Ein DTS-Projekt soll die Integration von Daten zur Insulindosierung standardisieren

diatec journal Prof. Dr. Lutz Heinemann

Wie können Daten von Systemen zur Insulinapplikation standardisiert in elektronische Gesundheitsakten integriert werden? Dem geht eine DTS-Projektgruppe aktuell nach. Wie können Daten von Systemen zur Insulinapplikation standardisiert in elektronische Gesundheitsakten integriert werden? Dem geht eine DTS-Projektgruppe aktuell nach. © Natee Meepian – stock.adobe.com

Die US-amerikanische Diabetes Technology Society (DTS) arbeitet aktuell an einem Standardisierungsprojekt für die Integration der  Daten von Smart Pens und AID-Systemen in elektronische Gesundheitsakten. Prof. Dr. Lutz Heinemann stellt das Projekt vor dem Hintergrund der deutschen Situation vor. 

Eine der verschiedenen Aktivitäten der Diabetes Technology Society (DTS) in den Vereinigten Staaten ist das Projekt „integration of Connected drug delivery device Data into the Electronic Health Record #2 (kurz: iCoDE-2). Ziel dieses Standardisierungsprojektes ist es, das effiziente Hochladen und die Integration von Insulindosierungsdaten (und anderen injizierbaren Peptiden) durch Smart Pens, Insulinpumpen sowie AID-Systeme in eine elektronische Gesundheitsakte („electronic health record“; EHR) zu ermöglichen. 

Diabetes Technology Society (DTS) 

Die DTS unter der Leitung von David Klonoff ist eine gemeinnützige Organisation, die sich der Förderung, der Entwicklung und des Einsatzes von Technologie bei der Diabetestherapie verschrieben hat. Die DTS hat unter Beteiligung von Industrie, Behörden, Hochschulen und gemeinnützigen klinischen Organisationen Standards entwickelt in den Bereichen technische CGM-Standards (iCoDE und auch CLSI P0CT05 in der ersten und zweiten Auflage), klinische CGM-Richtlinien (mit der Endocrine Society), Blutglukosemessung bei Typ-2-Diabetes und Surveillance Error Grid und Cybersecurity-Standards (DTSEc und DTMoSt durch die DTS sowie IEEE2621 und ICAP durch die IEEE). Die DTS gibt eine Fachzeitschrift für Diabetestechnologie, JDST, heraus. Weitere Informationen finden Sie unter www.diabetestechnology.org.

Dazu ist es notwendig, technische Spezifikationen für die Integration dieser Dosierungsdaten in die EHR und Vorgaben für die dazu notwendigen Arbeitsabläufe zu entwickeln. Im Folgenden werden die verschiedenen in diesem Zusammenhang relevanten Aspekte vor dem Hintergrund der deutschen Situation kurz vorgestellt.

Problemstellung

Aktuell gibt es keine Standards für die Integration der Daten in die elektronischen Patientenakten, die von verschiedenen Medizinprodukten im Zusammenhang mit der Diabetestherapie generiert werden. Dabei gilt es zu klären, welche Form von Patienten­akten hierbei gemeint ist: die für die Krankenhaus-Informationssysteme (KISS) oder Praxisverwaltungssysteme (PVS); im Endeffekt wird es in Deutschland vermutlich um beide gehen. Nur wenn die Daten von CGM-Systemen, Smart Pens, Insulinpumpen und von Systemen zur automatischen Insulinzufuhr (AID) an einer zentralen Stelle gesammelt und für weitere Auswertungen zur Verfügung stehen, können sie effektiv genutzt werden. Die bisher fehlende Integration solcher Daten mit anderen Gesundheitsdaten der Patienten in EHR blockiert perspektivisch das Verständnis und die Analyse von Daten, wie sie bei der Diabetestherapie zunehmend anfallen.

