
Hirnschädigungen: Psychische Folgeerkrankungen erkennen

Prinzipiell können Läsionen in jedem Bereich des Gehirns organisch bedingte psychische Störungen verursachen – unterschieden wird zwischen traumatischer und nicht traumatischer Genese (s. Kasten). Je nach Ort der Schädigung treten typische Veränderungen auf, erklären Dr. Steffen Aschenbrenner vom SRH Klinikum Karlsbad und Kollegen.
Erworbene Hirnschädigungen
- traumatisch: Stürze, Verkehrsund Arbeitsunfälle, Sportverletzungen, körperliche Übergriffe
- nicht traumatisch: Schlaganfälle, Infektionen (Meningitis, Enzephalitis), Tumoren, Giftstoffexposition, Stoffwechselerkrankungen, Sauerstoffmangel, Substanzmissbrauch
Viele Betroffene nehmen ihre Veränderungen kaum wahr
Patienten mit organisch bedingten psychischen Störungen fallen mit charakteristischen Symptomen auf (s. Kasten unten). Sie verletzen z.B. soziale Regeln oder können sich nur schwer in andere hineinversetzen und zeigen eine eingeschränkte Impulskontrolle. Viele nehmen ihre Einschränkungen nur unvollständig wahr, leugnen sie eventuell sogar.Symptome organischer Störungen
- Apathie, z.B. einsilbiges passives Gesprächsverhalten
- Verletzung sozialer Regeln, unter anderem unangemessene Körperberührungen bis hin zur Enthemmtheit
- gestörte Kommunikationsfähigkeit
- mangelnde Empathie
- reduzierte Impulskontrolle
- eingeschränkte Krankheitswahrnehmung, Verleugnung der Symptome
Zum Screening eignen sich zwei einfache Fragen
Sie entwickeln sich meist zeitnah zur Läsion, können aber auch erst Jahre später auftreten. Ob sich eine PTBS auch nach einem Schädel-Hirn-Trauma mit Amnesie ausbilden kann, ist allerdings unklar. Patienten mit zerebralem Insult leiden zudem oft an vermehrten Ängsten. Zum Screening eignen sich zwei einfache Fragen: Sind Sie nervös oder ängstlich? Machen Sie sich Sorgen? Zudem empfehlen Dr. Aschenbrenner und Kollegen, bei erworbener Hirnschädigung die Suizidalität abzuklären. Ein hohes Risiko besteht, wenn Patienten ihre Einschränkungen realisieren und die Hoffnung auf Besserung schwindet. Eine symptomorientierte Pharmakotherapie organisch bedingter psychischer Störungen sollte behutsam eingesetzt werden (Komorbiditäten, reduzierter Allgemeinzustand der Patienten) – das gilt vor allem für eine medikamentöse Sedierung. Bei Depressionen nach Schlaganfällen oder Schädel-Hirn-Traumata bevorzugen die Autoren aufgrund der guten Verträglichkeit selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI). Von tri- und tetrazyklischen Antidepressiva raten sie wegen der häufigen cholinergen Nebenwirkungen und des prokonvulsiven Effekts eher ab. Will man nach einem SHT Aufmerksamkeit, Antrieb und Konzentration verbessern, raten die Experten gemäß der entsprechenden Leitlinie zu Amantadin und L-Dopa - trotz ihres Delir und Psychose induzierenden Potenzials. Im Einzelfall können off label Methylphenidat, Modafinil und Donepezil eingesetzt werden. Besondere Vorsicht ist wegen der erhöhten Sturz- und Aspirationsgefahr mit Benzodiazepinen geboten. In Akutsituationen mit Angst bzw. Fremd- oder Selbstgefährdung kommt man allerdings manchmal um kurz wirksame Vertreter (z.B. Lormetazepam, Oxazepam) nicht herum. Eine längerfristige Neuroleptika-Therapie sollte eigentlich nur bei psychiatrischen Begleiterkrankungen erfolgen. Denn Hirngeschädigte tragen ein erhöhtes Risiko für Konvulsionen, kardiovaskuläre und extrapyramidal-motorische Nebenwirkungen sowie für ein malignes neuroleptisches Syndrom. Am ehesten können Atypika eingesetzt werden. Beim akuten Delir ist die kurzzeitige Behandlung mit Haloperidol oder Risperidon weiterhin Standard, eventuell kombiniert mit niederpotenten Wirkstoffen wie Pipamperon und Melperon.Einfluss von Medikamenten berücksichtigen
Besonders zu beachten ist die Induktion und Verstärkung psychischer Symptome durch Medikamente. So kann das Antiepileptikum Levetiracetam Depression, Angst, Unruhe und Aggressivität auslösen, eventuell sogar psychotische Symptome. Zu den Nebenwirkungen der Valproinsäure gehören Sedierung, Tremor und Gedächtnisstörungen. Eine Psychotherapie ist auch bei hirngeschädigten Patienten möglich. Sie sollte aber an die kognitiven Einschränkungen angepasst werden und außerdem berücksichtigen, dass Patienten sich i.d.R. nicht freiwillig in eine Behandlung begeben haben. Häufig besteht das primäre Therapieziel darin, die Einsicht in die eigene Störung und damit die Motivation für eine Behandlung zu fördern.Quelle: Aschenbrenner S et al. Fortschr Neurol Psychiatr 2021; 89: 114-129; DOI: 10.1055/a-1309-0725
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).