
Cartoon Gesundheitspolitik
„Es gibt keinen Durchschnittsmenschen“

Diversität ist in der Medizin keine Frage von Wokeness oder Mitarbeiterbindung – Menschen reagieren in Sachen Gesundheit einfach unterschiedlich. Bis vor wenigen Jahren war das kein selbstverständliches Wissen. In medizinische Studien wurden überwiegend weiße Männer eingeschlossen. Bei ihnen, so dachte man, sind keine Hormonschwankungen zu berücksichtigen und deren Lebenswelten kannte man. Nicht nur in Deutschland steckt die Gendermedizin deswegen noch in den Kinderschuhen.
Univ.-Prof. Dr. Ute Seeland ist Fachärztin für Innere Medizin und besitzt die deutschlandweit erste Lehrbefähigung für Innere Medizin/Geschlechtersensible Medizin mit klinischer Versorgung. Seit März 2024 ist sie Professorin an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und leitet dort die unabhängige Sektion für Geschlechtersensible Medizin und Prävention mit Hochschulambulanz an der Medizinischen Fakultät.
Die Medizin ignoriere allzu oft den Unterschied zwischen Menschen. „Die Datenlage ist eindeutig – aber das System hinkt hinterher“, sagt Prof. Seeland. Geschlechtersensible Medizin bedeute, dass biologische und soziokulturelle Unterschiede systematisch in Diagnostik, Therapie und Prävention einbezogen werden. Es gibt keinen Durchschnittsmenschen, sagt Prof. Seeland.
Fokus liegt auf der arteriellen Gefäßalterung
Die neue Professur ist ein Meilenstein für eine Medizin, die Diversität nicht als Störung, sondern als Chance begreift. Die translationale Forschung von Prof. Seeland fokussiert auf die Geschlechterunterschiede bei der arteriellen Gefäßalterung. Der systembiologische Ansatz ermöglicht es, sowohl die biologischen als auch die soziokulturellen Geschlechterunterschiede zu erforschen. Denn dass Männer, Frauen und verschiedene Ethnien unterschiedlich auf Krankheiten und auf Wirkstoffe reagieren, liegt nur zum Teil an ihrem biologischen Geschlecht und dem unterschiedlichen Stoffwechsel. Unterschiede ergeben sich auch über das soziale Geschlecht, das im Englischen mit dem Begriff Gender bezeichnet wird. Die sozialen Faktoren könnten das Resultat klinischer Studien punktuell sogar am stärksten beeinflussen.
Die neue Hochschulambulanz in Magdeburg arbeitet mit zurzeit fünf Beschäftigten, Doktorandinnen und Gastwissenschaftlerinnen und ist für alle Fachrichtungen geöffnet. Niedergelassene können ihre Patientinnen und Patienten, für die sie eine Mitbehandlung wünschen, überweisen. Das Angebot, so hat es sich in der Pilotphase abgezeichnet, zielt vor allem auf vulnerable Gruppen wie Frauen in der Menopause, sehr sportive männliche Jugendliche ab 14 Jahren sowie ältere Männer und Frauen mit Bluthochdruck und kardiovaskulären Ereignissen.
„Wir gehen mit unserer Medizin über die Organbezogenheit hinaus und versuchen zusätzlich ein übergeordnetes System anzusprechen“, sagt Prof. Seeland. Dafür schaue man sich Regulationssysteme im Körper an, die auch durch Umgebungsfaktoren beeinflusst werden können. Deswegen interessiert auch das soziokulturelle Geschlecht der zu versorgenden Person – wie reagiert sie z. B. auf Krankheiten. „Wir bieten damit eine Erweiterung der medizinischen Werkzeuge“, sagt Prof. Seeland.
Zum medizinischen Werkzeugkoffer gehören auch diagnostische Methoden wie etwa die Bestimmung des Augmentationsindex, der auf die Funktion der kleinen und mittleren Arterien hinweist, und die Messung der Pulswellengeschwindigkeit zur Bestimmung der Gefäßelastizität der größeren Arterien. Analysesysteme für die Body-Komposition, die neben dem Körpergewicht das Verhältnis zwischen Körperwasser, Körperfett und Muskulatur erfassen, ermöglichen Erklärungen bei unerwünschten Wirkungen von Arzneimitteln und ggf. Dosisanpassung zur Reduktion von Nebenwirkungen.
Eines der Ziele in Magdeburg ist es, geschlechtersensible Medizin in alle medizinischen Fächer zu integrieren. „Geschlechtersensibilität darf keine Zusatzqualifikation bleiben, sondern muss Teil jeder medizinischen Ausbildung sein“, sagt Prof. Seeland. Auch Hausarzt- und internistische Praxen profitieren von einem Verständnis für genderspezifische Signale.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht
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