Glaubenskriege um den Zeckenstich

Dr. Carola Gessner, Foto: www.zecken.de

Lyme-Borreliose und ihre Therapie erhitzen die Gemüter: Soll man nach Zeckenbiss vorbeugend Antibiotika geben, oder lieber abwarten? Ein Dermatologe beleuchtete die Hintergründe.

Nach einem Zeckenstich kommt es nur bei 1,5–6 % der menschlichen Opfer zu Borrelieninfektionen, und von diesen verläuft ein großer Teil klinisch inapparent. Vor Panikmache nach dem Motto „die Zecke sticht, der Tod naht“ warnte Professor Dr. Martin Schaller von der Universitätshautklinik Tübingen eindringlich. So hält er Empfehlungen einer höher dosierten Antibiotikatherapie bei Frühinfektion, wie sie die „Deutsche Borreliose-Gesellschaft“ verlautbaren lässt, für absolut überzogen: „Bis zu 400 mg Doxycyclin oder 6000 mg Amoxicillin zu geben, ist nicht sinnvoll!“

Infektion meist inapparent

Prof. Schaller hält sich lieber an die offiziellen Therapieschemata – z.B. laut Robert Koch-Institut oder gemäß der Publikationen bei AWMF:

  • Doxycyclin 200 mg/Tag für 14 Tage bei lokalisiertem Frühstadium und für 21 Tage bei disseminiertem Frühstadium
  • Alternativ – bei Doxycyclin-Allergie oder in der Schwangerschaft: Cefuroxim 2 x 500 mg oder Amoxicillin 3 x 750 mg
  • Bei neurologischer Symptomatik im Rahmen disseminierter Infektion oder bei Spätinfektion: Ceftriaxon 2g/d über 21 Tage i.v. (alternativ 4 x 5 Mio Einheiten Penicillin G i.v.)


Doch ließe sich die Infektion nicht gänzlich verhindern, durch routinemäßige Antibiotika-Gabe nach jeder „Zecken-Attacke“? Diese Frage wurde in jüngster Vergangenheit immer wieder kontrovers diskutiert. In mehreren Studien testeten Forscher die Prophylaxe-Idee – Antibiotikum versus Placebo, verabreicht innerhalb von 72 Stunden nach dem Zeckenstich.

Alles in allem belief sich das Borrelioserisiko auf 2,2 % in der Placebogruppe und 0,2 % in der Antibiotikagruppe. Man muss 50 Personen nach einem Zeckenstich behandeln um eine manifeste Infektion zu verhindern, fuhr der Referent fort. Zudem kommt das prophylaktische Regime (z.B. Penicillin oder Amoxicillin über zehn Tage) an Intensität schon der Standardtherapie nach Frühinfektion nahe. Nicht ganz so extrem sieht es mit der Einzeldosis von 200 g Doxycyclin aus.

Topische Antibiotika?
Die einmalige Anwendung von Azithromycin-Creme (4 %) an der Stichstelle konnte im Tiermodell die Borrelien-Infektion zu 100 % (!) verhüten.

Wie Prof. Schaller mitteilte, wird nun in einer großen Studie geprüft, ob das Ganze auch beim Menschen funktioniert – mit 10%igem Azithromycin-Gel, das direkt nach der Zeckenattacke aufzutragen ist.

Antibiotika-Prophylaxe nicht sinnvoll und zu teuer

Dennoch sprach sich Prof. Schaller insgesamt gegen die Antibiotikaprophylaxe nach Zeckenstich aus. Seine Gründe:

  • Der Effekt einer Postexpositionsprophylaxe wurde nur bei Borrelia burgdorferi sensu strictu in den USA gezeigt.
  • Die Wirksamkeit der Doxy-Einzeldosis auf andere Borrelien-Spezies, die in Deutschland „regieren“, ist nicht erwiesen.
  • Kinder unter acht Jahren dürfen die Doxycyclin-Prophylaxe ohnehin nicht erhalten.
  • Die Prophylaxe (49 Personen „umsonst“ zu behandeln) würde exorbitant mehr Antibiotika verbrauchen als die einfache Therapie des Erythema migrans. (Kosten! Gefahr der Entwicklung von Resistenzen!)
  • Wahrscheinlich greift die Prophylaxe sowieso nur sehr früh nach dem Stich: Im Tiermodell wirkte die Doxy-Gabe innerhalb von 30 Minuten nach Stich in 74 %, nach 24 Stunden zu 47 % und nach > 48 Stunden nicht mehr.

Als interessante Alternative stellte Prof. Schaller seinem Auditorium die Lokaltherapie vor. Dieses Prophylaxe-Verfahren hat sich im Tiermodell bereits gut bewährt, Studien am Menschen stehen jedoch noch aus. Eine Therapie-Entscheidung von der Untersuchung des Übeltäters – sprich eines sichergestellten Holzbocks – im Labor abhängig zu machen, hält der Experte für Unsinn.

Finden sich Borrelien, heißt das noch lange nicht, dass der Gestochene auch infiziert ist. Meldet das Labor dagegen „keine Spirochäten“, wiegen sich Betroffene vielleicht in falscher Sicherheit und beobachten die Stichstelle nicht mehr.

Last, but not least gab es klare Worte zum Gespenst der „chronischen Borreliose“. Die Tatsache, dass viele Patienten auch nach Abheilung von Erythema migrans und sachgerechter Antibiotika wochen- und monatelang über Schwäche, Abgeschlagenheit, Muskel- und Gelenkschmerzen klagen, heißt nicht, dass sie den Erreger noch in sich tragen.

"Chronische Borreliose" existiert nicht

Es handelt sich in diesen Fällen eher um ein postinfektiöses Syndrom, bedingt durch die „nicht beendete immunologische Auseinandersetzung“, so Prof. Schaller. Schweres antibakterielles Geschütz lehnt er deshalb ab: „Monatelange Mehrfach-Antibiose zusammen mit Hydroxychloroquin, wie sie von der Deutschen Borreliose-Gesellschaft empfohlen wird, ist nicht sinnvoll“. Für ihn steht die „chronische Borreliose“ in einer Reihe z.B. mit „Schwermetall-Intoxikationen durch Amalgamfüllungen“ oder der „multiplen chemischen Sensitivität“ – Zustände, die man dringend entmystifizieren müsse, so der Kollege.

Auf eine Impfung gegen B. burgdorferi und Verwandte darf man erst einmal nicht hoffen. Obwohl erste Tests mit einer Vakzine berechtigte Hoffnungen auf eine Phase III-Studie weckten, liege das Ganze erst einmal auf Eis, informierte der Kollege, da die Impfsparte der entwickelnden Firma aufgekauft wurde.

Quelle: 9. Dermatologie Update Seminar, Berlin, 2015

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