Bei schwerhörigen älteren Patienten ist Ihre Fingerfertigkeit gefragt

Alle älteren Patienten mit Hördefiziten gleich zum Facharzt schicken, das ist im Alltag weder möglich noch nötig. Viele Ohrprobleme können Sie mit wenigen Handgriffen bereits in der Praxis lösen, versichert ein HNO-Spezialist und erläutert, welche Patienten beim Facharzt besser aufgehoben sind.

Wenn ältere Patienten über eine kürzlich aufgetretene Schwerhörigkeit klagen, sollten Sie als Erstes den Gehörgang inspizieren. Vor allem bei einseitiger Symptomatik verlegt mit hoher Wahrscheinlichkeit Ohrenschmalz den Blick aufs Trommelfell. Ein solcher Pfropf genügt, um eine alltagsrelevante Schwerhörigkeit auszulösen – als besonders gefährdet gelten wegen der mangelnden Drainage Hörgeräte-Träger (regelmäßige Kontrollen!). Allein durch das Entfernen des Cerumen obturans kann sich das Gehör um bis zu 36 dB bessern, erklärte der Allgemein- und HNO-Arzt Dr. Fritz Meyer aus dem bayerischen Oettingen.

Spezielle Instrumente dem Fachmann überlassen

Das Reinigen des "verstopften" Meatus externus ist primär Sache des Hausarztes. Er sollte sich allerdings auf eine professionelle Spülung beschränken und Häkchen und andere Instrumente dem HNO-Kollegen überlassen. Wichtig ist zudem eine gründliche Anamnese zu Vorerkrankungen (Trommelfellperforation) und Medikation (z.B. Blutungsgefahr durch Antikoagulanzien). Schließlich muss der Patient wissen, dass es bei der Spülung in bis zu 1 % zu Verletzungen von Trommelfell oder Gehörgang kommt.

Vor der ärztlichen Spülung setzt Dr. Meyer auf die Mitarbeit seiner Patienten. Sie sollen mit tensidhaltigen Ohrentropfen eine Zerumenolyse durchführen. Dafür stehen verschiedene Fertigpräparationen zur Verfügung. Wegen der geringen Allergierate bevorzugt der Kollege Otowaxol®-Tropfen. Diese soll der Patient drei Tage lang dreimal täglich anwenden, um nach fünf bis zehn Minuten Einwirkzeit mit der mitgelieferten Ohrenspritze das aufgeweichte Zerumen auszuspülen.

Mit der Kombination von Zerumenolyse und ärztlicher Spülung gelingt die Ohrschmalz-Entfernung in mehr als 80 % der Fälle, ohne Anwendung von Zerumenolytika nur in 50 %. Wenn es schneller gehen soll, wie etwa beim Hausbesuch, setzt Dr. Meyer gern Audilyse® Ohrenspray ein. Es enthält als Tensid ebenfalls Natriumdioctylsulfosuccinat, muss aber nur eine Viertelstunde einwirken und hat eine etwas niedrigere Erfolgsrate.

Für die Ohrspülung empfiehlt der Kollege ein Gerät in Form einer Spritzflasche (OtoClear®). Es arbeitet mit Leitungswasser, enthält einen Temperatursensor und wird mit Einwegspritzen bestückt. Unregulierte manuelle Spritzen sollten wegen der Verletzungsgefahr nicht mehr verwendet werden und die Entfernung von Fremdkörpern ist Sache des HNO-Arztes.

Hörtests funktionieren nicht mit der Neuro-Stimmgabel

Wenn die Schwerhörigkeit trotz freiem Gehörgang und gesundem Trommelfell verbleibt, helfen Stimmgabeltests bei der Abklärung. Der Rinne-Versuch vergleicht das Hörvermögen über Luft- und Knochenleitung, der Weber-Versuch prüft die Knochenleitung beider Ohren (s. Tab.). Der Test funktioniert aber nur mit einem 440- oder 512-Hz-Instrument, nicht mit der zur Neuropathie-Diagnostik genutzten 128-Hz-Stimmgabel. Sinnvoll ist zudem eine Kontrolle der Tubenfunktion (s. Kasten).

Eine häufige Ursache für eine akute Schwerhörigkeit im Alter ist der Hörsturz, der sich typischerweise mit positivem Rinne-Versuch auf dem betroffenen Ohr und Lateralisation zur gesunden Seite im Weber-Versuch zeigt – bei regelrechtem Trommelfell und Valsalva. Betroffene haben keine Ohrenschmerzen, aber häufig Tinnitus, Druckgefühl und Drehschwindel sowie ein verändertes Hörempfinden (Scheppern). Sie sollten innerhalb von 24 bis 48 Stunden audiologisch abgeklärt werden (HNO-Arzt). Therapeutisch präferiert Dr. Meyer hoch dosierte Steroidinfusionen (3 Tage jeweils 250 mg Prednisolon), für orale Steroide gibt es keine Evidenz. Eine komplette Erholung gelingt in 30 bis 60 % der Fälle.

Patienten mit "gewöhnlicher" Altersschwerhörigkeit klagen oft darüber, dass sie zwar hören, aber die Inhalte und Zusammenhänge schlecht verstehen – denn neben cochleären Defiziten bestehen vielfach zentrale neurodegenerative Veränderungen. Die Schwerhörigkeit macht sich vor allem bei Hintergrundgeräuschen bemerkbar.

Hörweite lässt sich mit Zahlwörtern ermitteln

Stark gestört ist auch das Verständnis für Flüstersprache. Hinzu kommt vielfach eine verstärkte Empfindlichkeit für laute Töne (z.B. Kindergeschrei). Eine zuverlässige Abschätzung des Hörvermögens gelingt auch in der Praxis. Dabei sitzt der Patient das "Prüfohr" zum Arzt gerichtet, das andere Ohr vertäubt. Der Arzt spricht beginnend mit 4 m Abstand viersilbige Zahlwörter von 21 bis 99 (Freiburger Sprachverständnistest*) in Umgangs- und Flüstersprache. Als Hörweite gilt die Entfernung, aus der der Patient mindestens drei Zahlen richtig nachgesprochen hatte.


Quelle: 50. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

*www.online-zfa.de Heft 3/2014, S. 118-122

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