Das akute Koronarsyndrom hat viele Gesichter

Dr. Dorothea Ranft

Bei Verdacht auf akutes Koronarsyndrom hilft zu Beginn die Einschätzung nach dem ACS-Schema. Bei Verdacht auf akutes Koronarsyndrom hilft zu Beginn die Einschätzung nach dem ACS-Schema. © MohammedElAmine – stock.adobe.com

Bei Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom besteht Lebensgefahr für die Patientin oder den Patienten. Eine rasche Diagnose und der Beginn einer adäquaten Therapie kann Leben retten. Planvolles Vorgehen hilft, nichts zu übersehen.

Bei allen Patientinnen und Patienten, deren Beschwerden auf einer koronaren Durchblutungsstörung beruhen könnten, steht der Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom (ACS) im Raum. Doch allein die typischen pektangiösen Beschwerden sind als Kriterium nicht ausreichend, um die Arbeitsdiagnose ACS stellen zu können, schreiben Dr. Niklas Thießen und Prof. Dr. Renate Schnabel vom Universitären Herz- und Gefäßzentrum Hamburg. Zur ersten Einschätzung der Situation empfehlen sie ein Vorgehen nach dem sogenannten ACS-Schema

A Ein abnormales EKG gibt den Hinweis auf eine akute Ischämie. 
C Der klinische Kontext (clinical context) klärt das kardiovaskuläre Risiko und Vorerkrankungen.
S Die hämodynamische Stabilität lässt sich durch Erheben der Vitalparametern klären

Typisch für das akute Koronarsyndrom sind thorakale Beschwerden mit Druck- und Engegefühl in der Brust, die länger als 20 Minuten anhalten. Auch Dyspnoe, epigastrische Schmerzen oder Schmerzen, die in Arm oder Kiefer ausstrahlen, können auf die Herzerkrankung hinweisen. Viele Patientinnen und Patienten leiden zudem an vermehrtem Schwitzen, Schwindel, Übelkeit und Erbrechen. Der Sammelbegriff akutes Koronarsyndrom umfasst die Krankheitsbilder ST-Strecken-Hebungsinfarkt (STEMI), Nicht-ST-Strecken-Hebungsinfarkt (NSTEMI)und Angina pectoris.

Am Anfang der Diagnostik steht eine fokussierte Anamnese mit Schwerpunkt auf kardiovaskulären Vorerkrankungen. Die körperliche Untersuchung liefert keine für das ACS pathognomonischen Befunde, gibt aber Hinweise auf potenziell gefährliche Differenzialdiagnosen. Außerdem lassen sich mit Tachykardie, Hypotonie, Kongestion etc. bereits frühzeitig Zeichen einer hämodynamischen Instabilität erkennen. 

Ursachen des Typ-2-Infarkts

  • anhaltende Brady- oder Tachykardie
  • Hypotonie, Schock
  • Koronararterienspasmus, mikrovaskuläre Dysfunktion 
  • koronare Embolie
  • nicht-atherosklerotisch bedingte Kranzgefäßdissektion
  • respiratorische Insuffizienz
  • schwere Anämie
  • starker Hypertonus

Spätestens zehn Minuten nach dem Erstkontakt sollte ein 12-Kanal-EKG geschrieben und interpretiert werden. Es ermöglicht eine erste Weichenstellung für die Therapie. Entscheidend ist die Differenzierung zwischen den Arbeitsdiagnosen ST-Strecken-Hebungsinfarkt und einem Nicht-ST-Strecken-/akuten Koronarsyndrom (NSTE-ACS). Wenn sich in der Herzstromkurve vom J-Punkt aus gemessen ST-Hebungen in anatomisch benachbarten Ableitungen finden, ist eine vollständige Okklusion des versorgenden Kranzgefäßes anzunehmen. Die Arbeitsdiagnose lautet also STEMI und die Patientin oder der Patient benötigt unmittelbar eine Reperfusionstherapie. Zudem leistet das 12-Kanal-EKG einen entscheidenden Betrag zur Identifizierung von Infarktlokalisation und Infarktstadium. Weitere Aufzeichnungen sind im Verlauf unerlässlich. Der Nachweis neu aufgetretener Veränderungen in der Herzstromkurve kann die weitere Diagnostik erleichtern. 

