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CIAP: „Mit dieser Krankheit kommen Sie nicht in den Rollstuhl“

Mit chronischen Missempfindungen und „tauben“ Füßen stellt sich ein 65-Jähriger in der Sprechstunde vor. Die Beschwerden hätten vor ungefähr fünf Jahren begonnen, berichtet der Mann, ansonsten gehe es ihm gut. Bei der der klinisch-neurologischen Untersuchung zeigt sich ein leicht abgeschwächter Achillessehnenreflex, die Sensibilitätsstörungen lassen sich strumpfförmig für so ziemlich alle Qualitäten nachweisen. Zudem finden sich eine Atrophie der kleinen Fußmuskeln, aber keine Paresen. Die Elektroneurographie ergibt reduzierte sensible Aktionspotenziale sowie eine verminderte Nervenleitgeschwindigkeit.
So oder so ähnlich liest sich der Befund eines typischen Patienten mit chronisch idiopathischer axonaler Polyneuropathie (CIAP), erklärte Professor Dr. Claudia Sommer von der Neurologischen Universitätsklinik in Würzburg.
Auch nach Hepatitiden suchen
Zur definitiven Diagnose kommt man nur im Ausschlussverfahren, bei dem die Leitlinie „Diagnostik bei Polyneuropathien“ weiterhilft.¹ Darin steht – wie eigentlich immer – die Anamnese an erster Stelle. Der Patient ist zu fragen nach
- Diabetes mellitus
- Alkoholgebrauch
- Gastrektomie
- Gewichtsverlust? Nachtschweiß? (Malignom!)
- Medikamentenexposition
- Autoimmunerkrankungen
- Infektionen (auch Hepatitis C und HIV)
- familiären Erkrankungen (erbliche Polyneuropathie-Formen)
Im Labor sollte sich das Augenmerk vor allem auf CRP, Elektrolyte sowie auf Leber- und Nierenwerte richten. Ein Differenzialblutbild und ein oraler Glukosetoleranztest gehören ebenfalls zur Diagnostik. Die Leitlinienexperten empfehlen außerdem, TSH, die B-Vitamine 6 und 12 sowie den HbA1c-Wert und den Nüchternblutzucker zu bestimmen. Eventuell wird ein Blutzuckertagesprofil erforderlich.
Steckbrief CIAP
- 10–30 % aller Neuropathie-Fälle
- mehr Männer als Frauen betroffen (3:2)
- sehr langsam progredient
- zu ca. 50 % schon anfangs sensomotorisch, sonst primär sensibel; später auch motorische Symptome
- Beginn meist mit Taubheitsgefühl
- sensible Symptome: Kribbeln, Nadelstiche, Spannungsgefühl, Brennschmerz (30–40 %), sensible Ataxie
- motorische Symptome: Muskelkrämpfe, Schwäche, Atrophien
In zehn Jahren kaum Einbußen der Gehfähigkeit
So zeigte sich in einer Studie mit 127 Betroffenen im Vergleich zu Gesunden innerhalb von zehn Jahren kein signifikanter Verlust in der Gefähigkeit und die Teilnehmer kamen ohne Hilfe aus.² „Man kann den Patienten guten Gewissens sagen: Mit dieser Krankheit kommen Sie nicht in den Rollstuhl“, erklärte Prof. Sommer. Ob und wie sehr die Kranken unter ihren neuropathischen Schmerzen leiden, hat natürlich Einfluss auf ihre Lebensqualität. Mit Pregabalin und Gabapentin oder Antidepressiva wie Duloxetin und Amitriptylin lassen sich die Beschwerden gut lindern. Nach Aussage von Prof. Sommer ist es besonders wichtig, die Selbstwirksamkeit der Betroffenen zu stärken und so ihre Mobilität langfristig aufrechtzuerhalten. Dabei helfen u.a. Bewegungsprogramme und eine spezielle Fußgymnastik. Gut aufgeklärt, müssen die Patienten in der Regel nur noch selten, etwa einmal jährlich zur Kontrolle in die Praxis kommen.Quellen:
¹ Heuß D. et al. Diagnostik bei Polyneuropathien, S1-Leitlinie, 2019, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie.
² Vrancken AF Arch Neurol 2002; 59: 533-540; DOI: 10.1001/archneur.59.4.533
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