Ionisierende Strahlung – einmal ist kein Mal?

Tobias Stolzenberg; Foto: thinkstock

Ob akute hohe Belastung oder immer wieder geringer Beschuss: für das Krebsrisiko zählt die Lebenszeit-Dosis. Diese Erkenntnis hat Konsequenzen auch für die Medizin.

Über einen langen Zeitraum eine niedrige Dosis ionisierender Strahlen oder einmalig eine hohe Dosis abbekommen: Was für Betroffene zählt, ist offensichtlich die empfangene Gesamtdosis über die Lebenszeit. Das zeigt eine retrospektive Studie an mehr als 300 000 Mitarbeitern der Nuklearindustrie1. Hierfür griffen die Wissenschaftler auf Aufzeichnungen der Arbeitgeber aus den Jahren 1943 bis 2005 zurück.

Die Auswertung der INWORKS*-Studie unter Federführung der International Agency for Research on Cancer (IARC) zeigt dabei eindrucksvoll den kumulativen Effekt einzelner, bisher als weitgehend unbedenklich eingestufter Dosen ionisierender Strahlen. Es fand sich ein linearer Zusammenhang zwischen der Gesamtmenge über die Lebenszeit und dem Risiko, solide Tumoren auszubilden.

Krebsrisiko steigt mit der Gesamtdosis

Durchschnittlich lag die kumulative Belastung der Arbeiter bei 21 mGy. Die geschätzte Mortalitätsrate für alle Krebsarten (außer Leukämien) stieg – mit einer Verzögerung von zehn Jahren – pro Gray um 48 %. Für solide Karzinome allein lag diese Rate bei 47 %. Bisher habe man sich bei der Einschätzung des Krebsrisikos eher an den Auswirkungen weniger, aber hoher Belastungen orientiert und die Schäden durch langdauernde, niedrige Exposition unterschätzt, bemängelt das Team um Dr. David Richardson,
University of North Carolina in Chapel Hill.

Alles in allem schätzen die IARC-Wissenschaftler aber das Krebsrisiko, dem die untersuchten Nukleararbeiter an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt waren, als mäßig ein: Innerhalb der gesamten Kohorte war lediglich einer von hundert Todesfällen auf einen strahleninduzierten, soliden Tumor zurückzuführen, heißt es in einer Pressemitteilung2. Allerdings errechneten die Wissenschaftler eine Zunahme der Todesfälle auf 2,4 von hundert wenn die Strahlenbelastung um 5 mGy stieg.

Folgen von Bildgebung und Intervention werden unterschätzt

Die Ergebnisse der Untersuchung hätten nicht nur für den Arbeitsschutz innerhalb der Atomindustrie große Bedeutung, so das IARC weiter. Auch für den Umgang mit Patienten, die z.B. wiederholten Untersuchungen im Computer-Tomographen ausgesetzt sind, seien die aktuellen Erkenntnisse enorm wichtig. Bei der Entscheidung für derartige bildgebende Verfahren oder auch bei radiologischen Interventionen rücke angesichts der neuen Daten eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung noch mehr in den Vordergrund.

In einem begleitenden Editorial
bemängelt Dr. Mark P. Little, Epidemiologe an den National Institutes of Health in Bethesda einige methodische Schwächen der Studie wie den Einschluss aller soliden Tumoren3. Schließlich sollte man unter anderem die unterschiedliche Strahlensensibilität verschiedener Organe berücksichtigen. Doch letztlich passten die Resultate ohne Frage in das bisherige Bild: Für ionisierende Strahlung gebe es eben keine gänzlich gefahrlose Menge.

*International Nuclear Worker Study

Quelle: 1 David B. Richardson et al., BMJ 2015; 351: online first
2 Pressemitteilung Nr. 238 IARC und WHO vom 21. Oktober 2015
3 Mark P. Little, BMJ 2015; a.a.O.

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).