
In der Vene statt in der PEG-Sonde gelandet

Mit den Folgen seines schweren Schlaganfalls lebte der alte Herr schon seit vielen Jahren im Pflegeheim. Er konnte nicht sprechen, litt an einer Epilepsie und einer neurogenen Schluckstörung, die bereits zu einer Aspirationspneumonie geführt hatte. Ernährt wurde er deshalb via perkutaner Sonde, die einen gastralen und einen dünneren jejunalen Schenkel aufwies (PEG/PEJ-Sonde). Weil diese eines Tages verstopft schien, griff das Pflegeheimpersonal zunächst zur Selbsthilfe. Die Anschlüsse wurden auseinandergebaut und gereinigt, die Sonde wieder zusammengesetzt. Dummerweise dislozierte bei diesem Manöver der jejunale Schenkel. Außerdem vernahmen die Heimpfleger eine brodelnde Atmung. Grund genug, den Rettungsdienst zu rufen.
Dieser verfrachtete den Patienten in die Notaufnahme des Klinikzentrums Westerstede. Dort war man für die Anamnese auf Telefonate mit dem Heimpersonal sowie die mitgegebenen Dokumente und Arztbriefe angewiesen, schildern Oberfeldarzt Dr. Stephan Knöchner vom Bundeswehrkrankenhaus Westerstede und Oberfeldapotheker Sven Osthövener von der Bundeswehrapotheke Quakenbrück die Situation. Mit dem Patienten selbst konnten sie erkrankungsbedingt nicht kommunizieren und der zuständige Betreuer war telefonisch nicht erreichbar.
Ein Medikament, zwei flüssige Formulierungen
Weder klinisch noch beim Thoraxröntgen ergab sich ein Hinweis auf eine Aspiration. Es musste also nur die Ernährungssonde revidiert werden. Für diesen Eingriff bekam der Mann einen intravenösen Zugang gelegt und dann hieß es warten, denn der für die Aufklärung und Zustimmung nötige Betreuer war noch immer unauffindbar.
Verhungern musste der Patient derweil nicht – immerhin war der gastrale Schenkel seiner PEG/PEJ noch nutzbar. Dort hinein sollte auch – wie immer – seine antikonvulsive Medikation, Levetiracetam, das es in drei Formulierungen gibt: als Lösung zum Einnehmen, als Konzentrat für die Herstellung einer Infusionslösung und als Tablette. Eine Pflegerin zog die oral zu applizierende Levetiracetam-Lösung in einer Spritze auf. Allerdings verabreichte sie diese nicht selbst. Das übernahm eine im gleichen Zimmer tätige Kollegin. Und die spritzte das Medikament versehentlich in den i.v. Zugang. Der Mann hatte Glück: In der Notaufnahme des Klinikums Westerstede herrscht ein vertrauensvolles Arbeitsklima. Deshalb traute sich die Pflegerin, ihren Fehler sofort dem Oberarzt zu melden. Um zu klären, wie gefährlich die Fehlapplikation war, besprach sich dieser mit dem Giftnotruf und der Krankenhausapotheke.
Prinzipiell ist eine Überdosierung des Wirkstoffs möglich, die zu Agitiertheit, Aggression, Bewusstseinsstörungen, Atemdepression und Koma führen kann. Ein spezielles Antidot gibt es nicht, behandelt wird symptomatisch, mit Magenspülung und evtl. Hämodialyse. Der wesentliche Unterschied zwischen der enteralen und der intravenösen Applikationsform ist jedoch der Kaliumgehalt. Während das Konzentrat zur Herstellung der Infusionslösung kaliumfrei ist, enthält die orale Lösung 1,94 mg/ml Kalium. Wird sie i.v. gespritzt, droht also eine Hyperkaliämie. Die Ärzte befürchteten auch eine Embolie, doch dies war nach Aussage des Apothekers pharmazeutisch unbegründet.
Weder Infektions- noch Hyperkaliämiezeichen
Stattdessen gab es ein gewisses Infektionsrisiko durch bakterielle Kontamination, denn die für die Magensonde vorgesehene Lösung stammte aus einer bereits geöffneten Anstaltspackung.
Sicherheitshalber wurde der alte Mann über Nacht auf der Notaufnahmestation behalten und engmaschig überwacht. Da es weder zu einer Infektion, noch zu einer Hyperkaliämie oder Zeichen einer Überdosierung kam, wurde er am nächsten Tag auf die Normalstation verlegt. Nachdem Tage später endlich der zuständige Betreuer erreicht worden war, revidierten die Ärzte das Sondensystem und entließen den Patienten wieder ins Pflegeheim.
Wie kann man solche Verwechslungen vermeiden? Medikamente sollten von der gleichen Person aufgezogen, beschriftet und appliziert werden, schreiben Dr. Knöchner und Sven Osthövener. In der Notaufnahme wäre ein Vier-Augen-Prinzip wünschenswert, ist aber vor allem zu Stoßzeiten personell nicht machbar. Um eine Verwechslung von gastral und intravenös zu applizierenden Medikamenten zu vermeiden, müssten dringend Magensonden eingesetzt werden, deren zugehörige Spritzen nicht mit der konventionellen Luer-Lock-Norm kompatibel sind. Es liege an der Industrie, solche Systeme zu liefern.
Tradiertes Verständnis von Schuld und Sühne
Am wichtigsten ist jedoch eine gute Fehlerkultur. Moderne Managementsysteme tragen dazu bei, Fehler zu erfassen und auszuwerten. Zentrale Bedingung dafür ist ein offenes, wertschätzendes Arbeitsklima. Es gewährleistet, dass Fehler sofort kommuniziert und unverzüglich die erforderlichen Schritte eingeleitet werden können. Dem steht aber oft noch einer „tradiertes Verständnis von Schuld und Sühne auf der Führungsebene gegenüber“, bemängeln Dr. Knöchner und Sven Osthövener.
Quelle: Knöchner S, Osthövener S. Wehrmedizinische Monatsschrift 2021; 65: 320-324
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