Diese Trends und Entwicklungen wurden vorgestellt und diskutiert 

diatec journal Dr. Andreas Thomas

Vom 3. bis 7. Juni 2022 fand in New Orleans die 82. wissenschaftliche Jahrestagung der American Diabetes Association (ADA) statt. Vom 3. bis 7. Juni 2022 fand in New Orleans die 82. wissenschaftliche Jahrestagung der American Diabetes Association (ADA) statt. © American Diabetes Association (ADA)

Die Digitalisierung spielt eine immer größere Rolle im Gesundheitswesen – so auch auf zwei der diesjährigen großen diabetologischen Tagungen. Lesen Sie hier eine Zusammenfassung zu einigen digitalen Lösungen für Menschen mit Typ-2-Diabetes.

Bedingt durch die Corona-Pandemie haben sich auch 2022 Kongresstermine verschoben. So fanden der ATTD (Advanced Technologies & Treatments for Diabetes) Ende April und der ADA (Scientific Session American Diabetes Association) Anfang Juni im Abstand von nur 6 Wochen statt. Da ist es interessant, auch einen Blick auf die Anzahl an Beiträgen zu digitalen Anwendungen in der Diabetologie zu werfen, welche sich hinter Themenfeldern wie „Big Data“, „Clinical Decision Support System“, „Künstliche Intelligenz“, „Digital Health“ und „Telemedizin“ verbargen. Es zeigt sich, dass diese Thematik sowohl auf dem ADA (u.a. 37 Beiträge zu „Digital Health“ und 93 Beiträge zur Telemedizin), als auch auf dem europäischen ATTD (68 relevante Beiträge) deutlich präsent war. Insbesondere ist sichtbar, dass digitale Gesundheitsanwendungen in den USA und verschiedenen europäischen Ländern bereits Fuß fassen, während beispielsweise in Deutschland vieles noch in den Anfängen steckt.

Digitale Lösungen umfassen vielfältige Anwendungsfelder: verbessertes Glukose- sowie Blutdruckmanagement, Gewichtsabnahme, Dia­betesprävention, optimale Nutzung moderner Diabetestechnologie (z.B. CGM, SmartPens), Arzt-Patienten-Kommunikation usw. Wenn über Digital-Health-Lösungen berichtet wird, so ist es vereinfacht gesehen die Kommunikation über Smartphone-Apps mit dem Anwender. Prinzipiell handelt es sich dabei um ein externes Datenmanagement zur Therapieunterstützung. Das betrifft die Stoffwechselregulierung bei allen Menschen mit Diabetes, darüber hinaus aber auch die Behandlung weiterer relevanter Faktoren, so z.B. die Gewichtsabnahme bei Menschen mit Typ-2-Diabetes (T2D). Einige wenige Beiträge, die Menschen mit T2D betreffen, sollen kurz dargestellt werden. 

Beiträge vom ATTD

Welldoc ist ein in der Nähe von Washington D.C. (USA) etabliertes Unternehmen, welches Menschen mit Diabetes eine digitale Plattform bietet. Diese beinhaltet das Coaching und die Unterstützung beim alltäglichen Diabetesmanagement. A. Kumbara et al. (ATTD Barcelona 2022, Abstract EP170) zeigten Daten von 75 Menschen mit T2D ohne Insulinbehandlung (45 % Frauen; Alter: 51 ± 11 Jahre), die im Rahmen eines Gesundheitsprogramms die Kombination eines rtCGM-Systems und der Welldoc-Plattform für digitales Gesundheitscoaching nutzten. Der Beobachtungszeitraum betrug 24 Wochen. In dieser Zeit betrug die durchschnittliche Nutzung des Real-Time CGM (rtCGM) 72 %, d.h., in 17 von 24 Wochen wurde dies angewendet. Der Glukose-Management-Indikator (GMI) verbesserte sich besonders bei den Patienten, die eine schlechte Einstellung zu Studienbeginn aufwiesen (beurteilt anhand des Mittelwertes der Glukose). Patienten mit einem Mittelwert > 180 mg/dl (10 mmol/l) verbesserten den GMI nach 24 Wochen vs. Baseline von 9,2 % auf 8,2 % (p = 0,0003). Die gesamte Patientenpopulation wies eine GMI-Senkung um 0,2 % auf, von 8,0 auf 7,8 %. Nicht unerwartet zeigte sich die Korrelation der rtCGM-Anwendungssequenz mit den Stoffwechselergebnissen. So erhöhte sich der Anteil der Zeit im Glukosebereich 70–180 mg/dl (TIR – Time in Range) bei häufiger rtCGM-Nutzung (Kriterium: die ganzen 24  Wochen) von 21 auf 58 %, bei seltenerer Nutzung (Kriterium: weniger als 13 von 24 Wochen) dagegen nur von 21 auf 34 %. Die Kombination von rtCGM und digitaler Gesundheitsmanagementlösung wie von Welldoc verbesserte also deutlich die Glukoseeinstellung.

