Bei der Jahrestagung der AG Diabetischer Fuß ging es um das DFS als interdisziplinäre Aufgabe

Antje Thiel

Nur wenn alle Fachdisziplinen gemeinsam mit den betroffenen Menschen an einem Strang ziehen, lassen sich nachhaltige Verbesserungen erzielen. Nur wenn alle Fachdisziplinen gemeinsam mit den betroffenen Menschen an einem Strang ziehen, lassen sich nachhaltige Verbesserungen erzielen. © Zulkhairi - stock.adobe.com

Bei der 33. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der DDG kamen Expert*innen aus Medizin, Pflege, Podologie und Orthopädieschuhtechnik zusammen, um aktuelle Entwicklungen in der Versorgung des Diabetischen Fußsyndroms (DFS) zu diskutieren.

Ihr einhelliges Fazit: Nur wenn alle Fachdisziplinen gemeinsam mit den betroffenen Menschen an einem Strang ziehen, lassen sich nachhaltige Verbesserungen erzielen. 

Bei der Wahl ihres Veranstaltungsmottos „Diabetisches Fußsyndrom – Brücken und Wege“ hatten die Diabetesberaterin und Wundassistentin Angelika Deml von der Katholischen Akademie Regensburg und der Diabetologe Dr. Tobias Weißgerber vom Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg, die gemeinsam die Tagungspräsidentschaft innehatten, zum einen die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Versorgung von Menschen mit Diabetischem Fußsyndrom (DFS) im Blick. Gleichzeitig bezogen sie sich auch auf die Stadt Regensburg selbst, die mit ihrer berühmten Steinernen Brücke ein Sinnbild für Verbindung und Austausch darstellt. Dr. Weißgerber eröffnete die Tagung mit den Worten: „Die Brücken, die wir heute errichten, können das Fundament für die Zukunft sein.“ 

Voraussetzung hierfür ist ein lebendiger Austausch auf Augenhöhe: „Menschen zu bilden, bedeutet nicht, ein Gefäß zu füllen, sondern ein Feuer zu entfachen“, zitierte Deml den antiken griechischen Dichter Aristophanes. Um dieses Feuer zu entfachen, hatten sich die Veranstalter einiges einfallen lassen: So wurden alle Referierenden nach ihren Vorträgen auf eine der beiden orangefarbenen „DDG Couches“ gebeten, die mitten auf der Bühne platziert waren. „Dieser Wechsel der kommunikativen Ebene vom Formalen zum entspannten Gespräch auf der Couch kam richtig gut an“, erinnert sich Deml, „die Couch hat Spannung abgebaut und Leute noch einmal anders ins Reden gebracht.“ 

Am ersten Tag im Fokus: translationale Wundforschung

Auch der Gesellschaftsabend mit Blasmusik wurde sehr gut angenommen: „Wir Bayern lieben Feiern und Geselligkeit. Deshalb wissen wir auch, welche Elemente eine Veranstaltung lebendig machen.“ Doch auch fachlich zog das Organisationsteam ein positives Fazit. So betont Dr. Weißgerber: „Wir blicken auf eine Tagung zurück, die viel fachliches Input geboten hat, von physiologischen Prozessen auf molekularer Ebene bis hin zur Bedeutung chronischer Wunden für den individuellen Menschen.“ Mit 250 Teilnehmenden vor Ort und 50 Teilnehmenden online war die Veranstaltung gut besucht.

Ein zentrales Thema des ersten Kongresstages war die translationale Wundforschung, die Professor Dr. ewa Stürmer, Chirurgin am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg, vorstellte. „Translationale Forschung versucht, die Lücke zwischen klinischer Realität und Grundlagenforschung zu schließen. Sie beginnt dort, wo klinische Studien Fragen offenlassen – und dieser Fragen gibt es viele“, erklärte Prof. Stürmer.

