Den kleinen Fasern auf der Spur

Dr. Joachim Retzbach

Ein brennender Oberflächenschmerz in Fuß oder Hand ist für die SFN bei Weitem nicht das einzige Symptom. Ein brennender Oberflächenschmerz in Fuß oder Hand ist für die SFN bei Weitem nicht das einzige Symptom. © Satjawat – stock.adobe.com

Eine Neuropathie der dünnen Nervenfasern zu erkennen, kann schwierig sein: Die Symptome sind oft uneindeutig, und auch die Histologie führt in vielen Fällen in die Irre. Wie man die Nervenerkrankung trotzdem diagnostiziert und was es bei der Therapie zu beachten gilt.

Als Leitsymptom der Small-Fiber-Neuropathie (SFN) gilt gemeinhin ein fokussierter und brennender Oberflächenschmerz in den Füßen oder Händen. Allein darauf zu achten, greift aber deutlich zu kurz, erklärte Prof. Dr. Nurcan Üçeyler vom Universitätsklinikum Würzburg. Der klinische Phänotyp der SFN ist ihren Erkenntnissen nach sehr heterogen, wodurch die Diagnose deutlich erschwert wird. Aufgrund des oft unklaren Beschwerdebildes würden viele Kollegen die Patienten erst einmal zum Psychiater schicken, so Prof. Üçeyler. Dies sei aber überflüssig, wenn man Warnhinweise ernst nehme und eine größere Bandbreite an Untersuchungsmethoden nutze.

Bei der SFN sind die kleinen, wenig oder nicht myelinisierten epidermalen sensorischen Nervenfasern (hauptsächlich A-Delta- und C-Nervenfasern) geschädigt. Viele Körperpartien können betroffen sein, generalisierte Beschwerden sind möglich. Statt typischer Nervenschmerzen verspüren einige Betroffene Verspannungen oder ein Druckgefühl. Schmerzen und andere Empfindungen halten meist lange an, Exazerbationen sind möglich. Sofern den Patienten Trigger bekannt sind, handelt es sich dabei meistens um Hitze oder körperliche Aktivität, erklärte Prof. Üçeyler.

Die Untersuchung beginnt mit einer Schmerzanamnese, bei der vor allem auf Anzeichen neuropathischer Schmerzen zu achten ist. Die sensorische Testung ergibt allerdings nur bei rund der Hälfte der Patienten pathologische Befunde wie eine Thermhypästhesie, Allodynie, Hypo- oder Hyperalgesie und Dysästhesie bei Berührung. Typischerweise nehmen die Betroffenen Hitze- und Kältereize schlechter wahr, reagieren auf entsprechende Schmerzreize aber frühzeitiger als Gesunde.

Die Hautstanzbiopsie liefert keine Sicherheit

Als wegweisend in der Diagnostik werde meist die Hautstanzbiopsie angesehen, erläuterte die Expertin. In Gefrierschnitten der Epidermis werden die dünnen Nervenfasern mit Antikörpern gegen PGP9.5 markiert und quantifiziert. Bei einer SFN sollte die Dichte der Nervenfasern reduziert sein – „so lautet zumindest das Lehrbuchwissen“, schränkte die Referentin ein. Ihren eigenen Untersuchungen zufolge ergibt die Stanzbiopsie bei rund 40 % der Betroffenen gar keine Auffälligkeit. 5 % der Patienten zeigen nur proximal eine reduzierte Nervenfaserdichte, 25 % nur distal. Zudem hatten in einer gesunden Kontrollgruppe immerhin 13 % der Probanden ebenfalls eine reduzierte distale intra­epidermale Nervenfaserdichte. „Eine verringerte Hautinnervation kommt auch bei gesunden Menschen vor“, meinte die Expertin. „So etwas wie eine histologisch bestätigte Small-Fiber-Neuropathie gibt es deshalb nicht!“

Die früher vorgenommene Einteilung der Diagnose in eine „definitive“, „wahrscheinliche“ oder „mögliche“ SFN habe man in der Forschung ebenfalls aufgegeben, erläuterte die Referentin. Wohl aber gebe es eine Reihe von Ausschlusskriterien – und zwar „alles, was auf eine Neuropathie der großen Nervenfasern hindeutet“:

  • gestörte Propriozeption an den Zehen
  • Pallanästhesie an den Knöcheln
  • Muskelatrophie oder Parese
  • Areflexie
  • Auffälligkeiten in der Elektromyo­grafie oder bei Messung der Nervenleitfähigkeit

Ein Goldstandard für die Diagnosestellung ist noch nicht etabliert. Viele Experten legen derzeit die „Zwei-Kriterien-Regel“ an: Benötigt werden demnach zwei oder mehr pathologische Befunde aus den folgenden Bereichen: neurologische Untersuchung, funktionale Testung und/oder Morphologie. Das Problem ist aber, dass viele Patienten auch dieses Kriterium nicht erfüllten, so Prof. Üçeyler. In einer eigenen Studie mit 55 Patienten traf es nur auf 29 Betroffene zu. 15 erfüllten neben Schmerzen nur ein weiteres Kriterium; 11 hatten zunächst sogar „nur“ Schmerzen.