Dabei stellt die angestrebte Integration solcher Daten ein komplexes Problem mit vielen Facetten dar, in welches diverse Interessensgruppen involviert sind. Zur erfolgreichen Umsetzung und Implementierung eines solchen Projektes gilt es, diese in einem konstruktiven Prozess zusammenzubringen. Dieses Standardisierungsprojekt beschreibt detailliert die Ziele für die Integration dieser Daten und erstellt einen Durchführungsplan, der die wichtigsten Interessengruppen in einen Konsensprozess einbindet. Der Erfolg des schon vor einigen Jahren in den USA und anderen beteiligten Ländern implementierten iCoDE-Standards (dessen Ziel primär die Integration von Daten von CGM-Systemen in die EHR war), liefert auf immerhin 108 Seiten die Blaupause für dieses Projekt (zu finden online auf der DTS-Website unter www.diabetestechnology.org/icode/) [1-6].

Vorschlag

Die DTS stellt ein internationales Konsortium von Interessenvertretern der verschiedenen hierbei involvierten Gruppen zusammen, die einen Standard für Definition, Authentifizierung, Extraktion, Austausch, Speicherung, Visualisierung und Integration der hier relevanten Daten ermöglicht. Dabei sollen die Vorgaben der Daten-Interoperabilitäts-Roadmap des „Office of the National Coordinator (ONC) for Health Information Technology“ in den USA berücksichtigt werden. 

Gemäß dieser Roadmap sollen Verfahren entwickelt werden, die Vertragsabschlüsse, Workflow-Priorisierung, Datenschutz- und Sicherheitsvorkehrungen implementieren. Diese Workflow-Strategien sollen zunächst (an den angemessenen Stellen) nach dem Vorbild des Vorgängerprojektes iCoDE entwickelt werden, welches sich auf die Integration von CGM-Daten in die elektronische Gesundheitsakte fokussierte.

Involvierte Gruppen

  • Alle drei großen Insulinhersteller, die Smart Pens anbieten (Eli Lilly, Novo Nordisk und Sanofi)
  • Andere Hersteller von Smart Pens, die kein Insulin herstellen (z.B. Medtronic)
  • Hersteller von Insulinpumpen und AID-Systemen (z.B. Insulet, Medtronic, Tandem, Ypsomed) 
  • Hersteller von diagnostischen Medizinprodukten (Blutglukosemesssystemen, CGM-Systemen) 
  • Hersteller von Insulindosierungssoftware
  • Systeme/Software zur Dateninte­gration
  • Anbieter von EHR (KISS und PVS)
  • Datenaggregations-Plattformen (z.B. Glooko, Tidepool)
  • Experten für Cybersicherheit und Datenschutz
  • Professionelle Fachgesellschaften 
  • Diabetesberater
  • Patienten(organisationen)
  • Krankenhausgesellschaften
  • Politische Entscheidungsträger und regulatorische Aufsichtsbehörden 

Abläufe und Zeitplan für iCoDE-2

In den nächsten 8–11 Monaten soll es drei virtuelle Sitzungstage geben:

  • Tag 1 (halbtägige Sitzung):
    Zusammenbringen der Interessengruppen, einvernehmliche Festlegung des Zwecks und der Ziele des Projektes, Präsentationen der Interessengruppen über den aktuellen Stand ihrer Aktivitäten, Ziele für die Datenintegration und Bildung sektorübergreifender Arbeitsgruppen. Die Ergebnisse des ersten Kick-off-Meetings im Sommer 2023 wurden bereits publiziert [7]. Die Arbeitsgruppen treffen sich innerhalb von 2 bis 4 Monaten danach, um ihre individuellen Aktivitäten voranzutreiben, einschließlich Definitionen, Inhalten, Leitlinien und Protokollen
  • Tag 2 (halbtägige Sitzung): 
    Die Arbeitsgruppen stellen ihre bisherigen Fortschritte vor und holen Feedback von den verschiedenen Interessengruppen ein. Die Arbeitsgruppen treffen sich innerhalb von 2 bis 4 Monaten danch, um das Feedback einzuarbeiten und die einzelnen Aktivitäten fertigzustellen. 
  • Tag 3 (zweistündige Sitzung): 
    Abschlusspräsentationen, Abstimmung über die Annahme von Standards und Leitlinien; Pläne für die nächsten Schritte

