
Cartoon Praxismanagement
Bestimmte Routineleistungen müssen nicht erbracht werden

Nicht jede verfügbare Behandlung bringt einen echten Nutzen für Patientinnen und Patienten. Im Gegenteil: Zu viele Untersuchungen, Tests und Bildgebungsverfahren können sogar schaden – und zwar nicht nur den Betreffenden, sondern auch Krankenkassen und medizinischem Personal. Das erklärt Prof. Dr. Sebastian Schellong in einer neuen Folge des Podcasts O-Ton Innere Medizin. Er ist medizinischer Direktor des Städtischen Klinikums Dresden.
Um unnötige Behandlungen zu reduzieren, hat sich die DGIM 2015 der internationalen Initiative „Choosing Wisely“ angeschlossen und eine eigene Kommission namens „Klug entscheiden“ gegründet, Prof. Schellong ist ihr Vorsitzender. Das Ziel ist es, fundierte Empfehlungen darüber zu erarbeiten, wann auf bestimmte Leistungen verzichtet werden kann. Die Kommission erweiterte allerdings den Fokus der Initiative, der ursprünglichen auf Überversorgung lag, und bezieht auch Unterversorgung mit ein. Trotzdem sei Überversorgung hierzulande das größere Problem, meint der Experte.
Finanzielle Fehlanreize, Angst und Gewohnheit
Als Paradebeispiel für nicht-evidenzbasierte, oftmals unnötige Leistungen sieht Prof. Schellong hausärztliche Check-Up-Untersuchungen. Sie würden ohne medizinischen Anlass durchgeführt und damit der wissenschaftlichen Grundlage entbehren. „Das einzige Motiv in dieser Partnerschaft zwischen Hausarzt oder Hausärztin und Patientinnen und Patienten ist, dass letztere relativ sicher sein können, einen Tag mit guten Nachrichten zu erwischen. ‚Hören Sie, es ist wieder alles in Ordnung, super.‘ Und der Arzt hat eine Einnahme generiert, weil das vergütet wird, ohne dass die Krankenkassen nachfragen.“
Neben finanziellen Fehlanreizen würden auch Angst und Unsicherheit eine Rolle spielen. Um nichts zu übersehen und keine Haftungsrisiken einzugehen, bestehe die Tendenz, im Zweifel lieber eine Untersuchung mehr als weniger zu machen.
Zudem halten sich laut Prof. Schellong seit Jahrzehnten zahlreiche überholte Routinen, obwohl sie längst als unnötig entlarvt wurden. Ein klassisches Beispiel dafür sei die Karotis-Duplex-Sonografie bei Synkopen. Es erscheine zunächst naheliegend, dass eine kurzzeitige Bewusstlosigkeit mit der Durchblutung des Gehirns zu tun haben könnte. Daher scheine es sinnvoll, die Halsschlagadern mit Ultraschall zu untersuchen. Doch genau das sei ein Trugschluss.
Auf manches bestehen Patientinnen und Patienten
„Es gibt keinen einzigen Krankheitsmechanismus, bei dem eine Engstelle in der Halsschlagader eine kurzzeitige Ohnmacht verursacht. Die Untersuchung bringt in diesem Kontext also keinen diagnostischen Mehrwert.“ Trotzdem werde sie in vielen Kliniken standardmäßig durchgeführt – mit den üblichen Folgen: Personalengpässe, Kosten und unnötige Folgeuntersuchungen, wenn harmlose Veränderungen entdeckt werden, die nichts mit der eigentlichen Symptomatik zu tun haben.
Als weiteren Grund für Überversorgung nennt der Experte die Erwartungen der Patientinnen und Patienten selbst. „Heute will jeder, der Rückenschmerzen hat, ein MRT. Viele sind geradezu beleidigt, wenn sie das nicht bekommen“, so Prof. Schellong. Dabei gebe es in vielen Fällen keinen medizinischen Grund für die Maßnahme. Man müsse den Mut haben, das den Betreffenden zu erklären – und dann dabei bleiben. Die Kommission arbeitet zudem an einem Wartezimmerplakat, mit dem sie auf Überversorgung hinweisen möchte. Auch in Fortbildungen, beim jährlichen Kongress der DGIM in Wiesbaden und in Vorbereitungskursen auf die Facharztprüfung platziert sie das Thema. Doch wie kann die Kommission überhaupt beurteilen, ob eine bestimmte Leistung notwendig ist oder nicht? Das hören Sie in der Podcastfolge.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht
Mehr zum O-Ton Innere Medizin
O-Ton Innere Medizin ist der Podcast für Internist:innen. So vielfältig wie das Fach sind auch die Inhalte. Die Episoden erscheinen alle 14 Tage donnerstags auf den gängigen Podcast-Plattformen.
24 vermeidbare Leistungen
Ob Bildgebung bei Kopfschmerzen, Antibiotika bei Atemwegsinfekten oder Tumormarker-Bestimmung ohne bestehende Krebsdiagnose: Es gibt Leistungen, die häufig abgerechnet werden, obwohl ihr Nutzen fraglich ist. Eine Studie hat nun 24 davon identifiziert (vollständige Liste im Kasten unten).
All diese Leistungen sollten nur mit „größtmöglicher Zurückhaltung“ und nach „besonders kritischer Indikationsstellung“ erfolgen, betont Dr. Dominik von Stillfried, der Vorsitzende des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi). Neben dem Zi wirkten auch die Technische Universität Berlin und die Techniker Krankenkasse an dem Forschungsprojekt mit. Die Studie lief von Mai 2020 bis April 2024. Grundlage waren Abrechnungsdaten der TK.
Von 10,6 Millionen untersuchten Leistungen pro Jahr haben demnach durchschnittlich zwischen 430.000 und 1,1 Millionen Fälle (4 % bis 10,4 %) einen geringen medizinischen Wert. Die direkten Kosten für diese Leistungen würden sich im ambulanten Sektor der TK auf etwa zehn bis 15,5 Millionen Euro jährlich belaufen. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 habe die TK sieben Milliarden Euro für ärztliche Behandlungen ausgegeben, heißt es in der Pressemitteilung.
Ganz oben auf der Liste der oft unnötigen Leistungen steht die Messung der Schilddrüsenhormone fT3/fT4 bei Personen, bei denen eine Unterfunktion bekannt ist. „Der TSH-Wert gilt bereits als aussagekräftiger Indikator“, so Dr. von Stillfried. „Eine zusätzliche Messung von fT3/fT4 liefert keine weiteren diagnostischen Erkenntnisse. Aber ein einzelner fT3- oder fT4-Test kostet 3,70 Euro und mehr. Damit wären insgesamt über 2,15 Millionen Euro allein für diese Laboruntersuchungen vermeidbar gewesen.“
Diese Tests und Behandlungen wurden als meist unnötig identifiziert | |
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aktualisiert am 16.04.2025
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