Beim akuten Koronarsyndrom ohne ST-Hebung finden sich in mehr als einem Drittel der Fälle keine charakteristischen EKG-Veränderungen. Zu achten ist auf ST-Senkungen sowie biphasische oder prominent negative T-Wellen. Vor allem das Ausmaß der ST-Senkungen korreliert mit der Stärke der Ischämie und der Prognose. Bei bis zu 25 % der Patienten mit NSTE-ACS ergibt eine im Verlauf durchgeführte Angiografie doch noch einen kompletten Verschluss. Im Rahmen einer Ischämie ist mit vermehrten supraventrikulären und ventrikulären Arrhythmien zu rechnen. Deshalb sollte man Sorge tragen, dass ein Defibrillator zur Verfügung steht. 

Von großer Bedeutung ist die Labordiagnostik. Die Kontrolle der kardialen Troponine T und I im Serum hat den Nachweis des Myokardinfarkts revolutioniert. Das gilt spätestens seit der Entwicklung hochsensitiver Tests, den hs-cTn-Assays. Wenn ischämietypische Veränderungen im EKG fehlen, ermöglicht die wiederholte Kontrolle mit diesen Tests eine Differenzierung zwischen NSTEMI und instabiler Angina pectoris. 

Dr. Thießen und Prof. Schnabel empfehlen die Bestimmung der Troponinwerte für alle Patienten mit Verdacht auf ACS. Hintergrund ist, dass myokardiale Schäden mit Untergang von Herzmuskelzellen zur vermehrten Freisetzung dieser Proteine führen. Der Anstieg der Troponinspiegel ist typischerweise innerhalb der ersten Stunde nach Beschwerdebeginn nachweisbar. Ein Anstieg im hs-cTn über die 99. Perzentile gesunder Menschen spricht für einen Myokardinfarkt. Die Dynamik der Troponinwerte lässt sich mit mehreren Messungen im zeitlichen Abstand ermitteln. Am besten geschieht das zu Beginn der Symptome und nach einer Stunde, alternativ nach zwei Stunden. Die Wahrscheinlichkeit eines Myokardinfarkts steigt mit der Höhe der Serumkonzentration. 

Bei initial erhöhten Troponinspiegeln oder einem Anstieg im hs-Tn ist eine Koronarangiografie indiziert. Wenn die Ergebnisse keine klare Zuordnung ermöglichen, sollte zur Risikostratifizierung der Dreistundenwert bestimmt werden, ggf. gefolgt von einer stationären Ischämiediagnostik. Bei initial niedrigem Troponin und fehlender Dynamik genügt eine elektive Ischämiediagnostik zum Ausschluss eines NSTE-ACS. 

Neben dem klassischen Typ-1-Infarkt, der durch die Ruptur eines Plaques ausgelöst wird, können zahlreiche weitere Erkrankungen zum Missverhältnis zwischen myokardialem Sauerstoffbedarf und -angebot führen. Man spricht dann von einem Typ-2-Infarkt (s. Kasten). Zudem sind etliche Differenzialdiagnosen wie Myokarditis und Takotsubo-Syndrom zu beachten. Auch karditoxische Substanzen wie Doxorubicin, 5-Fluorouracil, Trastuzumab und Schlangengifte kommen als Ursache infrage. 

Das tödliche Geschlecht

Frauen mit Herzinfarkt bekommen nach wie vor seltener eine Reperfusionstherapie. Und wenn sie sie erhalten, dann oft nicht im empfohlenen Zeitfenster, bemängeln Dr. Thießen und Prof. Schnabel. Außerdem weisen Patientinnen häufig ein komplexeres Beschwerdemuster auf als die Männer. Deshalb ist bei ihnen besondere Aufmerksamkeit geboten, damit die erforderliche Therapie rechtzeitig eingeleitet werden kann.

Hohen Stellenwert in der Diagnostik des akuten Koronarsyndroms hat weiterhin die nicht-invasive Bildgebung. Mit einer orientierenden Echokardiografie bereits in der Notaufnahme lassen sich Zeichen einer myokardialen Ischämie oder eines Infarkts erkennen. Die Ultraschalluntersuchung darf aber die invasive Diagnostik nicht verzögern, wenn die Arbeitsdiagnose STEMI oder STEMI-Äquivalent lautet. Bei instabiler Angina pectoris oder grenzwertigen Befunden im hs-cTn kann die nicht-invasive Ischämiediagnostik der invasiven Abklärung vorgezogen werden.

Quelle: Tießen N, Schnabel A. Dtsch Med Wochenschr 2024; 149: 488-495; DOI: 10.1055/a-2163-2586

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