Wie sich ihr Forschungszweig klinischen Herausforderungen nähert, erläuterte die Chirurgin am Beispiel von Biofilm (s. Kasten), der häufig in den Wunden von Menschen mit DFS anzutreffen ist: „Kein Biofilm ist wie der andere, Patienten haben sehr unterschiedliche bakterielle Profile.“ Unter diesen Voraussetzungen eine klassische randomisierte Kontrollstudie mit standardisierten Gewebeproben aufzusetzen, sei nahezu unmöglich. In ihrer Forschung sucht Prof. Stürmer daher nach Möglichkeiten, durch die Nutzung humanen Gewebes physiologische Reaktionen zu imitieren, die denen von Wunden bei realen Menschen ähneln.

Ein solcher Ansatz steckt hinter dem UKE-Projekt IhBIOM, einem humanen Biofilm-Modell, das aus den chronischen Wunden von Patient*innen gewonnen und in einer gallertartigen Matrix angereichert wird. Mithilfe von IhBIOM habe man z. B. Cadexomer-basierte Wundauflagen getestet, die dem Biofilm Feuchtigkeit entziehen und damit seine Oberfläche zerstören, sodass antiseptische Substanzen besser eindringen können. Für Prof. Stürmer ist deshalb klar: „Die translationale Wundforschung kann RCT zwar nicht ersetzen, produziert aber neue Ergebnisse zu den Wirkmechanismen von Wundtherapeutika und unterstützt auf diese Weise die Entwicklung neuer Wundtherapien.“

Expertenmeinungen, Reviews – und nur drei Empfehlungen

Denn hier gibt es trotz einer immensen Produktvielfalt und diverser Empfehlungen bislang noch nicht allzu viel harte wissenschaftliche Evidenz, wie Professor Dr. Andreas Maier-Hasselmann, Gefäßchirurg an der Münchener Klinik Bogenhausen, erläuterte. Viele Empfehlungen beruhten in erster Linie auf Expertenmeinungen und systematischen Reviews, „und generell enthalten die Leitlinien mehr Hinweise darauf, was man unterlassen sollte, anstatt darauf, was man tun sollte.“ Durch solide wissenschaftliche Evidenz belegt seien lediglich drei Empfehlungen:

  • Nur die Behandlung der Grunderkrankung verbessert die Situation nachhaltig.
  • Beim DFS muss eine Druckentlastung erfolgen.
  • Bei Fußinfektionen gilt es, frühzeitig (binnen 24 bis 48 Stunden) zu operieren.

Bei allen anderen Themen, die unter Wundprofis diskutiert werden, sei die Evidenzlage dagegen unsicher, betonte Prof. Maier-Hasselmann. Beispielsweise sei zwar unstrittig, dass Wunden vor der weiteren Therapie gereinigt werden sollen –
Biofilm aufbrechen, Wunde reinigen und von avitalem Gewebe, Fremdkörpern, Verunreinigungen, Exsudatresten etc. befreien. Doch insbesondere für das chirurgische Débridement sei die Evidenz sehr spärlich, weil hierzu bis dato nur sehr kleine RCT, nicht-randomisierte Vergleichsstudien und Fallserien vorliegen. „Dennoch sollte ein Débridement durchgeführt werden, wenn die mechanische Wundreinigung allein nicht erfolgreich war“, meinte der Experte. 

Für eine aktive Wundreinigung mit Spüllösungen hingegen gebe es keine evidenzbasierte Empfehlung. „Wir haben auch keine Hinweise darauf, dass Antiseptika bei nicht-infizierten Wunden einen Effekt haben“, betonte er und verwies vielmehr auf das Problem einer verzögerten Wundheilung infolge der zytotoxischen Wirkung von Antiseptika. Auch zur Nutzung physikalischer Verfahren wie Kaltplasma gebe es allenfalls Expertenmeinungen, aber keine ausreichende Evidenz: „Deshalb sagt die International Working Group on the Diabetic Foot (IWGDF) in ihrer Leitlinie, dass man Kaltplasma nicht verwenden sollte. Aktuell haben sich allerdings etliche Hersteller zusammengetan, um den Gemeinsamen Bundesausschuss zu einer Studie zu bewegen – mal schauen, was dabei herauskommt“, berichtete der Experte.