S. Mitchell et al. berichteten über die Effektivität eines digitalen Unterstützungsprogramms zur Gewichtsabnahme (NOOM-App) bei 400 übergewichtigen Menschen mit T2D (ATTD Barcelona 2022, Abstract EP159). Die Angaben zur Diabetesdiagnose und zu dem Einschlusskriterium eines HbA1c-Wertes ≥ 7,5 % beruhten auf der Selbstauskunft durch die Teilnehmer. Die Gewichtsabnahme wurde in Abhängigkeit vom Engagement der Studienteilnehmer untersucht. Dazu wurden verschiedene Kriterien festgelegt: Nutzung der App ≥ 1-mal/Woche, Nutzung der App ≥ 1-mal/in 8 von 16 Wochen, Kontaktierung des Coaches. Insgesamt lagen 52.156 App-Aktionen zur Analyse vor. Eindeutig zeigte sich, dass ein höheres Engagement mit einem höheren Gewichtsverlust einherging. Ein gecoachtes, digitales Unterstützungsprogramm für Menschen mit Diabetes fördert die Gewichtsabnahme durch eine ganzheitliche Lebensstilintervention.

Die Wirksamkeit von Datenmanagementsystemen wurde auch unter speziellen Lebensbedingungen gezeigt, so zum Beispiel bei der Normalisierung der Stoffwechseleinstellung nach einer Hospitalisierung. A.M. Gomez Medina et.al. (ATTD Barcelona 2022, Abstract EP180) nutzten eine App mit dem Namen „mHealth“ bei stationär entlassenen Menschen mit T2D. Innerhalb von 3 Monaten wurde in der Gruppe mit „mHealth“ das HbA1c von 12,6 auf 7,2 % gesenkt, in einer Kontrollgruppe dagegen von 12,2 auf 8,8 % (p < 0,001). Die mittlere Veränderung betrug also 5,4 vs. 3,4 % (p = 0,004). Weiterhin kam es zu einer signifikanten Senkung der Hypoglykämierate, insbesondere bei schweren Hypoglykämien mit Fremdhilfe („mHealth“: 0,06/Tag, Kontrolle: 0,39/Tag; p = 0,02). Der Einsatz von „mHealth“ bei Menschen mit T2D mit inadäquater Glykämie, die vom Krankenhaus in den ambulanten Bereich wechselten, verbesserte die Stoffwechselkontrolle nachhaltig und führte zur Senkung der Hypoglykämierate.

Beiträge vom ADA

S.J. Athinarayanan et.al. berichteten über die glykämischen Ergebnisse und die Gewichtsentwicklung von 122 Menschen mit T2D über einen Zeitraum von fünf Jahren, die mithilfe der „Virta Health App“ zu einer kohlenhydratarmen Ernährung motiviert wurden (ADA 2022, Abstract 832-P; doi.org/10.2337/db22-832-P). Gegenüber den Ausgangswerten verringerte sich das durchschnittliche HbA1c von 7,5 ± 0,2 % um 0,3 % auf 7,2 ± 0,2 % (p < 0,05). Das entspricht einer Verringerung um 4 % gegenüber der Baseline. Auch das Gewicht nahm ab, von durchschnittlich 116,4 kg (Baseline) auf 107,6 kg nach 5 Jahren (p <  0,05), was einer relativen Abnahme von 7,6 % entsprach. Die Intervention führte weiterhin zu einer deutlichen Verringerung der Medikation, analytisch ausgedrückt durch den Medication Effect Score. Dieser verringerte sich von 1,5 ± 0,2 (Baseline) auf 0,9 ± 0,1, also um 40 %. Damit nahm der Prozentsatz der Patienten, denen Diabetesmedikamente verschrieben werden mussten, nach 5 Jahren signifikant ab (von 85,2 auf 71,3 %; p < 0,01). Bei Sulfonylharnstoffen verringerte er sich von 27,0 auf 4,9 %. Beim Insulin ging der Anteil von 26,2 auf 13,1 % zurück und bei den SGLT2-Hemmern von 10,7 auf 2,5 %. Es zeigt sich also, dass mithilfe der „Virta Health App“ die Verbesserung der glykämischen Einstellung und die Gewichtsabnahme mit einer deutlichen Kostensenkung aufgrund einer verringerten Antidiabetes-Medikation einherging. Virta Health hat auch das Ziel, Menschen mit T2D zu helfen, in eine Remissionsphase zu kommen, was bedeutet ohne Diabetesmedikation einen HbA1c-Wert < 6,5 % über ≥ 3 Monaten zu erreichen. In einem separaten Beitrag zeigten B.M. Volk et.al. (ADA 2022, Abstract 1176-P; doi.org/10.2337/db22-1176-P), dass 20 % der Personen aus der Fünfjahresstudie dieses Ziel erreichten. Ein moderateres Ziel, d.h. ein zum Diagnosezeitpunkt erreichtes HbA1c < 6,5 % ohne Diabetesmedikation, erreichten am Ende der Studie 42 % (Baseline 23 %; p < 0,001) und bei vorher mit Metformin behandelten Patienten 33 % (Baseline 12 %; p < 0,001).

