HIV-Schutz im Nachhinein – rasche Entscheidung ist wichtig

Dr. Carola Gessner, Foto: thinkstock

HIV-Therapeutika können nach einem möglichen Viruskontakt eine Infektion verhindern. Doch nicht nach jeder beruflichen oder sexuellen Exposition benötigt der Betroffene eine Prophylaxe.

Bei einer möglichen HIV-Infektion lautet die erste wichtige Frage: berufliche oder nicht berufliche Exposition? Letztere – der ungeschützte sexuelle Kontakt zwischen HIV-positiver und HIV-negativer Person – kommt insgesamt häufiger vor.

Bei beruflicher Exposition etwa in Form von Nadelstich- oder Schnittverletzung soll der D-Arzt/Betriebsarzt den Fall erfassen und gegebenenfalls die Postexpositionsprophylaxe (PEP) einleiten beziehungsweise von einem entsprechenden Experten einleiten lassen, betonen Dr. Thore Lorenzen und Kollegen vom Institut für interdisziplinäre Medizin in Hamburg.


Nach Sex mit HIV Patient
ViruslastPEP
unbekanntempfehlen
> 1000 c/mlempfehlen
> 50-1000 c/mlanbieten
< 50 c/mlindiziert

PEP bei mehr als 50 Virus-Kopien/ml (c/ml) Serum

Was die Indikation zur Pharmakotherapie betrifft, so macht man sie heute sehr viel stärker als vor wenigen Jahren vom Infektions- und Behandlungsstatus der Indexperson abhängig. Danach besteht nach beruflicher Exposition nur noch dann ein Anlass zur PEP, wenn die In­dexperson mehr als 50 Virus-Kopien/ml (c/ml) Serum aufweist – es sei denn, es kam zur Übertragung von relevanten Blutmengen.

Das ist z.B. der Fall nach Verletzung der Haut mit Skalpell oder Hohlraumnadel, wenn mutmaßlich mehr als 1 ml Blut bzw. andere Körperflüssigkeiten mit potenziell hoher Viruskonzentration (Liquor, Ejakulat, Punktatmaterial) eingebracht wurden. Floss weniger Blut (< 1 ml), wird die PEP empfohlen, falls die Indexperson > 50 c/ml aufweist, ansonsten bietet man die prophylaktische Behandlung nur an.

Möglichst innerhalb von zwei Stunden handeln

Doch wenn man sich zur PEP entschließt, dann heißt es: Beeilung! Das Zeitfenster sollte möglichst nicht mehr als zwei Stunden betragen. Allerdings besteht auch bei Einnahmebeginn innerhalb einer 24-h-Frist noch Wirksamkeit, wie die Experten annehmen.


Als Standardprophylaxe werden verordnet:

  • Isentress® (1-0-1) oder als Alternative dazu Kaletra® (2-0-2) plus
  • Truvada® (1-0-0) oder als Alternative dazu Combivir® (1-0-1) oder
  • bei Schwangerschaft: Kaletra® (2-0-2) plus Truvada® (1-0-0)

Auf keinen Fall darf man aber – über allen PEP-Erwägungen – vergessen, dass Sofortmaßnahmen den größten Schutzeffekt bieten. Das bedeutet: Nach Stich- und Schnittverletzungen soll der Betreffende seine Wunde mit Wasser und Seife bzw. einem Antiseptikum spülen. Wurden Auge oder Mundhöhle kontaminiert, erfolgt die Spülung mit Wasser.


Eine andere Situation stellt sich dar, wenn die fragliche HIV-Übertragung im Rahmen einer sexuellen Exposition stattfand. Generell weisen die Autoren auch hier auf den hohen Wert der Sofortmaßnahmen hin – sofern der Betroffene sie kennt und direkt anwenden kann.


Nach penetrierendem Verkehr soll sich der bislang HIV-negative männliche Partner den Penis unter fließendem Wasser mit Seife waschen. Wenn jemand Ejakulat in die Augen oder in den Mund bekommen hat, soll er jeweils vier- bis fünfmal für je 15 Sekunden mit Wasser ausspülen.

Nach ungeschütztem GV zählt die Viruslast des Partners

Ansonsten richten sich die Postexpositions-Maßnahmen ebenfalls nach dem individuellen/situativen Risiko: Nach Oralverkehr, Küssen oder Kontakt mit HIV-haltigen Sekreten wie Sperma auf Haut oder Schleimhaut gilt die PEP als nicht indiziert – egal, wie hoch die Viruslast bei der Indexperson liegt.

Anders stellt sich das nach ungeschützem vaginalem oder analem Geschlechtsverkehr dar – hier richtet sich die Empfehlung nach der Viruslast des Partners (siehe Tabelle).


PEP-Empfehlung nach beruflichem Kontakt - je nach Risiko

 

Kontakt mit Risikoflüssigkeiten wie z. B.Blut, Liquor, Punktat, Ejakulat*

Indexpersonen mit > 50 c/mlIndexpersonen mit < 50 c/ml
Verletzung der Haut,  Einbringung > 1 ml  PEP empfehlen PEP empfehlen
Verletzung der Haut, Einbringung < 1 ml  PEP empfehlen PEP anbieten
Oberflächliche Verletzung ohne erkennbare Blutung (z.B. mit chir. Nadel ohne Hohlraum) PEP anbieten PEP nicht indiziert
Kontakt zu verletzter/geschädigter Haut PEP anbieten PEP nicht indiziert
Kontakt zu Schleimhaut PEP anbieten PEP nicht indiziert
Kontakt zu intakter Haut PEP nicht indiziert PEP nicht indiziert


*Bei Kontakt mit Flüßigkeiten mit niedriger Viruskonzentration (Urin, Speichel) ist PEP generell nicht indiziert.

Quelle: Deutsch-Österreichische Empfehlungen zur PEP der HIV-Infektion 2013


Kennt der Betreffende den HIV-Status seines Sexualpartners nicht, dann wird in folgenden Situationen die PEP zwar nicht empfohlen, aber angeboten:

  • ungeschützter homosexueller Geschlechtsverkehr (Analverkehr zwischen Männern)
  • ungeschützter heterosexueller Geschlechtsverkehr bei erhöhtem Risiko (i.v. Drogenkonsumenten, männlicher bisexueller Partner, Partner aus Risikoregion, z.B. Afrika)

Die nicht berufliche Exposition beschränkt sich nicht nur auf die sexuellen Übertragungswege. Als weitere Infektionsmöglichkeiten nennen die Kollegen u.a. Nadeltausch bei i.v. Drogenabhängigen oder Tube-Sharing beim nasalen Drogenabusus.

Auch bei Bluttransfusionen und Organtransplantationen kommen Übertragungen des Immunschwächevirus nur noch selten vor.

Quelle: T. Lorenzen et al., Hamburger Ärzteblatt 10/2015: 12-17

Tipp

 

Im Alltag kommen Fragestellungen zur PEP in der Regel unerwartet. Schnelle Information bieten die Hamburger Kollegen mit ihrer PEP-App an, kostenlos downzuloaden auf www.app.ifi-medizin.de.

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).