Zecken, die fiese Schlepperbande

Dr. Angela Speth

Vollgepackt macht sich der gemeine Holzbock auf den Weg. Mit dabei sind auch Protozoen wie Babesien. Vollgepackt macht sich der gemeine Holzbock auf den Weg. Mit dabei sind auch Protozoen wie Babesien. © iStock/GlobalP

Reisen in einem Europa ohne Grenzen – es ist, als ob auch die von Zecken beförderten Krankheitserreger diese Freiheit nutzen: vor allem FSME-Viren und jene Bakterien, die Borreliose, Zeckenrückfallfieber und Tularämie verursachen.

Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) rückt in Europa zunehmend nach Westen vor, schreiben Dr. Johannes Borde, in Oberkirch niedergelassener Internist und Infektiologe, und Kollegen. Ausgehend von der Hochprävalenzregion Baden überqueren die Viren seit einigen Jahren den Rhein Richtung Frankreich, ersichtlich an den autochthonen Infektionen im Elsass, zuletzt bei einem Achtjährigen aus Straßburg. Sogar die Niederlande machen sie neuerdings unsicher: 2016 ist dort erstmals ein Mensch an einer FSME erkrankt, die er sich in seiner Heimat zugezogen hatte.

Etwa 3 % der Zecken beherbergen FSME-Viren, doch ist in einzelnen Herden die Durchseuchung deutlich stärker. 2015 wurden dem Robert Koch-Institut 219 Erkrankungen angezeigt, übertroffen von 351 im Jahr 2016. Sorge bereitet die zwar seltene, inzwischen jedoch auch in Deutschland beobachtete FSME-Transmission durch Lebensmittel, vor allem Rohmilch (s. Kasten).

FSME-Viren in der Rohmilch

Im Landkreis Reutlingen erkrankten im vergangenen Jahr ein Vater und sein Sohn an FSME – ohne Zeckenstich, aber nach dem Genuss unbehandelter Ziegenmilch. Die Infektion über den Magen-Darm- Trakt ist bei Ausbrüchen in Südosteuropa gut untersucht: Frei gehaltene Ziegen, Schafe und Kühe sezernierten die Viren passager in die – anschließend nicht pasteurisierte – Milch. In Polen wurde das FSME-Virus per PCR in 10– 20 % der Rohmilchproben dieser Weidetiere nachgewiesen. In Deutschland schwanken die Befallsraten von Schafen und Ziegen serologischen Tests zufolge regional zwischen 0–43 %.

Ausbrüche der auch Hasenpest genannten Tularämie wurden in Deutschland bisher vor allem infizierter Nahrung zugeschrieben – speziell dem Verzehr und der Verarbeitung von Wildfleisch. Tatsächlich ergab eine systematische Erfassung von 380 Patienten 2002–2012 in Frankreich, dass dieser Weg mit 50 % das Hauptrisiko darstellt. Allerdings gelangt der Erreger Francisella tularensis auch über die Atemwege in den Organismus und durch blutsaugende Arthropoden über die Haut. Dass gerade Zecken als Fähren dienen, sei bisher kaum ins öffentliche Bewusstsein gedrungen, schreiben die Autoren. Dabei sei diese Gefahr relevanter als angenommen: So ließen sich in einer Befragung von 70 Patienten 18 % der Tularämien auf Zecken zurückführen.

Unklares Fieber und Lymphadenopathie? An Hasenpest denken!

„Mit hoher Wahrscheinlichkeit“ sei die Dunkelziffer dieses Übertragungsweges hoch, besonders unter Menschen, die in Freizeit oder Beruf exponiert sind, vermuten Dr. Borde und Mitarbeiter. Außerdem scheint die Prävalenz zu steigen: 34 Fälle wurden dem Robert Koch-Institut 2015 gemeldet, 2016 schon 54. Deswegen raten die Autoren, bei Lymphadenopathie mit unklarem Fieber und Hautulzeration die Hasenpest in Betracht zu ziehen und nach Zeckenstichen zu fragen. Anders in den Seengebieten Schwedens und Finnlands: Hier sind, wie Langzeitdaten enthüllen, Stechmücken die wichtigsten Vektoren zwischen Nagern und Menschen. In der nördlichen Hemisphäre ebenfalls weit verbreitet ist einer der Erreger des Zeckenrückfallfiebers, Borrelia miyamotoi. Er gilt als „emerging pathogen“, etwa 3 % der Zecken sind infiziert, so die Wissenschaftler. Neuere Fallberichte belegen die Pathogenität für den Menschen, zumal wenn dessen Immunabwehr geschwächt ist. Erstmalig erkrankte in Sachsen-Anhalt eine 74-jährige Frau während einer immunsuppressiven Krebstherapie an einer durch diesen Erreger ausgelösten Neuroborreliose, und zwar infolge eines Zeckenstichs. B. miyamotoi wurde bei ihr durch PCR und mikroskopisch im Liquor nachgewiesen. Da immunsuppressive Therapien immer öfter eingesetzt werden, empfehlen die Autoren, nach einem Zeckenstich auch an diese Mikroben zu denken.

Bisher 50 Fälle von Babesiose in Europa

Zecken ermöglichen noch weiteren Passagieren den Transfer von Tier zu Mensch. Ein Beispiel ist Anaplasma phagocytophilum, das die mit Fieber, Myalgien, Kopfschmerzen und Exanthemen einhergehende granulozytäre Anaplasmose auslöst. Zwar sind in Deutschland noch keine Fälle dokumentiert, aber bereits mehrere in Österreich. Ein anderes Beispiel sind Babesien: Diese Protozoen nisten sich in Erythrozyten ein und rufen vor allem bei immunsupprimierten Patienten die malaria­artige Babesiose mit Hämolyse und Multiorganversagen hervor, bisher 50 Fälle in Europa. Einen ähnlich schweren Verlauf nimmt die zeckenbedingte Infektion mit Neoehrlichia, mehrere Fälle wurden in Tschechien, der Schweiz und China bekannt, in Deutschland vorläufig erst zwei. Ebenfalls zweimal wurden Menschen durch einheimische Zecken mit Rickettsien angesteckt. Das Krim-Kongo-Hämorrhagische Fieber ist in Deutschland zwar aufgetreten, allerdings durch eingeschleppte Viren, wogegen sich 2016 in Spanien zwei Menschen im eigenen Land über Zecken infiziert haben.

Quelle: Aus der Fachliteratur
Quelle: Borde JP et al. Dtsch Med Wochenschr 2017; 142: 805-810

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