Anaphylaxie – Nach der Akuttherapie fängt die Arbeit erst an

Dr. Anja Braunwarth

Das Wissen um die Anaphylaxie muss immer wieder verbreitet werden. Das Wissen um die Anaphylaxie muss immer wieder verbreitet werden. © Zerbor – stock.adobe.com

Schnelle Diagnose, effiziente Erstmaßnahmen: Das Management der Anaphylaxie scheint gar nicht so schwer. Doch nicht alle Ärzte haben verinnerlicht, was genau in solchen Fällen zu tun ist.

Sechs Jahre ist die letzte Leitlinie zur Anaphylaxie alt, jetzt gibt es ein Update. „Das Wissen um die Anaphylaxie muss immer wieder verbreitet werden“, erklärte Professor Dr. Dr. Johannes­ Ring vom Haut- und Laserzentrum an der Oper in München. Es sei wichtig für Mediziner aus jedem Fachbereich.

Unter den Auslösern dominieren bei Kindern Nahrungsmittel, bei Erwachsenen Insekten. Die Reaktion zeigt sich am häufigsten an der Haut, bei 85–90 % der Patienten gibt es dort sichtbare Symptome. In Lebensgefahr geraten Betroffene aber in der Regel erst, wenn Gastrointestinaltrakt, Atmung und Herz/Kreislauf mit reagieren. Was man früher als Prodromi bezeichnete, wertet man heute als subjektive Symptome im Zuge der Anaphylaxie, z.B.:

  • Angst
  • kalter Schweiß
  • Parästhesien (z.B. Kribbeln) an Handflächen, Fußsohlen, im Ano­genitalbereich
  • Hitzegefühl
  • abnormer Geschmack (z.B. Fisch, Metall)
  • Flirren vor den Augen, Sehstörungen
  • Übelkeit

Zu Augmentationsfaktoren, die eine Anaphylaxie begünstigen, gehören körperliche Belastungen, Infektionen, psychischer Stress, Medikamente (z.B. Betablocker, ACE-Hemmer) und Alkohol. Asthma, Herz- und Schildrüsenkrankheiten sowie die Mastozytose gelten als potenzierende Komorbiditäten. Außerdem sind Männer und ältere Menschen gefährdeter. Die Art der Allergene, das Ausmaß der Sensibilisierung sowie die Höhe des IgE spielen ebenfalls eine Rolle.

Wie die Anaphylaxie zum Tod führen kann

  • direkter Effekt am Herzen (kardiogener Schock, Arrhythmie, Infarkt)
  • Herzversagen durch Kreislaufschock (Volumen versackt, Mikrozirkulationsstörung)
  • Schwellung der oberen Luftwege (Larynxödem)
  • akuter schwerer Asthmaanfall mit Bronchokonstriktion

Für die Anamnese kann das ­AMPLE-Schema hilfreich sein. Laut Prof. Ring ist es vor allem für die Erstversorger von Bedeutung:
  • Allergien (bekannt)
  • Medikation
  • Patientenvorgeschichte
  • Letzte Mahlzeit
  • Ereignisse (Augmentationsfaktoren)
Hilfe holen ist wohl eines der obersten Gebote in der akuten Situation. „Aber Sie glauben gar nicht, wie oft wir das Absetzen eines Notrufs üben müssen“, klagte Prof. Ring. Lagerung (i.d.R. Trendelenburg, bei Asthma Oberkörper aufrecht), venöser Zugang, Sauerstoffgabe und latexfreie Versorgung gehören zu den weiteren Allgemeinmaßnahmen. Und natürlich muss die Zufuhr des Allergens gestoppt werden, falls nicht schon geschehen. Zur Volumengabe eignen sich vor allem vollbalancierte Elektrolytlösungen, kurzzeitig kann man auch kolloidale Volumenersatzmittel (Hydroxy­ethylstärke, HES) einsetzen.

Was differenzialdiagnostisch noch in Betracht kommt

  • kardiovaskulär: z.B. andere Schockformen, Synkope, Lungenembolie, Spannungspneumothorax
  • endokrinologisch: z.B. Karzinoid, Hypoglykämie, Phäochromozytom
  • neurologisch/psychiatrisch: z.B. Hyperventilation, Panik-/Angstattacke, dissoziative Störungen, Artefakte (Münchhausen-Syndrom), Epilepsie
  • pneumologisch: z.B. Status asthmaticus, Krupp-Anfall, Obstruktion von Trachea oder Bronchien durch Fremdkörper
  • dermatologisch: z.B. Urtikaria, hereditäres angioneurotisches Ödem
Außerdem ist an pharmakologisch-toxische Reaktionen zu denken, u.a. nach Einnahme von Opiaten, nach Konsum von Ethanol, bei einer Histaminose oder dem Hoigné-Syndrom.

Keine Evidenz, aber jeder weiß, dass Adrenalin wirkt

Medikamentös stellt Adrenalin den wesentlichen Grundpfeiler der Therapie dar, ergänzt durch Glukokortikoide und Antihistaminika. Diese drei Bestandteile (Adrenalin im Autoinjektor, die anderen beiden Substanzen flüssig) enthält auch das Notfallset, das die Patienten verordnet bekommen. Asthmatikern gibt man evtl. zusätzlich noch ein inhalatives Betamimetikum. Zwar existiert für die Gabe von Adrenalin keine Evidenz, „aber jeder weiß, dass es wirkt“, so Prof. Ring. „Es antagonisiert die Hypovolämie, die Ateminsuffizienz und das Herzversagen, also alles, was bei der Anaphylaxie die Gefahr ausmacht.“ Als Dosierung empfiehlt man aus Erfahrung – in Ermangelung von Studien – nach einem Initialbolus von 300 µg 5–10 µg/kgKG für Erwachsene, 10 µg/kgKG für Kinder. Patienten mit mehr als 100 kg bekommen zu Beginn 500 µg. Insbesondere in der Selbstmedikation ist die i.m.-Gabe der Applikationsweg der Wahl. „Nach der Anaphylaxietherapie fängt die Arbeit aber erst an“, betonte der Dermatologe. Man müsse den Auslöser identifizieren und sich um Hyposensibilisierung und Schulungen für die Patienten kümmern. Leider erhalte nur jeder zehnte Al­lergiker nach der Notfallversorgung den Rat, sich testen zu lassen. In diesem Punkt besteht nach Ansicht von Prof. Ring dringender Aufklärungs- und Handlungsbedarf.

Quelle: Allergologie im Kloster 2020

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Systemische Reaktion nach einem Wespenstich. Systemische Reaktion nach einem Wespenstich. © Science Photo Library/Marazzi, Dr. P.
Das Wissen um die Anaphylaxie muss immer wieder verbreitet werden. Das Wissen um die Anaphylaxie muss immer wieder verbreitet werden. © Zerbor – stock.adobe.com