Wie die Standardisierung aussehen könnte 

Überlegungen zur Entwicklung von Standards für Dosierungsdaten von Smart Pens, Insulinpumpen und AID-Systemen und deren Integration in elektronische Gesundheitsakten: 

  • Die involvierten Gesundheitsstrukturen (Krankenhäuser und Praxen) benötigen sowohl die technischen Kapazitäten als auch die betriebliche Akzeptanz, um die Daten von Smart Pens, Insulinpumpen und AID-Systemen erfolgreich in das EHR integrieren zu können.
  • Die Interoperabilität dieser Medizinprodukte muss von den jeweiligen Herstellern ermöglicht werden. Sie kann nicht im Nachhinein erfolgreich implementiert werden.
  • Sogenannte „Integrations-Engines“ spielen eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung der Schnittstelle zwischen den Gesundheitsstrukturen und den Medizinprodukten.
  • Konsensfähige Interoperabilitätsstandards können dazu beitragen, die Heterogenität der Systeme sowohl auf der Empfängerseite wie auch der Senderseite zu reduzieren.
  • Von kritischer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang klare Datendefinitionen für die Medizinprodukte, sonst ist die Implementierung in den Gesundheitsstrukturen nicht möglich und die angestrebte Unterstützung klinischer Arbeitsabläufe kann nicht erfolgen.
  • Verständlicherweise hängt der Bedarf an Datenspeicherung – der erheblich sein kann – von der Menge und Art der erfassten Daten ab.

Arbeitsgruppen

Die Interessenvertreter sollen zwei Arbeitsgruppen bilden, die sich voraussichtlich alle 2 bis 4 Wochen für eine Stunde treffen. Ein Projektmanager der DTS wird anwesend sein, um Notizen zu machen, die Ergebnisse zu verfolgen und die Maßnahmen weiterzuverfolgen. Der Leiter jeder Arbeitsgruppe wird für die Zusammenfassung der Diskussionen und Ergebnisse verantwortlich sein und sich bei Bedarf mit anderen Arbeitsgruppen abstimmen. 

Die beiden Gruppen (genannt A und B) werden jeweils drei Themen abdecken, und zwar:

  • Gruppe A [Datenstandards]
    1. Datenterminologie und Standards für die Nomenklatur: Welche Werte sollten berichtet werden, in welchen Dosen, Zeitplänen, Einheiten, wie werden sie berechnet, mit Zeitstempel versehen, zugeordnet zu bestehenden Ontologien/Datenmodellen, Geräte-Metadaten? Dabei bedeutet die Ontologie in der Informatik, die sprachlich gefassten und formal geordneten Darstellungen einer Menge von Begriffen und der zwischen ihnen bestehenden Beziehungen in einem bestimmten Gegenstandsbereich.
    2. Kontenverknüpfung: Welches sind die besten Praktiken für die Verknüpfung von Patientendatenkonten mit EHR-Datensätzen, welche Mindestanzahl von Identifikatoren ist erforderlich? Einwilligung der Patienten, Datenschutz und -sicherheit sowie rechtliche Bedenken.
    3. Integration und Interoperabilität: Wie lassen sich gemeinsame Ansätze und bewährte Verfahren für die Aufnahme von Gerätedaten zur Verabreichung von Arzneimitteln (mit Schwerpunkt auf Insulin und anderen Peptiden) in das EHR, die Speicherung der Daten, die Wahrung der Datenintegrität und die Bereitstellung der Daten definieren?
  • Gruppe B [Arbeitsabläufe]
    1. Analyse und Visualisierung: Wie lassen sich diese Daten am besten im EHR darstellen? Nutzung der Funktionen der Datenplattform, Integration anderer klinischer Daten.
    2. Arbeitsabläufe: Was sind die besten Praktiken, nachdem die Daten aufgenommen wurden, um neue Funktionen zu operationalisieren und Patienten einzubinden?
    3. Vertragsabschluss, Partnerschaft und Projektmanagement: Wie definiert man die Rollen und Verantwortlichkeiten jeder beteiligten Gruppe, was sind die angemessenen vertraglichen Komponenten eines Integrationsprojekts? Gemeinsame Gantt-Diagramme für die Implementierung, Entwicklung von Checklisten.

