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Eine Spritze gegen den Tumor

Während sich ein Tumor entwickelt, reagiert das Immunsystem natürlicherweise auf die Krebszellen. Es kommt bei der Mehrzahl der Melanome zu einer spontanen spezifischen Antigenerkennung inkl. Immunreaktion. „Und nichts anderes induziert man mit einer Vakzine“, sagte Prof. Dr. Stephan Grabbe, Hautklinik der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg Universität Mainz.1 Für ihn scheint damit die Rationale hinter einer therapeutischen Impfung klar. Und auch, dass die Vakzinierung zukünftig eine wesentliche Rolle u.a. in der Melanombehandlung spielt.
„Und natürlich ist es so, dass unsere jetzigen Therapieoptionen noch nicht das Ende der Fahnenstange sein können, denn 50 % unserer Patient:innen sterben immer noch mit der besten Therapie, die wir haben“, gab er im Pro-Vakzinierungs-Part zu bedenken. Die Rede ist von der kombinierten Immuncheckpoint-Inhibition mit Nivolumab und Ipilimumab. Das Immunsystem folglich unspezifisch über die CPI und gleichzeitig spezifisch über eine Vakzine zu pushen, ist für ihn „eindeutig sinnvoll“. Ein relevantes Argument sei auch das gute Nebenwirkungsprofil der Impfung. Sie wäre der ideale Kombinationspartner für CPI. „Wir wissen, die kombinierte Checkpoint-Inhibitor-Therapie hat eine hohe Toxizität“, so Prof. Grabbe. Die auf die Vakzine zurückgeführten Nebenwirkungen seien dagegen vernachlässigbar. „Abgesehen von kurzfristigen Impfreaktionen gibt es (bisher) praktisch keine langfristige Toxizität.“
Bisher waren alle Karzinome immunogen genug
Zielstrukturen existieren für die Impfung zumindest beim Melanom genug, erläuterte Prof. Grabbe (siehe Kasten). Entsprechende Analysen haben nicht nur Tausende Punktmutationen identifiziert, sondern auch Hunderte Abweichungen in kodierenden Bereichen sowie tumorindividuelle Peptidsequenzen, die von Immunzellen erkannt werden könnten. „In allen Impfstudien war es kein Problem, Antigene zu identifizieren und es gibt auch bei den jüngsten Studien keine Person, die rausgefallen ist [...], weil der Tumor nicht immunogen war“, fasste Prof. Grabbe die Lage zusammen. Die Immunogenität lasse sich außerdem über molekulare Methoden weiter steigern.
Zielstrukturen nicht nur im Tumor
Es gibt einige völlig neue Vakzinierungskonzepte, beschrieb Prof. Grabbe. Diese richten sich nicht mehr gegen Tumorantigene, sondern gegen Zellen oder Strukturen im Tumormikromilieu, z.B. die Indoleamin-2,3-Dioxygenase und PD-L1. „Und da sieht man in ersten Studien erhebliche Responserates“, so der Experte.
Ein wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang: Die Produktionstechniken sowie die Adjuvanzien und die Drug-Delivery-Systeme (z.B. Lipid-Nanopartikel) haben sich in den vergangenen Jahren enorm verbessert. „Da ist richtig Musik in der Forschung drin,“ so Prof. Grabbe. Die Rede ist von etwa drei bis sechs Wochen von Tumorprobe über Mutationsanalyse und Impfstoffdesign bis zur Produktion.
Für Prof. Dr. Bastian Schilling vom Uniklinikum Würzburg, der den Kontra-Part übernahm, ist die Technik nicht ausgereift. Er sah trotz aller Pluspunkte, die sein Kollege zuvor erwähnte, keine Zukunft für die Vakzinierung, „weil es auch in der Vergangenheit nicht funktioniert hat“ und bezieht sich damit auf fehlende positive Ergebnisse prospektiver randomisierter Studien.
Ein Problem bleiben weiterhin die Escapemechanismen und auch die Tatsache, dass der Tumor heterogen subklonal ist. „Das bedeutet nicht alle Tumorantigene werden auch auf allen Zellen exprimiert“, erklärte Prof. Schilling. Einer der wesentlichen Escapemechanismen ist, dass die antigenpräsentierenden HLA-Moleküle, die Zielstrukturen der T-Zellen, mit der Zeit verloren gehen. Die spontane Antitumorimmunität und evtl. auch die Therapie sorgen dafür, dass ein wesentlicher Faktor, den man für die Vakzinierung braucht, nicht mehr von den Zellen exprimiert wird.
Ein weiterer Escapemechanismus besteht in der Interferon-g-Resistenz durch eine JAK/STAT-Mutation. „Das Problem ist, dass die Impfstrategien, wie wir sie heute verfolgen, einfach nicht in der Lage sind, diese Resistenzen zu durchbrechen“, so Prof. Schilling. Zudem werden die Neoantigene für die Krebsvakzine nicht über das Immunpeptidom des Tumors bestimmt. Ihre Expression wird aufgrund der Genomsequenzierungsdaten vorhergesagt. Es müssen also nicht die gleichen Peptide sein, die letztendlich auf den Krebszellen wirklich vorkommen.
Die aktuelle Datenlage sei zudem vage: KEYNOTE-942, die Pembrolizumab im Zusammenspiel mit einer mRNA-Vakzine auswertet, habe zwar ermutigende Ergebnisse geliefert. Formal handele es sich aber um eine negative Studie, da der primäre Endpunkt, das Rezidivrisiko um 50 % zu senken, nicht erreicht wurde (man kam nur auf 46 %). Der tatsächliche Vorteil der Vakzine bleibe folglich noch zu klären. Wie gut man einen zusätzlichen Nutzen aber statistisch belegen kann – damit eine Vakzine überhaupt für die Patient:innen infrage kommt –, sei dahingestellt, denn die Messlatte, die es zu übertreffen gelte, liege aufgrund der heutigen (neo-)adjuvanten ICI-Therapie ziemlich hoch.
Es herrscht Einigkeit, dass es noch Zeit braucht
Für Prof. Grabbe stellen die Rückschläge der Vergangenheit, wie er es nennt, allerdings kein Argument gegen die Tumorvakzinierung insgesamt dar. Ihn stimmen die klinischen Daten zu z.B. BNT-111 und mRNA-4157-P202/KEYNOTE-942 sowie Studien zu Peptid-Vakzinen positiv.
In einem Punkt stimmt er aber mit seinem Kollegen überein: Noch sei man nicht so weit. „Ich glaube nicht, dass wir das in den nächsten fünf Jahren in der Klinik haben – knapp wird es zumindest werden“, lautet sein Fazit. Die Technologie befinde sich in der Entwicklung. Er hofft aber auf die Kombination mit Checkpoint-Inhibitoren, z.B. bei Melanomen im Stadium IV.
Quellen:
1. Grabbe S. 33. Deutscher Hautkrebskongress; Vortrag „Wird die Vakzinierung künftig eine wesentliche Rolle in der Therapie spielen? PRO“
2. Schilling B. 33. Deutscher Hautkrebskongress; Vortrag „Wird die Vakzinierung künftig eine wesentliche Rolle in der Therapie spielen? CONTRA“
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