, Vorstandsmitglied der AG Diabetes, Sport & Bewegung sowie Autorin der bekannten Diabetes- und Sportfibel (Verlag MedTriX), ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet. An sie wenden sich Profi-, Hochleistungs- und Freizeitsportler*innen mit Typ-1-Diabetes, die ihre Therapieanpassung in Training und Wettkampf verbessern wollen. Zwar trägt ein Großteil von ihnen Insulinpumpen oder AID-Systeme und kann damit flexibel auf Schwankungen bei der Insulinsensitivität infolge körperlicher Belastung reagieren. Doch manche kommen mit der ICT bestens zurecht und möchten es auch gern dabei belassen. Und einige üben auch Sportarten aus, die sich nicht mit einer Schlauch- oder Patchpumpe vertragen, beispielsweise Kampf- und Kontaktsportarten oder Bouldern

Kurzes Wirkfenster ermöglicht individuelle Anpassung

Ihnen hat Thurm als Basalinsulin bislang in der Regel Levemir empfohlen. Denn aufgrund seines vergleichsweise kurzen Wirkfensters von 12 bis 14 Stunden kann man seine Dosierung bei wechselndem Aktivitätslevel von Tag zu Tag anpassen, ohne Überlappungen zu riskieren. „Wenn ein Sportprofi zu einem Wettkampf ins Ausland fliegt, sitzt er oft 20 Stunden bewegungslos im Flieger und braucht entsprechend mehr Insulin. Doch wenn er am Zielort ankommt, geht es oft direkt ins intensive Training“, erzählt Thurm. Bei einem von ihr betreuten Athleten etwa schwanke der Basalbedarf zwischen 2 x täglich 2 E Levemir in hochaktiven Phasen und 2 x täglich 20 E Levemir in bewegungsarmen Phasen. 

Nicht nur Sportprofis profitieren von Insulin detemir 

Kein anderes auf dem Markt erhältliche Insulin weist ein mit Levemir vergleichbares Wirkprofil auf. Entsprechend gelingen kurzfristige Anpassungen an eine schwankende Insulinempfindlichkeit mit anderen, länger wirksamen Basalinsulinen wie Toujeo, Lantus oder Tresiba nicht, so Thurms Erfahrung. „Das Thema betrifft aber nicht nur Sportprofis, sondern z. B. auch Menschen, die unter der Woche als DHL-Bote täglich 20.000 Schritte laufen und am Wochenende die Beine hochlegen. Oder Büroangestellte, die in der Woche kaum aktiv sind und dafür am Wochenende große Radtouren mit der Familie unternehmen“, meint die Diabetesberaterin. Daneben sei Levemir aber auch als Ausweichinsulin beliebt, wenn Pumpenträger*innen ihre Pumpe einmal für einen Wellness-Tag mit Sauna und Moorpackung ablegen möchten. „Oder wenn Leute feiern gehen und bei einer Party viel Alkohol trinken. Dann kann man mit Levemir nachts die Basaldosis um 50 % reduzieren, um die Blockade in der Leber zu überbrücken.“ 

Mit der vom Hersteller Novo Nordisk Ende September 2024 als Teil einer globalen Initiative angekündigten Anpassung des Insulinangebots entfallen diese Möglichkeiten Ende 2025. Neben Levemir wird auch das NPH-Basalinsulin Protaphane ab 2026 nicht mehr verfügbar sein. Ein weiteres Jahr später werden auch das Humaninsulin Actrapid und das NPH-Mischinsulin Actraphane vom Markt genommen; das schnell wirksame Insulinanalogon Fiasp wiederum wird ab 2027 nicht mehr als vorgefüllte Pumpenpatrone (PumpCart®) erhältlich sein.

„Produktionskapazitäten bestmöglich nutzen“

Novo Nordisk begründet die Bereinigung seines Insulin-Portfolios mit dem drastischen Rückgang von Verordnungen, bei Levemir um 47 % über zehn Jahre. So seien 2024 nur noch 3 % der verordneten Diabetesinjektionstherapien auf Levemir entfallen. „Über die vergangenen Jahre haben wir viele neue Produkte auf den Markt gebracht, ohne dabei ältere und immer weniger nachgefragte Medikamente und Darreichungsformen vom Markt zu nehmen“, erklärt das Unternehmen auf Anfrage. Allerdings beanspruche die Herstellung dieser Produkte in unterschiedlichen Dosierungen bzw. Darreichungsformen hohe Kapazitäten. Gleichzeitig gebe es eine steigende Nachfrage nach den modernen Arzneimitteln von Novo Nordisk. „Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen und langfristig mehr Menschen zuverlässig mit modernen Diabetestherapien versorgen zu können, müssen wir sehr genau abwägen, welche Therapiealternativen wir anbieten und wie wir unsere Produktionskapazitäten bestmöglich nutzen.“ Mit der geplanten Angebotsbereinigung stärke man „auf lange Sicht die Verfügbarkeit und den Einsatz moderner Therapien weltweit“.

Novo Nordisk kann dank der Marktbereinigung bei seinen frühen Insulinen also die Produktionskapazitäten u. a. für den stark nachgefragten GLP1-Rezeptoragonisten Ozempic ausweiten. Hier war es in der Vergangenheit angesichts des Hypes um die „Abnehmspritze“ bekanntlich zu Lieferengpässen gekommen. Wer hingegen im Rahmen einer ICT Levemir als Basalinsulin nutzt, muss sich wohl oder übel auf einen Wechsel zu einem anderen Basalinsulin einstellen. In der Community sorgt das für gemischte Gefühle (s. Zitate).

Empfehlungen der DDG, Expertengruppe des BfArM

Auch die DDG bedauert, dass für die Wahl individueller Behandlungsmöglichkeiten und für die kontinuierliche Sicherstellung langjähriger erfolgreicher Routinebehandlungen das Angebot an Insulinen kleiner wird – und empfiehlt deshalb nachdrücklich, die Umstellung frühzeitig zu planen und geeignete Alternativen zu identifizieren. „Die neuen Insuline müssen sorgfältig unter Kenntnis ihrer spezifischen Eigenschaften ausgewählt und die Dosierung angepasst werden, hierfür ist eine eingehende Beratung notwendig“, sagt DDG Präsident Professor Dr. Andreas Fritsche. 

Auch beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) macht man sich Gedanken zum Prozess: Hier wurde eine klinische Expertengruppe zur Erörterung der Auswirkungen auf die Patientenversorgung – einschließlich Umstellungsoptionen – implementiert, die sich mit den EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) abstimmt. Ungeachtet der Probleme betont das BfArM aber auch: „Grundsätzlich steht es den Unternehmen jedoch frei, entsprechende Portfoliobereinigungen durchzuführen; eine Verpflichtung der Weiterproduktion besteht nicht.“

Für Ulrike Thurm sind das keine zufriedenstellenden Antworten. Die Gruppe der Menschen mit Typ-1-Diabetes, denen Levemir auch im Rahmen einer ICT eine flexible Therapieanpassung an die wechselnde Insulinempfindlichkeit ermöglicht, mag zwar klein sein. Doch was das Levemir-Aus für sie bedeutet, schildert sie mit deutlichen Worten: „Das ist ein Rückschritt in die Steinzeit der Diabetologie, als die Menschen ihr Leben an die Insulintherapie anpassen mussten und nicht umgekehrt die Insulintherapie an ihr Leben.“ 

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