COVID-19: Überlebensvorteil für schwer kranke Patienten durch Kortikosteroide

Dr. Angelika Bischoff

RECOVERY-Studie: Mortalität mechanisch beatmeter Patienten um ein Drittel senken. (Agenturfoto) RECOVERY-Studie: Mortalität mechanisch beatmeter Patienten um ein Drittel senken. (Agenturfoto) © iStock/Juanmonino

Entwickeln COVID-19-Patienten ein respiratorisches Distress-Syndrom, kämpft die Medizin mit dem Rücken zur Wand. Dringend gebraucht werden Medikamente, die das Outcome der Patienten bessern können. Die Meta-Analyse der WHO stimmt zuversichtlich, dass Kortikosteroide genau das können. Wie kam es dazu?

Kortikosteroide werden in der Intensivmedizin wegen ihrer antientzündlichen, antifibrotischen und vasokonstriktiven Effekte eingesetzt. Man hofft, so die Outcomes bei akutem respiratorischem Distress-Syndrom (ARDS) und septischem Schock zu verbessern, denn die Substanzen können Patienten rascher aus dem Schock und weg von der maschinellen Beatmung führen.

Doch der Einsatz von Kortikosteroiden in diesen Situationen war nie ganz unumstritten, schreiben Professor Dr. Hallie C. Prescott von der University of Michigan in Ann Abor und Professor Dr. Todd W. Rice von der Vanderbilt University in Nashville. Und als die ersten schweren COVID-19-Fälle auftraten, fehlten sichere Empfehlungen. Sollten SARS-CoV-2-Infizierte mit ARDS, die eine maschinelle Beatmung brauchen, Steroide erhalten? Noch im April 2020 rieten amerikanische Guidelines eher davon ab, es sei denn im Kontext klinischer Studien.

Der Grund: Frühe Beobachtungen aus China zeigten zwar einen potenziellen Überlebensvorteil für COVID-19-Kranke. Doch Studien zur Steroidegabe bei anderen viralen Pneumonien  – durch SARS-Cov-1 oder MERS-Cov – wiesen auf eine verzögerte Virus-Clearance hin. Zusammen mit der Tatsache, dass Steroide einer Meta-Analyse zufolge die Mortalität von Influenza-Pneumonien erhöhten, bestärke das die Befürchtung, die Substanzen könnten die patienteneigene Abwehr gegen SARS-Cov-2 schwächen.

Trotz der großen Zahl kritisch kranker Patienten, die Krankenhäuser und deren Personal am Anfang der Pandemie an ihre Belastungsgrenzen brachte, begann man mit qualitativ hochwertigen Studien, um Nutzen und Risiken von Kortikosteroiden besser beurteilen zu können. Eine Schlüsselrolle dabei nahm die britische RECOVERY-Studie ein. Im Rahmen dieser ließ sich die Mortalität mechanisch beatmeter Patienten durch Dexamethason zusätzlich zur Standardtherapie um ein Drittel senken – Patienten ohne invasive Beatmung profitierten allerdings nicht. Auch wenn potenzielle Nebeneffekte nicht ausgeschlossen werden konnten, die Pressemitteilung im Juni 2020 schlug ein wie eine Bombe.

Als Konsequenz daraus nahmen die Praxisleitlinien eine dringliche Empfehlung für den Einsatz von Kortikosteroiden bei beatmungspflichtigen SARS-CoV-2-Infizierten auf. Gleichzeitig mussten bereits laufende placebokontrollierte Studien u.a. aus ethischen Gründen gestoppt werden, darunter die drei multizentrischen RCTs: REMAP-CAP, CoDEX und CAPE COVID.

