Grob fahrlässige Hyposensibilisierung hat 26-Jährigen zum Apalliker gemacht

Ein 26 Jahre alter Türke stellt sich erstmals bei einem Pneumologen/Allergologen vor. Weil er innerhalb der Stadt umgezogen sei, brauche er nun einen „neuen“ Arzt, der die bereits begonnene Hyposensibilisierung auf Katze und Milben fortsetze. Der Mann betreibt einen Kiosk, ist Nichtraucher und hat nach eigenen Angaben keinen Kontakt mehr zu Katzen. Wie er berichtet, leidet er seit zehn Jahren unter Atemnot, weshalb er auch ein Rezept über Salbutamol benötigt.
Der Pneumologe verlässt sich auf die Aussagen des Patienten und beginnt die spezifische subkutane Immuntherapie (SCIT) ohne erneute Allergietestung und ohne die Befunde von dem zuvor behandelnden Arzt angefordert zu haben.
Lungenfunktion in 1,5 Jahren nicht ein Mal geprüft
Eineinhalb Jahre lang wird die Katzen- und Milben-SCIT durchgeführt – ausschließlich von der Arzthelferin, auch wenn der Pneumologe im Nachhinein anderes behauptet, berichtete Dr. Norbert K. Mülleneisen vom Asthma Allergie Zentrum in Leverkusen, der in dem Fall als Gutachter gefordert war. In der ganzen Zeit gibt es nicht eine Lungenfunktionsprüfung, dafür immer wieder Salbutamol-Rezepte, die dafür sprechen, dass der Patient pro Tag 9,6 Hübe benötigt.
Die Injektionsdosen werden nach Plan bis 0,4 bzw. 0,6 ml der Flasche 3 gesteigert. In der vorhandenen Dokumentation findet sich schon nach dem ersten Behandlungsmonat der Vermerk „sonstige Urtikaria“. Nach sechs und zwölf Monaten steht die Notiz „5 cm“ neben den Einträgen 0,3 Flasche 3 bzw. 0,6 Flasche 3. Am vorletzten Tag der SCIT entwickelt der Mann dann offensichtlich eine 8 cm große Schwellung und zudem einen Tag lang Juckreiz. Dennoch erhält er die gleiche SCIT-Dosis noch einmal. Auch an diesem Tag verlässt er die Praxis vorzeitig, um in der Apotheke sein Salbutamol-Rezept einzulösen. Dort bricht er bewusstlos zusammen.
Als der Rettungsdienst sechs Minuten später eintrifft, wird sofort die Reanimation begonnen. Erst nach acht Minuten kehrt die spontane Zirkulation zurück. Die Pupillen des Mannes sind weit und entrundet, werden aber im Verlauf des Transports etwas enger. Die Haut ist erst tief zyanotisch, später rosig – „fast wie bei Allergie“, heißt es im Einsatzprotokoll.
Ein Jahr später liegen bei dem jungen Türken ein apallisches Syndrom, Epilepsie, Myoklonien, spastische Tetraparese mit Kontrakturen, schwere Dysphagie, Harn- und Stuhlinkontinenz und eine Critical-Illness-Neuropathie vor. Dr. Mülleneisen: „Der Mann ist eine vegetative Kartoffel.“ Was ist in diesem Fall alles falsch gelaufen? Sechs Fehler machte Dr. Mülleneisen aus:
1. Der Kollege hat es versäumt, die SCIT-Indikation zu überprüfen. Wo waren die Nachweise der klinisch relevanten Sensibilisierungen? Warum erfolgte eine Katzen-Hypo, obwohl der Mann gar keinen Kontakt mehr zu den Tieren hatte?
2. Die klare Kontraindikation „unkontrolliertes Asthma“ wurde missachtet. Wenn ein Patient täglich 9,6 Hübe Salbutamol benötigt, darf man keine Hypo durchführen. Hätte der Pneumologe, so wie behauptet, selbst gespritzt, müsste ihm aufgefallen sein, dass es seinem Asthmapatienten schlecht geht, kommentierte Dr. Mülleneisen.
3. Angesichts der ausgeprägten Reaktionen auf die SCIT hätte der Kollege die Dosis der nächsten Injektion reduzieren müssen.
4. Auch wurde das Asthma des Patienten falsch behandelt. In eineinhalb Jahren erhielt er nur zweimal einen Doppelpack inhalativer Steroide, aber achtmal einen Dreierpack Salbutamol – „und das von einem Pneumologen, das fröstelt mich“.
5. In der Kartei gab es keine dokumentierte Aufklärung bzw. Einwilligung zur SCIT.
6. Insgesamt waren die Dokumentation und auch die Praxisorganisation mangelhaft.
Wie Dr. Mülleneisen bei seinen Recherchen feststellen konnte, war der Patient von dem Kollegen, der ihn initial behandelt hatte, rausgeschmissen worden. Er hatte sich nicht an die Absprachen gehalten und war vorzeitig nach der subkutanen Immuntherapie aus der Praxis verschwunden. Außerdem hatte der Kollege ausschließlich eine Katzen-SCIT durchgeführt, weil bei dem Patienten gar keine klinisch relevante IgE-vermittelte Sensibilisierung gegenüber Milben nachzuweisen war. Ein Fehler kann passieren, aber nicht so etwas, betonte Dr. Mülleneisen. Für grob fahrlässig hält er das Verhalten des Pneumologen. Und grob fahrlässig bedeutet: Die Versicherung bezahlt nicht. Mittlerweile geht es um neun Millionen Euro, so Dr. Mülleneisen.
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