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Gebrechliche Patient:innen erfordern eine Therapie mit Fingerspitzengefühl

Patient:innen mit klassischem Hodgkin Lymphom ≥ 60 Jahre „tendieren dazu, hinsichtlich des Gesamtüberlebens von einer Klippe zu stürzen“, stellte Prof. Dr. Andrew M. Evens, Rutgers Cancer Institute, New Jersey, die Situation für ältere Erkrankte dar. So betrage das Zwei-Jahres-OS für Erwachsene zwischen 18 und 39 Jahren einer Studie zufolge 97 % und das für 40–59-Jährige 91 %; der Anteil der Personen ≥ 60 Jahre, der nach zwei Jahren noch am Leben ist, läge bei gerade einmal 65 %.
Ein Problem sei unter anderem die Toxizität von Bleomycin in der Lunge; in einer Studie wurde diese in der Gruppe der älteren Betroffenen mit 26 % beziffert, davon starben 18 %. Der größte Risikofaktor für die Entwicklung einer solchen Nebenwirkung sei das Alter. Aufpassen müsse man vor allem, wenn mehr als zwei Zyklen gegeben würden, so der Referent.
Prof. Evens gab einen Überblick über aktuelle Studien, in denen verschiedene Therapiestrategien bei älteren Patient:innen untersucht wurden. Als Beispiel nannte er eine Phase-2-Untersuchung aus dem Jahr 2018, in der die Teilnehmenden ≥ 60 Jahre zunächst Brentuximab-Vedotin (BV) erhielten und dann mit sechs Zyklen Doxorubicin, Vinblastin und Dacarbazin (AVD) behandelt wurden. Diejenigen, die ein Ansprechen erzielten, bekamen vier Dosen BV verabreicht. Schon nach dem BV-Lead-in sprachen 82 % der Betroffenen an, nach drei Zyklen AVD waren es 98 %, darunter 76 % Komplettremissionen (CR). Die CR-Rate erhöhte sich nach dem Ende der sechs Chemotherapiezyklen auf 90 %. Eine periphere Neuropathie vom Grad 3 entwickelten 4 %.
Auch in ECHELON-1 wurden ältere Hodgkin-Lymphom-Erkrankte (n = 186) untersucht. Das PFS nach 24 Monaten betrug mit BV + AVD vs. ABVD*
- bei den ≥ 60-Jährigen 70,3 % vs. 71,4 % und
- bei den < 60-Jährigen 83,7 % vs. 78,2 %.
4 % vs. 5 % der älteren Personen der BV+ AVD- vs. ABVD-Gruppe starben an Nebenwirkungen und 37 % vs. 17 % entwickelten eine febrile Neutropenie jeglichen Schweregrads. Lungentoxizitäten erlitten 2 % vs. 13 % und eine periphere Neuropathie 65 % vs. 43 % (Grad 3: 18 % vs. 3 %).
Geriatrisches Assessment erforderlich
Um die Gebrechlichkeit eines Erkrankten mit Hodgkin-Lymphom zu visualisieren, nutzte Dr. Dr. Raul Cordoba, Fundacion Jimenez Diaz University Hospital, Madrid, das Beispiel des Gesellschaftsspiels Jenga: Dabei wird aus Holzklötzen ein Turm gebaut, die wiederum von den Spieler:innen herausgezogen werden müssen, ohne, dass das Konstrukt einstürzt. Der etwas instabile Turm, aus dem bereits mehrere Klötze entfernt wurden, repräsentiere den/die „frail“ Patient:in. Erhält diese:r dann eine Behandlung oder eine weitere Diagnose, könne das den Turm zum Einsturz bringen. Mit höherem Alter steige der Anteil der gebrechlichen Personen, so der Referent. Dabei sei die „Unter“therapie von fitten Erkrankten genauso schlimm wie die Übertherapie gebrechlicher Betroffener. Umso wichtiger, die „Frailty“ mit einem umfassenden geriatrischen Assessment zu evaluieren.
Quellen:
Cordoba R. International Symposium on Hodgkin Lymphoma 2022; Scientific Session: „Older and Frail Patients“
Nivolumab wiederum wurde in der Phase-2-Studie NIVINIHO bei Patient:innen im medianen Alter von 75 Jahren geprüft. Sie erhielten sechs Injektionen mit der Substanz zur Induktion; Teilnehmende mit komplettem metabolischem Ansprechen führten die Monotherapie mit dem Checkpoint-Inhibitor für weitere 18 Zyklen fort. Solche mit partiellem metabolischem Ansprechen oder stabiler Erkrankung bekamen für 18 Zyklen Nivolumab plus Vinblastin. Die Gesamtansprechrate zum Ende der Behandlung betrug 47 % mit einer CR-Rate von 29 % – ein Ergebnis, das der Referent als „etwas enttäuschend“ bezeichnete.
„Wir müssen abwarten, wo das hinführt“
Zu den neueren Forschungsbemühungen gehört unter anderem eine Phase-2-Studie, in der Kolleg:innen ein Regime aus BV, Cytoxan, Adriamycin und Prednison („Bv-CAP“) prüfen. 20 % der Betroffenen entwickelten eine Grad-2-Neuropathie und die behandlungsbedingte Mortalität betrug 2 %. Die Gesamtansprechrate beliefe sich auf 98 %, davon erreichten 65 % der Teilnehmenden eine CR.
Das Ein-Jahres-PFS war mit 74 % geringer als mit anderen Chemotherapie-Regimen, so der Referent. „Wir müssen abwarten, wo das hinführt.“ Allerdings sei dies möglicherweise nicht die ideale Basis, um hier anzusetzen. In der S1826-Studie, die zurzeit läuft, wird Nivolumab + AVD gegen BV + AVD getestet. Rund 10 % der Patient:innen seien 60 Jahre oder älter, berichtete Prof. Evens. Auch die INDIE-Studie mit Tislelizumab als Prüfsubstanz und einer PET-gerichteten Strategie beinhaltet eine Kohorte mit älteren Personen.
* Doxorubicin, Bleomycin, Vinblastin, Dacarbazin
Quelle:
Evens AM. ISHL12; Scientific Session: „Older and Frail Patients“
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