Ergebnisse

  • Standard für die automatische Integration der Daten von Smart Pens und AID-Systemen in die EHR
  • Konsenserklärung der Interessengruppen 
  • Datenstandarddokument inkl:
    • Ontologie-Mapping (einschließlich Antrag auf Ontologie-Erweiterung, falls erforderlich)
    • Standardisierung von Metadaten
    • Best Practices für Datenaustausch, Berichterstattung und Speicherung
    • Medical Device Interface Data Sheet (MDIDS), Mindestdatensatz von Medizinprodukten zur Applizierung von Insulin und anderen Peptiden
  • Implementierung und „Best Practices Playbook“ zur Standardisierung von Integrationsprojekten
  • Open-Source-Repository für die Dokumentation

Literatur:

  1. Yeung AM, Huang J, Klonoff DC, Seigel RE, Goldman JM, Shah SN et al. iCoDE June 22, 2022 S teering Committee Meeting Summary Report. J Diabetes Sci Technol. 2022;16(6):1575-6. Epub 20220829. doi: 10.1177/19322968221119146. PubMed PMID: 36036511; PubMed Central PMCID: PMCPMC9631518.

  2. Espinoza JC, Chin SW, Shah P, Tut M, Raymond JK. Proposing a Practical, Simplified Framework for Implementing Integrated Diabetes Data and Technology Solutions. Front Clin Diabetes Healthc. 2022;3:867284. Epub 20220511. doi: 10.3389/fcdhc.2022.867284. PubMed PMID: 36992736; PubMed Central PMCID: PMCPMC10012144.

  3. Xu NY, Nguyen KT, DuBord AY, Klonoff DC, Goldman JM, Shah SN et al. The Launch of the iCoDE Standard Project. J Diabetes Sci Technol. 2022;16(4):887-95. Epub 20220509. doi: 10.1177/19322968221093662. PubMed PMID: 35533135; PubMed Central PMCID: PMCPMC9264445.

  4. Espinoza J, Xu NY, Nguyen KT, Klonoff DC. The Need for Data Standards and Implementation Policies to Integrate CGM Data into the Electronic Health Record. J Diabetes Sci Technol. 2023;17(2):495-502. Epub 20211120. doi: 10.1177/19322968211058148. PubMed PMID: 34802286; PubMed Central PMCID: PMCPMC10012359.

  5. Galindo RJ, Umpierrez GE, Rushakoff RJ, Basu A, Lohnes S, Nichols JH et al. Continuous Glucose Monitors and Automated Insulin Dosing Systems in the Hospital Consensus Guideline. J Diabetes Sci Technol. 2020;14(6):1035-64. Epub 2020/09/29. doi: 10.1177/1932296820954163. PubMed PMID: 32985262; PubMed Central PMCID: PMCPMC7645140.

  6. Espinoza J, Shah P, Raymond J. Integrating Continuous Glucose Monitor Data Directly into the Electronic Health Record: Proof of Concept. Diabetes Technol Ther. 2020;22(8):570-6. Epub 20200710. doi: 10.1089/dia.2019.0377. PubMed PMID: 31904260.

  7. Aaron RE, Tian T, Yeung AM, Huang J, Klonoff DC, Espinoza JC. The Launch of the iCoDE-2 Standard Project: Integration of Connected Diabetes Device Data Into the Electronic Health Record. Journal of Diabetes Science and Technology. 2023:19322968231207888. doi: 10.1177/19322968231207888.

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Wie können Daten von Systemen zur Insulinapplikation standardisiert in elektronische Gesundheitsakten integriert werden? Dem geht eine DTS-Projektgruppe aktuell nach. Wie können Daten von Systemen zur Insulinapplikation standardisiert in elektronische Gesundheitsakten integriert werden? Dem geht eine DTS-Projektgruppe aktuell nach. © Natee Meepian – stock.adobe.com