Dringlichkeit erkennen nach Wespenstich

Dr. Carola Gessner, Foto: doc-stock/(VisualsUnlimited) F1online

Notarzt rufen oder nicht, vor dieser Entscheidung stehen Sie in Ihrem Berufsalltag immer wieder. Im Fall des Elfjährigen, der nach Wespenstich in die Praxis gebracht wird, sieht es auf den ersten Blick gar nicht so schlimm aus. Aber dann schicken Sie Ihre Helferin doch ans Telefon ...

"Eine Wespe hat meinen Sohn in den Hals gestochen." Der Vater des elfjährigen Nils ist sehr aufgeregt. Doch als Sie sehen, dass das Insekt nicht von innen (nach Verschlucken), sondern von außen gestochen hat, und das Kind normal atmet, geben Sie erst einmal Entwarnung. "Was tun Sie als nächstes?", fragte Dr. Maximilian von Au von der Klinik für Anästhesiologie am Universitätsklinikum Heidelberg, der die Lehrkasuistik vorstellte.

Adrenalin i.m. applizieren und großen Zugang legen

Eine Insektengiftallergie, so ergibt Ihre Befragung, ist bei dem Kind nicht bekannt. Nachdem aktuell zumindest keine akute Lebensgefahr zu bestehen scheint, sehen Sie sich das Wespenstichopfer erst einmal genauer an. Und auf den zweiten Blick sehen Sie dann doch Grund zur Eile.

Der elfjährige Junge weist großflächige Hautrötungen auf und klagt über Übelkeit. Seine oberen Atemwege sind frei, bei der Auskultation hören Sie allerdings exspiratorisches Giemen, die Atemfrequenz ist auf 26/min angestiegen. Der Puls beträgt 160/min, der Blutdruck 80/50 mmHg. Die Kreislaufparameter weisen auf einen anaphylaktischen Schock hin.

Das adäquate Prozedere beim anaphylaktischen Schock schilderte Dr. von Au wie folgt: Wenn irgend möglich sollten Sie das Allergen entfernen (in diesem Fall nicht möglich) und sofort den Notarzt rufen! Als wichtigstes Notfallmedikament applizieren Sie Adrenalin (0,3–0,5 mg i.m.), eine Wirkung tritt nach weniger als fünf Minuten ein. Gegebenenfalls wird die Applikation wiederholt. Weitere Sofortmaßnahmen:

  • Lagerung (hinlegen, Beine hoch)
  • Sauerstoff hochdosiert
  • große Zugänge (idealerweise zwei)
  • Volumengabe intravenös, um das intravasale Volumendefizit zu beheben (1–2 l)
  • Kortisonstoß (z.B. 250 mg Prednisolon i.v.), doch cave: Wirkung verzögert!
  • H1/H2-Blocker (z.B. 2 Ampullen Fenistil, 2 Amp. Ranitidin)


Ein Seminarteilnehmer hakte bezüglich der Kortisondosis nach: "Sollte man nicht eher 1000 g Prednisolon i.v. geben?" Über die genaue Dosis zwischen 0,25 und 1 g wird nach wie vor gestritten, räumte Dr. von Au ein. Er persönlich hält den Unterschied nicht für bedeutend: "Hauptsache viel – und im Notfall hilft ohnehin nur Adrenalin schnell genug." Wenn es zu Todesfällen kam, wurde (laut Literatur) meist das Steroid zuerst und Adrenalin zu spät gegeben. Dies geht aus einer Fallserie von Anaphylaxien mit tödlichem Ausgang hervor.

Zurück zu dem Beispielfall: Unter Ihrer adäquaten Notfalltherapie bessert sich der Zustand des elfjährigen Jungen, schilderte der Referent den Verlauf. Und als der Notarzt eintrifft, fühlt sich Nils bereits wieder recht wohl und will nicht ins Krankenhaus gebracht werden.

Was tun, wenn der Patient sich wieder fit fühlt?

Sie allerdings, mahnte Dr. von Au, sollten darauf bestehen, dass der Notarzt den Jungen mitnimmt. Mindestens zehn Stunden sollten Patienten mit anaphylaktischem Schock überwacht werden, da eine biphasische Reaktion auftreten kann.

Bei der Anaphylaxie handelt es sich um einen besonders tückischen Notfall, unterstrich der Experte. Oft treten am Anfang nur unspezifische Symptome auf, die gern unterschätzt werden, bevor es dann zu einem fulminanten Verlauf kommt.

Adrenalin rät der Kollege bei anaphylaktischen Symptomen immer sehr früh einzusetzen. "Und alles, was mehr ist als eine Hautreaktion, ins Krankenhaus einweisen!" Bei einem anaphylaktischen Schock stellt die Atemfrequenz einen sehr wichtigen Parameter zur Einschätzung der Lage dar, betonte Dr. von Au.

Geht die Atemfrequenz hoch, gilt das als ungünstiges prognostisches Zeichen, auch wenn die Sättigung noch normal bleibt. Die Frequenz von 26/min müsse bei einem Elfährigen aufmerken lassen. Der Puls von 160/min ist ebenfalls ein wichtiges Warnzeichen: Die Herzfrequenz geht gerade bei jungen Patienten viel eher sehr hoch, während der Kreislauf erst später einbricht.



Quelle: 3. Heidelberger Tag der Allgemeinmedizin

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