Damit Sozialangst nicht das Leben ruiniert

Dr. Dorothea Ranft

Die häufig beobachtete soziale Ausgrenzung der Betroffenen scheint eher Folge der Krankheit zu sein als deren Ursache. Die häufig beobachtete soziale Ausgrenzung der Betroffenen scheint eher Folge der Krankheit zu sein als deren Ursache. © kieferpix – stock.adobe.com

Die soziale Angststörung beginnt häufig schon im frühen Erwachsenenalter. Sie birgt ein hohes Risiko, zu chronifi­zieren, und sollte zügig behandelt werden. Die wichtigsten Optionen im Überblick.

Typisch für die soziale Angststörung ist die Furcht, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen und in peinliche oder erniedrigende Situationen zu geraten. In der Folge meiden die Betroffenen potenziell auslösende Situationen in Schule, Ausbildung oder Beruf. Zusätzlich zu den oft sehr belastenden psychischen Beschwerden besteht mindes­tens eines der folgenden körperlichen Symptome:

  • Zittern oder Erröten
  • Übelkeit, Erbrechen
  • Miktions- und Defäkationsdrang

Oft suchen die Patienten wegen Depressionen, Alkoholmissbrauch oder einer anderen psychischen Komorbidität ihren Arzt auf. Das erschwert es, die tatsächlich zugrundeliegende Angststörung als solche zu erkennen, schreiben PD Dr. ­Jens ­Plag vom ­Alexianer Krankenhaus Hedwigshöhe in ­Berlin und Prof. Dr. ­Jürgen ­Hoyer von der Technischen Universität ­Dresden.

Wie andere psychische Krankheiten auch wird die soziale Angststörung mit einem Vulnerabilitäts-Stress-Modell erklärt. Demnach führen biologische, genetische, kognitive und entwicklungs­assoziierte Faktoren beim prädisponierten Patienten zur manifesten Erkrankung. Die häufig beobachtete soziale Ausgrenzung der Betroffenen scheint eher Folge der Krankheit zu sein als deren Ursache.

Bei der Behandlung ist die Psychotherapie weiterhin das Verfahren der ersten Wahl, insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie. Sämtliche Ansätze beruhen auf der Vorstellung, dass der Betroffene sich selbst und andere im sozialen Kontext falsch einschätzt. Die hieraus resultierenden Ängste bekämpft der Patient, indem er die auslösenden Situationen meidet; die selbstständige Korrektur der eigenen Fehlannahmen ist ihm unmöglich. Die Verhaltenstherapie gestattet ihm ein Umlernen durch die schrittweise gesteigerte Konfrontation mit den angstbesetzten Situationen, erklären die beiden Kollegen.

Für psychodynamische Verfahren liegen nur inkonsistente Wirksamkeitsdaten vor, die eher für die Überlegenheit des verhaltenstherapeutischen Ansatzes sprechen. Die psychodynamische Kurzzeitbehandlung wird daher lediglich als Therapie dritter Wahl nach kognitiver Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie angesehen.

SSRI und SSNRI deaktivieren das zentrale Angstnetzwerk

Die medikamentöse Behandlung bei sozialer Angststörung erfolgt in erster Linie mit selektiven Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (­SSRI, ­SSNRI). Beide Wirkstoffgruppen steigern den serotonergen Tonus und fördern die Deaktivierung des sogenannten Angstnetzwerks im Gehirn. Der Patient muss wissen, dass die Zeit bis zum Wirkeintritt bis zu acht Wochen betragen kann. An Nebenwirkungen ist vor allem mit Unruhe und Schlaflosigkeit zu rechnen, langfristig können sexuelle Funk­tionsstörungen auftreten. Zu achten ist auf eine mögliche Verlängerung des ­QT-Intervalls im EKG und eine neu auftretende Hypertonie.

Die Daten zum Monoaminooxidasehemmer ­Moclobemid bei sozialer Angststörung sind lückenhaft, schreiben Dr. Plag und Prof. ­Hoyer. Der Einsatz dieser Substanz kann erwogen werden, wenn ­SSRI und ­SSNRI keinen Erfolg erzielen, nicht vertragen werden oder wenn Kontraindikationen vorliegen, etwa ein Long-QT-Syndrom.

Bei Non- oder Teilresponse auf die genannten Arzneimittel kann ­Pregabalin probiert werden. Allerdings ist das Antikonvulsivum nicht für die Behandlung bei sozialen Ängsten zugelassen und die Wirkung ist lediglich empirisch belegt. Wegen des Missbrauchsrisikos eignet sich Pregabalin nicht für Patienten mit aktueller oder anam­nestisch bekannter Substanzabhängigkeit. Zum Nutzen einer medikamentösen Kombina­tionstherapie bei der Angststörung gibt es bislang keine ausreichende Evidenz.

Erhaltungstherapie für sechs bis zwölf Monate

Zur Erhaltungstherapie und als Rezidivprophylaxe sollte nach einem Behandlungserfolg die jeweilige Substanz in wirksamer Dosierung über mindestens sechs bis zwölf Monate weiter verordnet werden, schreiben die beiden Experten. Darüber hinaus kann die Einnahme verlängert werden, wenn ein Absetzversuch fehlschlägt, der Krankheitsverlauf besonders schwer war oder anhand der Anamnese des Patienten eine lange Behandlung notwendig erscheint.

Patienten mit ausgeprägter Auftrittsangst, wie sie mitunter bei Musikern oder Schauspielern vorkommt, können von Betablockern profitieren. Diese mildern bedarfsgerecht Körpersymptome wie Tachykardie, übermäßiges Schwitzen oder Zittern, nicht aber die psychischen Beschwerden. Für anhaltenden Erfolg wird auch in dieser Situation der zügige Start in eine Verhaltenstherapie empfohlen. Benzodiazepine bleiben speziellen Situationen vorbehalten, auch im kurzzeitigen Einsatz sollten sie vermieden werden.

Die Kombination von Pharmako- und Psychotherapie ist möglich und gut wirksam. Bei leichter bis mittelschwerer Symptomatik ist eine Verhaltenstherapie aber oft ausreichend. Sind Medikamente erforderlich, sollten sie der Verhaltenstherapie vorgeschaltet sein oder parallel angewandt werden. Vom oft nachgefragten Cannabidiol raten die Autoren ausdrücklich ab. Cannabinoide wirken zwar anxiolytisch, wurden bei sozialer Angststörung bisher aber kaum untersucht.

Quelle: Plag J, Hoyer J. Fortschr Neurol Psychiatr 2022; 90: 471-487; DOI: 10.1055/a-1803-8526

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Die häufig beobachtete soziale Ausgrenzung der Betroffenen scheint eher Folge der Krankheit zu sein als deren Ursache. Die häufig beobachtete soziale Ausgrenzung der Betroffenen scheint eher Folge der Krankheit zu sein als deren Ursache. © kieferpix – stock.adobe.com