Die Kehrseite des medizinischen Fortschritts

Dr. Andrea Wülker

Durch den kontinuierlichen Hautkontakt können die Acrylatklebstoffe bei CGM-Systemen zu Sensibilisierungen führen. Durch den kontinuierlichen Hautkontakt können die Acrylatklebstoffe bei CGM-Systemen zu Sensibilisierungen führen. © Stanisic Vladimir – stock.adobe.com

Es gibt immer mehr Medizinprodukte auf dem Markt, wie Insulinpumpen oder Glukosesensoren. Gleichzeitig nehmen Berichte über Kontaktallergien in Zusammenhang mit den Artikeln zu. Da die Inhaltsstoffe in Medizinprodukten nicht deklariert werden müssen, ist die Suche nach dem Auslöser oft mühsam.

Medizinprodukte sind Artikel, die der Diagnostik, Therapie und Prävention von Erkrankungen dienen sollen – und der Markt ist mit etwa 1,5 Millionen Produkten riesig. Die europäische Medizinprodukteverordnung teilt die Devices in vier Kategorien ein (s. Tabelle), je nachdem, wie groß das Risiko für Verletzungen des menschlichen Körpers ist. Medizinprodukte unterliegen zwar nationalen Richtlinien, aber keiner gesetzlichen Verpflichtung zur Deklaration der Inhaltsstoffe, schreibt PD Dr. Nicola Wagner von der Hautklinik des Uniklinikums Erlangen. Und das ist ein Problem – denn es kann sehr anspruchsvoll und zeitintensiv sein herauszufinden, welche Komponente eines Medizinprodukts für eine Kontaktallergie verantwortlich ist.

Einteilung von Medizinprodukten
KategorieMerkmaleProduktbeispiele
Igeringes Risiko, geringe Invasivität, vorübergehende AnwendungGehhilfen, Rollstühle, wiederverwendbare chirurgische Instrumente
IIamittleres Risiko, mäßige InvasivitätKontaktlinsen, Hörgeräte, Dentalmaterialien, diagnostische Sonografiegeräte
IIberhöhtes Risiko, systemischer Einfluss möglich, oft langfristige AnwendungZahnimplantate, Beatmungs-, Dialyse- und Röntgengeräte
IIIhohe Invasivität, greifen direkt am Herz-Kreislauf- oder Nervensystem an, ImplantateImplantatmaterialien wie Stents, Herzlappen, Gelenke, Brustimplantate

Welche Devices rufen relativ häufig Kontaktallergien hervor? Dr. Wagner nennt u.a. Produkte für Diabetes-Patienten wie etwa Insulinpumpen, kontinuierlich messende Glukose-Monitoring-Systeme oder Flash-Glukose-Messgeräte. Die Devices werden meist am Oberarm oder Bauch unter Verwendung von Sensor- bzw. Applikationsnadeln im Subkutangewebe für ein bis zwei Wochen auf die Haut aufgebracht. Das fixierende Pflaster muss gut haften bleiben, daher werden oft Polymere aus Acrylaten als Klebstoffe verwendet. Durch den engen Hautkontakt und Reibung entstehen Acrylat-Monomere, die potente Kontaktallergene sind. Isobornylacrylat gehört zu den am häufigsten beobachteten Kontaktallergenen in den Devices für Menschen mit Diabetes. 

Aber auch Kolophonium und Kolophoniumverbindungen kommen als Verursacher eines Kontaktekzems sowohl bei Glukosesensoren als auch bei Distanzpflastern (z.B. Hydrokolloidpflaster) in Betracht. Es wird empfohlen, eine Epikutantestung mit dem vermuteten Kontaktallergen durchzuführen und das Ergebnis nach 48 h, 72 h und sieben Tagen abzulesen.

Teilweise auch Pflaster und Wundauflagen problematisch

Allergische Kontaktreaktionen auf medizinische Klebstoffe, Pflaster und Wundauflagen erfordern eine aufwendige Diagnostik. Zu den möglichen Kontaktallergenen in medizinischen Klebstoffen zählen u.a. Kolophonium, Abietinsäure und D-Limonen bzw. die daraus im Kontakt mit Luft entstehenden Limonen-Hydroperoxide. Problematische Stoffe in Wundauflagen bzw. selbstklebenden Bandagen und Pflastern sind u.a. 4,4'Methylen-Diphenyl-Diisocyanat (MDI), Formaldehyd oder Acrylate.

Medizinische Schutzhandschuhe können ebenfalls Kontaktallergien auslösen. Das liegt sehr häufig an den Vulkanisationsbeschleunigern, die bei der Herstellung eingesetzt werden (z.B. Thiurame, Dithiocarbamate, Thiazole, Thioharnstoffe oder Guanidine). Reaktionen auf chirurgische oder FFP2-Maksen sind dagegen meist irritativer Natur. Wenn trotz Verwendung geeigneter Schutzhandschuhe hartnäckige Kontaktekzeme an den Händen bestehen bleiben, kann das an einer Kontamination wiederverwendbarer Handschuhe mit dem auslösenden Allergen liegen. Und wenn ein Kontaktekzem trotz der Benutzung „kontaktallergenfreier“ Handschuhe persistiert? Dann muss sowohl die Deklaration des Handschuhs als auch seine Permeabilität hinsichtlich potenzieller Kontaktallergene hinterfragt werden, betont die Kollegin.

Blutdruckmanschetten nur bei häufiger Nutzung relevant

Blutdruckmanschetten kommen meist nur kurzfristig mit der Haut in Kontakt, und es wurden bisher kaum Kontaktallergien beschrieben. Bei länger andauernder Blutdrucküberwachung können aber Kontaktallergien entstehen, z.B. gegenüber den in der Manschette enthaltenen Isobornylacrylaten. 

Kontaktallergien auf endovaskuläre Stents äußern sich als Re-Stenosierungen. Welche Rolle diese Reaktionen neben anderen Faktoren wie Entzündung, mechanische Verlegung oder Resistenz gegenüber den freigesetzten Medikamenten spielen, ist noch ungenügend erforscht. Allergische Reaktionen auf kardiale elektronische Implantate wie Herzschrittmacher sind selten.

Quelle: Wagner N. Allergo J Int 2024; 33: 54-59; DOI: 10.1007/s40629-023-00276-3

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Durch den kontinuierlichen Hautkontakt können die Acrylatklebstoffe bei CGM-Systemen zu Sensibilisierungen führen. Durch den kontinuierlichen Hautkontakt können die Acrylatklebstoffe bei CGM-Systemen zu Sensibilisierungen führen. © Stanisic Vladimir – stock.adobe.com