REMAP-CAP, CoDEX und CAPE COVID

In der offenen Studie REMAP-CAP erhielten 403 Patienten mit schwerer COVID-19-Infektion, die respiratorische oder kardiovaskuläre Unterstützungssysteme brauchten, entweder Hydrocortison in niedriger Fixdosis für sieben Tage oder schockabhängig dosiert bzw. kein Hydrocortison. Primärer Endpunkt war die Zahl supportfreier Tage nach drei Wochen. In beiden Steroidgruppen deutete sich eine Tendenz an: Die Wahrscheinlichkeit für einen überlegenen Effekt wurde für die Fixdosis mit 93 % und für die schockadaptierte Dosis mit 80 % errechnet. Da die Rekrutierung allerdings abgebrochen werden musste, erfüllte kein Therapieregime die Kriterien für eine statistisch ausreichend große Stichprobe.1 Die ebenfalls offene brasilianische CoDEX-Studie schaffte zumindest einen Nutzennachweis, bevor sie beendet werden musste. 151 der 299 rekrutierten COVID-19-Patienten mit mittelschwerem und schwerem ARDS erhielten zusätzlich zur Standardtherapie über mindestens zehn Tage randomisiert Dexamethason (5 x 20 mg/d, danach 10 mg/d, entweder 5x oder bis zu Verlegung von der Intensiv). Primärer Endpunkt war die Anzahl ventilationsfreier Tage innerhalb von vier Wochen. Mit 6,6 vs. 4,0 Tagen schnitt die Dexamethason-Gruppe signifikant besser (p = 0,04) ab. Da die Rekrutierung vorzeitig gestoppt wurde –geplant waren 350 Patienten –, hatte die CoDEX-Studie statistisch gesehen aber nicht ausreichend Trennschärfe, um einen Effekt auf die Mortalität zu belegen.2 CAPE COVID gilt als bisher einzige placebokontrollierte Doppelblindstudie und wurde an französischen Zentren durchgeführt. Insgesamt konnten allerdings nur 149 statt der geplanten 290 COVID-19-Patienten mit akutem Lungenversagen vor Abbruch rekrutiert werden. Diese erhielten randomisiert niedrig dosiertes Hydrocortison (200 mg/d) oder Placebo. Untersucht wurde die Wahrscheinlichkeit für ein Therapieversagen. 42,1 % der Patienten der Hydrocortison-Gruppe und 50,7 % der Placebo-Gruppe waren innerhalb des Untersuchungszeitraumes von 21 Tagen gestorben oder immer noch auf respiratorischen Support angewiesen – ein mit dieser Stichprobe leider nicht signifikanter Unterschied.3

Quellen: 
1. Writing Committee for the REMAP-CAP Investigators et al. JAMA 2020; DOI: 10.1001/jama.2020.17022
2. Tomazini BM et al. A.a.O.; DOI: 10.1001/jama.2020.17021
3. Dequin PF et al. A.a.O.; DOI: 10.1001/jama.2020.16761

Positive bzw. hoffnungsvolle Signale kamen aus vielen gestoppten Untersuchungen, ausreichende Signifikanz erreichten sie aufgrund der meist zu geringen Stichprobengröße allerdings höchstens für einzelne Endpunkte. Parallel zu den ursprünglichen Studien hatte die WHO das Programm für eine Meta-Analyse aus laufenden Studien initiiert, um die Evidenz der Daten zu verbessern.2 Aus insgesamt sieben geeigneten Arbeiten erstellten Wissenschaftler der REACT-Arbeitsgruppe einen Datensatz basierend auf 1703 Patienten, von denen 678 Steroide erhalten hatten und 1025 Standardtherapie oder Placebo. Fast 60 % des Kollektivs stammte allerdings aus der RECOVERY-Studie. Von den drei oben genannten abgebrochenen Studien wurden nur Patienten einbezogen, die man bis zum 9. Juni 2020 rekrutiert hatte. So ließ sich sicherstellen, dass das Management der Patienten nicht durch die veröffentlichten RECOVERY-Ergebnisse beeinflusst war. Außerdem gingen in die Meta-Analyse noch drei weitere Studien ein. Die gepoolten Daten der WHO-Analyse belegten einen signifikanten Überlebensvorteil durch die Steroidgabe. Innerhalb von 28 Tagen starben in der Steroidgruppe 34 % weniger Patienten als in der Kontrollgruppe (p < 0,001). Anzeichen auf schwere Nebenwirkungen durch die Gabe konnten die Wissenschaftler nicht finden. Als man den RECOVERY-Datensatz testweise ausschloss, änderte das am generellen Ergebnis nichts. Da Dexamethason und Hydrocortison in Subanalysen eine ähnliche Wirksamkeit zeigten, ist von einem Klasseneffekt auszugehen. Dass in den Ergebnissen Patienten mit Sauerstoffgabe, aber ohne invasive mechanische Ventilation, stärker profitierten als invasiv beatmete, sollte man allerdings noch kritisch betrachten, betonen Prof. Prescott und Prof. Rice, da Patienten ohne respiratorischen Support eine kleine Minderheit waren. Auch wenn bei Weitem noch nicht alle klinischen Fragen – optimale Dosis? Dauer? Monitoring? – geklärt sind, Kortikosteroide haben im Routinemanagement kritisch kranker COVID-19-Patienten nach diesen Daten einen festen Platz, schreiben die zwei Experten. Und dies sei eine gute Nachricht, da Kortikosteroide weltweit gut zu beschaffen seien und verhältnismäßig preiswert zur Verfügung stünden.

Quelle: 
1. Prescott HC, Rice TW. JAMA 2020; DOI: 10.1001/jama.2020.16747 
2. WHO Rapid Evidence Appraisal for COVID-19 Therapies (REACT) Working Group et al. A.a.O.; DOI: 10.1001/jama.2020.17023

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RECOVERY-Studie: Mortalität mechanisch beatmeter Patienten um ein Drittel senken. (Agenturfoto) RECOVERY-Studie: Mortalität mechanisch beatmeter Patienten um ein Drittel senken. (Agenturfoto) © iStock/Juanmonino