Erfolgreiches Diabetesmanagement wurde auch mit dem „Level2-Typ-2-Diabetes-Management-Programm“ der UnitedHealth Group erzielt, dargestellt von S. Kamrudin et al. (ADA 2022, Abstract 695-P; doi.org/10.2337/db22-695-P). Dabei handelt es sich um eine virtuelle Spezialklinik, welche Menschen mit T2D von vertraglich gebundenen Versicherungen in den USA angeboten wird. Das Programm umfasst die Anwendung von CGM (Dexcom G6), eines Fitbit-Aktivitätstracker, smartphone-appbasierte Warnungen, personalisiertes klinisches Coaching und virtuelle Fachberatungen. Retrospektiv wurden Unterschiede im Diabetesmanagement über 24 Wochen nach der Einschreibung in das Level2-Programm untersucht. Vom 01.01. bis zum 31.07.2021 waren 9.137 Personen (47 % weiblich, Durchschnittsalter: 55 Jahre, durchschnittliche Anzahl an Diabeteskomplikationen: n = 0,7 ± 1,1) aufgenommen worden. Bewertet wurden die demografischen Daten anhand medizinischer und pharmazeutischer Abrechnungen. 60 % der Teilnehmer nahmen 1 bis 2 Antidiabetika ein, 7 % vier und mehr. Das Engagement der Teilnehmer war hoch im Verlauf von 26 Wochen. So hatten die Teilnehmer im Durchschnitt an 175 Tagen Coaching-Interaktionen; zwei von drei (n = 5.760) trugen mindestens einmal ein CGM. Mit statistischen Methoden wurde nach der Assoziation der Häufigkeit von Coaching-Besuchen mit dem Tragen von CGM gesucht. Unter CGM-Anwendung verringerten sich der Glukose-Management-Indikator (GMI) bzw. das HbA1c um -0,8 % (von 7,7 zu Beginn auf 7,0 % nach 26 Wochen). Teilnehmer mit niedrigen HbA1c-Ausgangswerten (< 7 %; n = 125) wiesen einen geringfügigen Anstieg von GMI/HbA1c auf (+ 0,3 % von 6,3 auf 6,6 %), vermutlich aufgrund einer Verringerung von Hypoglykämien. Bei HbA1c-Ausgangswerten von 7–9 % (n = 184) verringerten sich GMI/HbA1c um -0,3 %. Die höchste Verbesserung erlebten die Teilnehmer mit HbA1c-Ausgangswerten ≥ 9 % (n = 69) mit einer Abnahme des GMI/HbA1c von -2,6 % von 10,1 auf 7,5 %. Diese Daten zeigen deutlich das Potenzial von kombinierten Diabetes-Management-Programmen mit Diagnostik, Coaching und fachlicher Hilfestellung.

Ausblick

Digital Health, Patient und Clinical Decision Support Systems (PDSS, CDSS) werden zunehmend bedeutsamer. Die breite Verfügbarkeit von Smartphones fordert diese Entwicklung geradezu heraus. Diese „externe” Therapieunterstützung stellt eine wesentliche Strategie für das Diabetesmanagement dar und reiht sich neben der Möglichkeit ein, insulinpflichtige Patienten mit automatisierten Insulinabgabesystemen (AID-Systeme) zu behandeln, welche einem „intern gesteuerten” Datenmanagementsystem entsprechen. 

Quellen: ATTD 2022 & ADA 2022

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Vom 3. bis 7. Juni 2022 fand in New Orleans die 82. wissenschaftliche Jahrestagung der American Diabetes Association (ADA) statt. Vom 3. bis 7. Juni 2022 fand in New Orleans die 82. wissenschaftliche Jahrestagung der American Diabetes Association (ADA) statt. © American Diabetes Association (ADA)