Die Referentin plädierte dafür, bei einem Anfangsverdacht auf SFN auch eher selten genutzte, aber dafür aussagekräftige Diagnose­verfahren einzubeziehen. Dafür müssen die  Patienten häufig an spezialisierte Zentren überwiesen werden. Zu diesen Verfahren zählt die Ableitung schmerzassoziierter evozierter Potenziale (pain related evoked potentials, PREP), bei der sich reduzierte Amplituden sowie verzögerte Latenzen zeigen sollten. Auch eine konfokale korneale Mikroskopie zur Begutachtung der dünnen Nervenfasern in der Hornhaut sowie die Mikroneurografie eignen sich gut, um der SFN auf die Schliche zu kommen. Als Prof. Üçeyler und ihre Kollegen in der Studie diese Verfahren hinzunahmen, erfüllten 22 weitere Patienten das Kriterium der zwei oder mehr diagnostischen Auffälligkeiten. Nur vier der insgesamt 55 Betroffenen blieben weiterhin unklar. Sind speziellere Verfahren nicht verfügbar oder bleiben diese ergebnislos, könne auch ein reguläres klinisches Follow-up zwei oder drei Jahre später positive Resultate liefern, so Prof. Üçeyler.

Auch Gentests gehören der Referentin zufolge unbedingt ins Repertoire. Sie berichtete von einer Patientin, die sich mit einer neurologisch unplausiblen Verteilung von brennenden und stechenden Schmerzen, Kribbeln und Druckgefühlen am ganzen Körper vorstellte. Die Beschwerden bestanden seit vier Jahren, kein Schmerzmittel verschaffte Linderung. Sämtliche Standardtests waren unauffällig. Erst ein Gentest ergab eine Missense-Mutation für den Natriumkanal NaV 1.8, die offenbar zur Hyperexzitabilität von Neuronen führte. Eine Mikroneurografie lieferte dann Hinweise auf spontane elektrische Aktivität der dünnen Nervenfasern. Aber nicht jeder Polymorphismus ist von Bedeutung, so die Referentin. Nur Mutationen, die bekanntermaßen mit dem Schmerzempfinden zusammenhängen, sollten aufhorchen lassen.

Eine der wenigen guten Nachrichten laut Prof. Üçeyler: Die SFN bleibe ihrer Erfahrung nach in den meisten Fällen stabil oder schreitet nur wenig voran; der Übergang in eine voll ausgeprägte Polyneuropathie ist eher selten. Manchmal findet man eine ursächliche Grunderkrankung, die behandelt werden kann (siehe Kasten).

Ursachen der SFN

Die genaue Ursache einer Small-Fiber-Neuropathie (SFN) bleibt in vielen Fällen unbekannt. Bei einigen Patienten finden sich jedoch Grunderkrankungen, die sich teilweise behandeln lassen, was potenziell auch die SFN-Symptome bessert. Relevante Ursachen der SFN sind u.a.:

  • Diabetes mellitus

  • Dyslipidämie

  • Autoimmun- und inflammatorische Erkrankungen (z.B. Sjögren-Syndrom, rheumatoide Arthritis, Zöliakie, Lupus erythematodes)

  • Infektionen (z.B. HIV)

  • Vitamin-B12-Mangel

  • Genmutationen

  • Einnahme von Antibiotika, Statinen oder Chemotherapie

Die symptomatische Behandlung der SFN orientiert sich an der Therapie anderer schmerzhafter Neu­ro­pathien bzw. neuropathischer Schmerzen anderer Ursache, erklärte Prof. Dr. Nadine Attal vom ­Hôpital Ambroise-Paré im französischen Boulogne-Billancourt.
Pharmakotherapeutisch kann man Antidepressiva wie SNRI, vor allem Duloxetin, einsetzen. Zu beachten ist aber, dass es nur wenige Studien speziell zur Wirksamkeit bei SFN gibt. Selbiges gilt für anfallssupprimierende Medikamente wie Gabapentin oder Pregabalin. Lacosamid hingegen war bei einer Untergruppe von SFN-Patienten mit einer Natriumkanalmutation wirksam.

Stark wirksame Opioide haben ebenfalls ihren Platz in der Behandlung, so die Referentin – allerdings nur als letztes therapeutisches Mittel. Auch eine Kombination dieser Substanzklassen scheint die Wirksamkeit der Therapie zu erhöhen. Für Cannabinoide dagegen fielen jüngste Studienresultate Prof. Attal zufolge eher enttäuschend aus.

Neuromodulation schon beim ersten Therapieversuch

Topika eignen sich für Patienten, die nicht auf die sys­temischen Therapeutika ansprechen, und bei lokalisierten Schmerzen, v.a. an den Füßen. Lidocainpflaster (5 %) oder Capsaicinpflaster (8 %) helfen einigen Patienten und können wiederholt angewendet werden.
Prof. Attal plädierte zudem dafür, schon im ersten Therapieversuch Verfahren der Neuromodulation zusätzlich zur übrigen Behandlung einzusetzen, sofern die Patienten dies tolerieren. Als Möglichkeiten nannte sie die transkutane elektrische Nervenstimulation, zentral auch die transkranielle Magnetstimulation.

Quelle: Kongressbericht 9th EAN (European Academy of Neurology) Congress 2023

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