Gesundes Maß an Therapiebedenken

Dr. Melanie Söchtig

Die Therapieentscheidung bei über 60-jährigen Patienten mit CED sollte individuell getroffen werden.
Die Therapieentscheidung bei über 60-jährigen Patienten mit CED sollte individuell getroffen werden. © didesign – stock.adobe.com

Inzidenz und Prävalenz von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen bei Älteren steigen an. Bei der Behandlung dieser Patienten rücken Aspekte wie Komorbiditäten sowie krankheits- und ­behandlungsbedingte ­Komplikationen stärker in den Vordergrund.

Schätzungen zufolge wird bis zum Jahr 2030 mehr als jeder dritte Patient, der aufgrund einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (CED) in einer Klinik behandelt wird, älter als 60 Jahre sein. In diese Statistik zählen sowohl Menschen, bei denen die Erkrankung bereits im Kindesalter oder im frühen Erwachsenenalter diagnostiziert wurde, als auch Patienten mit einer Erstdiagnose im Alter von 60 Jahren oder älter. 

Aufgrund verschiedener Faktoren wie verspätete Diagnose, Multimorbidität, Gebrechlichkeit und Polypharmazie tragen ältere Menschen mit CED ein erhöhtes Risiko für krankheits- und behandlungsbedingte Komplikationen. Daher haben Prof. Dr. Siddharth­ Singh von der Abteilung für Gastroenterologie der Universität von Kalifornien und Kollegen aktuelle Erkenntnisse zum Management der CED in dieser besonderen Patientengruppe zusammengestellt.

Traditionelle Risikofaktoren für schwere Infektionen bei CED (Auswahl)

  • fortgeschrittenes Alter (≥ 60 Jahre)
  • mäßige bis schwere Krankheitsaktivität zu Therapiebeginn
  • Einnahme von Kortikosteroiden oder Opioiden
  • hohe Anzahl von Begleiterkrankungen 
  • schwere Infektionen in der Vorgeschichte

Die Autoren empfehlen, hinsichtlich der Behandlung von CED bei älteren Menschen die Risiken von krankheits- und behandlungsbedingten Komplikationen gegenüber den Behandlungszielen abzuwägen. Zudem sollten der funktionelle Status und mögliche Begleiterkrankungen berücksichtigt werden. Für die Therapieentscheidung ist unter anderem wichtig, welche Risiken im individuellen Fall überwiegen:

  • Stehen krankheitsbedingte Komplikationen im Vordergrund, sollte direkt eine aggressive Behandlungsstrategie eingeschlagen werden, beispielsweise mit einem TNF-Antagonisten. 
  • Dominiert das behandlungsbedingte Risiko, gilt es bei der immunsuppressiven Therapie Vorsicht walten zu lassen. Vorzugsweise sollten TNF-unabhängige Biologika zum Einsatz kommen. 
  • Eine gute Krankheitskontrolle mit möglichst wenig Immunsuppression ist bei gebrechlichen Patienten oder solchen mit einem hohen Risiko für Komplikationen aufgrund von Komorbiditäten anzustreben. Ziel muss sein, die Auswirkungen der CED auf die chronischen Begleiterkrankungen zu minimieren.

Für die Bewertung der Krankheitsschwere und des Risikos CED-bedingter Komplikationen kann auf konventionelle Indizes zurückgegriffen werden. Diese berücksichtigen u.a. Auswirkungen auf das alltägliche Leben, kumulative Schäden an der Darmschleimhaut und das Ausmaß der Entzündung. Insbesondere bei älteren Patienten können Symptomlinderung und verbesserte Lebensqualität wichtiger sein als beispielsweise die Mukosaheilung.

Ältere haben ein höheres Risiko für Steroidabhängigkeit

Kortikosteroide sollten bei CED allgemein nur kurzfristig in akuten Schüben eingesetzt werden. Bei älteren Menschen ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie in einen Zustand der Steroidabhängigkeit geraten, höher als bei jüngeren. Ihre Therapien werden aus Sorge um deren Sicherheit seltener auf ein steroid­sparendes Regime eskaliert. Gleichzeitig scheinen CED-Patienten mit später Dia­gnose anfälliger für kurzfristige unerwünschte Wirkungen von Kortikosteroiden wie Schlaflosigkeit, Stimmungsschwankungen und Delirium zu sein. Ähnliches gilt für langfristige unerwünschte Wirkungen (z.B. Osteo­porose, Hyperglykämie, kardio­vaskuläre Ereignisse, Katarakte). 

Eine höhere Nebenwirkungsanfälligkeit lässt sich bei älteren Menschen auch für Thiopurine beobachten. So hat man bei Patienten, die nach dem 60. Lebensjahr eine Therapie mit Thiopurinen begonnen hatten, vermehrt Verdauungsprobleme, Hepatotoxizität, Infektionen und Malignität festgestellt. 

Unter Umständen tragen CED-Patienten im fortgeschrittenen Alter zudem ein höheres Risiko für schwere Infektionen unter einer Therapie mit TNF-Antagonisten. Allerdings bliebt nicht final geklärt, wie viel Einfluss dabei die generell höhere Infektanfälligkeit spielt. 

Moderne, nicht gegen TNF gerichtete Biologika wie Vedolizumab und Ustekinumab sind mit einem geringeren Grad an systemischer Immunsuppression verbunden und könnten mit einem geringeren Risiko für schwere Infektionen einhergehen als Anti-TNF-Biologika. Leider ist die Datenlage zur Sicherheit bei älteren Patienten wie so oft mau, beklagen die Autoren. 

Manchmal können chirurgische Eingriffe ein nahezu kurativer Ansatz sein, der eine langfristige immunsuppressive Therapie überflüssig macht. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass ältere Menschen – vor allem bei schlechtem Funktionsstatus und Unterernährung – ein erhöhtes Risiko für schwere systemische und lokale postoperative Komplikationen haben. Weiterhin haben Ältere häufig mehr Schwierigkeiten bei der Handhabung von Stomata sowie ein höheres Risiko für Stuhlinkontinenz, Dermatitis und Stomaretraktion. Auch bei Ileo-Anal-Beuteln besteht bei betagten Patienten aufgrund der altersbedingten Schwächung des Schließmuskels ein höheres Risiko für eine Inkontinenz. Obwohl es keine definitive Altersgrenze gibt, ab der Ileo-Anal-Beutel nicht mehr ratsam sind, sollte bei älteren Menschen im Vorfeld eine sorgfältige anorektale Untersuchung erfolgen, schreiben die Experten. Allgemein empfehlen sie, sich bei Entscheidungen hinsichtlich chirurgischer Eingriffe von einem multidisziplinären Team unterstützen zu lassen.

Quelle: Singh S et al. Lancet Gastroenterol Hepatol 2023; DOI: 10.1016/S2468-1253(22)00358-2

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