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Für Blutarmut gibt es keine Standardtherapie

Liegt der Hämoglobinwert unter 11–13 g/dl, besteht laut WHO-Definition eine Anämie (siehe Tabelle). Allerdings muss man die echte Anämie von einem Hyperhydratationszustand abgrenzen, warnte PD Dr. Peter Staib vom St. Antonius Hospital Eschweiler. Das Plasmavolumen ist beispielsweise bei Schwangeren und Patienten mit akuter Herz- oder Niereninssuffizienz erhöht.
Grenzwerte für eine Anämie | |
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Patientengruppe | Hb [g/dl] |
Kinder 6 Monate bis 6 Jahre | < 11 |
Kinder 7 bis 14 Jahre | < 12 |
Frauen ab 15 Jahre | < 12 |
Männer | < 13 |
Schwangere | < 11 |
Bedingt durch einen relativen Sauerstoffmangel kommt es bei der Blutarmut zu Abgeschlagenheit, Konzentrationsschwäche, kompensatorischer Tachykardie und Dyspnoe. „Anämie – ich kann nämmi, wie man in Köln sagt“, fasste Dr. Staib die Beschwerden zusammen. Die Anämie sei keine Diagnose, sondern erst einmal immer nur ein Symptom. Um eine gezielte Diagnose stellen zu können, sollten vier Parameter bestimmt werden:
- Retikulozytenproduktionsindex (RPI)
- Größe der Erythrozyten (MCV)
- Farbstoffgehalt einzelner roter Blutkörperchen (MCH)
- Vorhandensein von Hämolyseparametern
Im ersten Schritt schaut man sich die Retikulozyten an. Den RPI kann man sich vom Labor berechnen lassen. Er dient der Unterscheidung zwischen hyper- und hyporegeneratorischen Anämien. Die hyperregeneratorische Form (RPI > 3) entsteht durch einen erhöhten Erythrozytenverlust, z.B. durch Blutungen oder Hämolyse. Bei hyporegeneratorischen Anämien (RPI < 2) ist die Neubildung beeinträchtigt, meist aufgrund eines Mangels an Bausteinen zur Hämoglobinsynthese. Zu Letzteren zählen:
- Metalle (v.a. Eisen)
- Vitamine (z.B. B12, Folsäure)
- essenzielle Aminosäuren
- Wachstumsfaktoren (Erythropoetin)
- sonstige Hormone
Bei einem erniedrigten RPI < 2 folgt ein Blick auf MCH und MCV. Die Größe der roten Blutkörperchen erlaubt eine Einteilung in hypo- und hyperchrome Anämien (MCH < 28 pg bzw. > 32 pg). Anhand des Farbstoffgehalts unterscheidet man mikro- und makrozytäre Formen (MCV < 80 fl bzw. > 100 fl). Doch Vorsicht: Ein hoher MCV-Wert kann Folge der Retikulozytose sein! Ein Substratdefizit liegt nicht zwangsläufig vor.
Ein Eisenmangel lässt sich durch niedrige MCV- und Ferritinwerte bestätigen. Die wahrscheinlichste Ursache für das Defizit variiert je nach Alter und Geschlecht des Patienten: Während bei Kindern meist eine Mangelernährung dahintersteckt, ist es bei jungen Frauen häufig eine Hypermenorrhö.
Hauptauslöser bei Männern und postmenopausalen Frauen sind chronische gastrointestinale Blutungen. Zusätzlich lassen Faktoren wie vegetarische oder vegane Ernährung, Hochleistungssport und Blutspenden den Fe-Wert sinken. Ärzte sollten immer eine plausible Erklärung für das Eisendefizit finden, bevor sie eine Substitution verordnen. Neben der Anamnese und dem Blutbild können dafür weitere Untersuchungen nötig sein (s. Kasten).
Diagnostik bei Eisenmangel
- Anamnese
Ernährung, Menstruation, Medikamente, Infektionen, Stuhlgang, Hämorrhoiden, Operationen, Blutspende - körperliche Untersuchung
Palpation des Bauchraums, rektal-digitale Untersuchung - weitere Diagnostik
Stuhluntersuchung auf okkultes Blut, Abdomensonografie, Endoskopie (Magen, Darm, Lunge), Fe-Resorptionstest
Eine mikrozytäre Anämie ohne Eisenmangel tritt häufig als Folge einer chronischen Erkrankung auf. In diesem Fall liegt der sTfR*-Spiegel im Normbereich, bei Eisenmangel ist er erhöht. Wurde eine makrozytäre Form identifiziert, misst man den Vitamin-B12- und den Folsäurespiegel.
Liegt der RPI über 3, besteht entweder eine Hämolyse (LDH und indirektes Bilirubin erhöht, Haptoglobin erniedrigt) oder eine Blutungsanämie. Zu den Ursachen hämolytischer Anämien zählen hereditäre Gendefekte, Autoimmunerkrankungen (Nachweis via Coombs-Test), Vergiftungen, Malaria, Leishmaniose und Leberzirrhose.
„Es gibt keine Standardtherapie der Anämie“, so Dr. Staib. Die Behandlung richtet sich nach der Ursache und der Diagnose. Der Ausgleich eines Eisenmangels erfolgt üblicherweise per os. Werden zwei verschiedene Präparate nicht vertragen, spricht der Patient unzureichend auf die Therapie an oder hat er eine Resorptionsstörung, ist eine i.v. Substitution gerechtfertigt. Bevorzugt wird der Einsatz von dextranfreien Eisenkomplexen. Diese bergen ein geringes Risiko für anaphylaktische Reaktionen. Tumorpatienten erhalten zusätzlich Erythropoetin.
Besteht ein Vitamin-B12-Defizit, gibt man 1 mg/d Hydroxycobalamin i.m. über fünf Tage. Anschließend reduziert man die Dosis auf 0,5 mg wöchentlich, bis sich der Hb-Wert normalisiert hat. Zur Erhaltungstherapie wird die gleiche Menge alle drei Monate verabreicht. Folsäure substituiert man oral (10 mg/d). Bei der Perniziosa sollten wöchentliche Verlaufskontrollen erfolgen. Autoimmunhämolytische Anämien werden in erster Linie mit Steroiden behandelt.
* löslicher Transferrinrezeptor
Quelle: Kongressbericht
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