
Gefahr aus Nord- und Ostsee

Der Kontakt mit Nicht-Cholera-Vibrionen kann zu Wundinfektionen, Ohrentzündungen, Gastroenteritiden und bei Prädisponierten auch zu Septikämien führen, schreiben Dr. Thomas Brehm von der I. Medizinischen Klinik, Sektion Infektiologie, am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf und seine Kollegen. Derzeit sind die Fallzahlen in Deutschland noch gering, könnten im Zuge des Klimawandels künftig aber steigen. Denn die gramnegativen Stäbchenbakterien benötigen mäßig salziges Meereswasser mit einer Temperatur über 20 °C. Dies macht aktuell die Ostsee mit einem Salzgehalt von nur 0,8 % zum bevorzugten Habitat.
Gelegentlich sind Nicht-Cholera-Vibrionen zwar auch an der Nordsee anzutreffen – allerdings nur im Bereich von Brackwasser und Flussmündungen, das offene Meer ist zu salzhaltig. Noch, denn Forscher gehen davon aus, dass sich die Meere in den kommenden Jahrzehnten nicht nur um einige Grade erwärmen, sondern gleichzeitig auch ihr Salzgehalt sinken wird. Eine Zunahme der Erreger ist demnach sehr wahrscheinlich.
Ulzera und Nekrosen bis hin zur notwendigen Amputation
Nicht-Cholera-Vibrionen werden, im Gegensatz zu Vibrio cholerae, nicht von Mensch zu Mensch übertragen, sondern durch kontaminiertes Meerwasser sowie Muscheln und Krustentiere. Bei Patienten, die nach dem Ostseeurlaub mit Brechdurchfall in Ihre Sprechstunde kommen, sollten Sie nach Ausschluss der üblichen Ursachen deshalb immer an eine potenzielle Infektion mit Nicht-Cholera-Vibrionen denken.
Auch bei einer schlecht heilenden Wunde ist der Verdacht angebracht. Die Erreger nutzen kleinste Hautläsionen, um einzudringen und Infektionen auszulösen, die schnell einen dramatischen Verlauf nehmen können: Vereinzelte Bläschen wachsen sich zu großflächigen Arealen aus. Es kommt zu Ulzerationen und Nekrosen, in schweren Fällen droht die Amputation. Besonders gefährdet sind Patienten mit chronischen Hauterkrankungen wie Psoriasis oder atopischen Dermatitiden. Schließlich können die Erreger beim Baden auch ins Ohr gelangen und dort eine Entzündung hervorrufen. Diese ist jedoch meist auf den äußeren Gehörgang beschränkt. Mittelohrentzündungen kommen deutlich seltener vor.
Nachweisen lassen sich die Bakterien, je nach Befund, im Stuhl, aus Wundabstrichen und bei septischen Verläufen ggf. im Blut. Bei begründetem Verdacht auf eine Infektion mit Nicht-Cholera-Vibrionen sollte man aber nicht den Laborbefund abwarten, sondern zeitnah eine kalkulierte Antibiotikatherapie beginnen, raten Dr. Brehm und Kollegen. Denn es gehe darum, foudroyante Verläufe zu vermeiden, die sich durch eine Mortalität von bis zu 50 % auszeichnen.
Bislang eignen sich als Mono- oder Kombitherapie Cephalosporine der dritten Generation, Tetrazykline oder Gyrasehemmer. Leider werden die Erreger zunehmend resistent: Aminoglykoside, Aminopenicilline, Streptomycin und Carbapenem sind oftmals unwirksam. Bei Wund- und Weichteilinfektionen empfiehlt es sich, zusätzlich einen chirurgischen Kollegen hinzuzuziehen, der ein ausgiebiges Wunddebridement durchführt.
Damit es gar nicht erst so weit kommt, sollten Sie vor allem Risikopatienten (Ältere, Immunsupprimierte sowie Patienten mit Leber-, Nieren-, Zucker- oder schwerer Herz-Kreislauf-Krankheit) ausführlich über die Gefahr aufklären. Dabei darf ein Hinweis nicht fehlen: Meerestiere müssen vor dem Verzehr gut durchgegart werden. Und wer die Krabben selbst pulen möchte, sollte Hautverletzungen dabei möglichst vermeiden.
Seit März 2020 besteht eine namentliche Meldepflicht für sämtliche Erkrankungen aufgrund von humanpathogenen Vibrionen. Davon ausgenommen sind auf das Ohr beschränkte Infektionen mit Nicht-Cholera-Vibrionen.
Quelle: Brehm TT et al. Internist 2021; 62: 876-886; DOI: 10.1007/s00108-021-01086-x
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