Und sogar die Frage nach der richtigen Wundauflage lässt sich kaum eindeutig beantworten. So sei sich die Expertenwelt zwar einig, dass Wunden zur Heilung ein individuell angepasstes feuchtes Wundmilieu benötigen – allerdings könnten feuchte Bedingungen auch das Wachstum von Bakterien fördern. Prof. Maier-Hasselmann empfahl, sich bei der Wahl der Wundauflage in erster Linie an der Exsudatmenge zu orientieren. „Wenn man bei jedem Verbandswechsel abschätzt, ob die Wundauflage das Exsudat aufnehmen kann oder nicht, braucht man nur ein überschaubares Repertoire an Wundauflagen, die sich ja im Wesentlichen durch ihre Aufnahmefähigkeit unterscheiden.“

Nicht heilende Wunde oft nicht mit dem Selbstbild vereinbar

Im Umgang mit einem DFS gilt es allerdings mehr zu beachten als Leitlinien und Forschungsergebnisse, wie der Vortrag des Diplompädagogen, Psychologen und Soziologen Dr. phil. Peter Hammerschmid, Regensburg, verdeutlichte. Er vermittelte dem Plenum die psychologische Dimension des Lebens mit einer chronischen Wunde. So sei eine nicht heilende Wunde bei den meisten Menschen nicht mit dem eigenen Selbstbild vereinbar. „Wenn so jemand vor Ihnen sitzt, dann können Sie natürlich aus Ihrer fachlichen Perspektive an ihn herantreten. Die Wunde anschauen, den Patienten begleiten wollen.“ Doch allzu oft gebe dieser einem deutlich zu verstehen: „Ich will mich nicht mit meiner Wunde aussöhnen, ich will sie nicht haben, machen Sie sie weg!“ Dr. Hammerschmid stellte daher drei zentrale Prinzipien vor, die dabei helfen sollen, mit diesen Herausforderungen in der Patientenkommunikation umzugehen:

  • Beziehung geht vor Fachkompetenz. „All meine Kompetenz nutzt nichts, wenn jemand nicht gern zu mir kommt. Wenn man bei seinem Gegenüber Widerstand spürt, sollte man die Fachexpertise beiseiteschieben und sagen: ‚Kann es sein, dass wir grad menschlich nicht zusammenkommen?‘“, riet der Psychologe.
  • Körpersprache vor Wortsprache. Man sollte vermeiden, mit Patient*innen zu sprechen und ihnen dabei auf die Füße statt ins Gesicht zu sehen. „Wenn Körper- und Wortsprache nicht übereinstimmen, glauben Menschen zu 80 % dem, was der Körper spricht“, sagte Dr. Hammerschmid. Wenn die Haltung eines Behandlers nicht mit seinen Worten übereinstimme, merke der Patient das sofort. „Nonverbale Kommunikation ist oft entscheidender als das gesprochene Wort.“
  • Eigene innere Haltung. Es ist wichtig, mit einer positiven, empathischen Grundhaltung an die Patient*innen heranzugehen. „Ich muss widerspiegeln, dass ich Freude daran habe, mich mit Menschen zu beschäftigen, die chronische Wunden haben, deren Körperbild gestört ist, die viel Leid erfahren“, schloss Dr. Hammerschmid.

Umgang mit Menschen mit DFS:
hoher Wiedererkennungswert

Sein Vortrag hinterließ einen bleibenden Eindruck: „Als Hammerschmid über diese Prinzipien sprach, herrschte absolute Stille im Saal – es war ein Moment, in dem sich viele Anwesende wiedererkannten“, erinnert sich Tagungspräsidentin Deml.

Quelle: Jahrestagung der AG Diabetischer Fuß

Was genau ist ein Biofilm? 

Unter einem Biofilm versteht man eine strukturierte Gemeinschaft von Mikroben mit genetischer Vielfalt und variabler Genexpression, die Verhaltensweisen und Abwehrmechanismen schafft, die zur Erzeugung einzigartiger (chronischer) Infektionen mit signifikanter Toleranz gegenüber Antiseptika und Antibiotika führen, während sie gleichzeitig vor der Immunität des Wirtes geschützt wird.

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