Keine Anfälle mehr – Medikamente absetzen?

DGN 2024 Friederike Klein

Bei einer entwicklungsbedingten epileptischen Enzephalopathie werden die Betroffenen nur selten anfallsfrei. Bei einer entwicklungsbedingten epileptischen Enzephalopathie werden die Betroffenen nur selten anfallsfrei. © Science Photo Library/PHANIE / BURGER

Bei welcher Art von Anfällen und in welchem Lebensalter können Anfallssuppressiva sicher abgesetzt werden? Das ist nicht leicht zu beantworten. Studien geben jedoch Hinweise darauf, wie hoch die Rezidivrisiken für
unterschiedliche Konstellationen sind.

Werden bei einem akut-symptomatischen Anfall Medikamente eingesetzt, können diese in der Regel bei Entlassung abgesetzt werden. Das Rezidivrisiko ist z. B. nach einem Anfall bei ischämischem Schlaganfall überschaubar. Bei chronischer Epilepsie ist die Entscheidung zum Absetzen anfallssupprimierender Mittel (ASM) jedoch komplizierter, wie Prof. Dr. Hajo Hamer vom Epilepsiezentrum des Uniklinikums Erlangen feststellte.

Am einfachsten ist die Situation bei einem bekannten Epilepsiesyndrom mit klarer Prognose. So heilen Absencen-Epilepsien bei Kindern und Jugendlichen zu 70–80 % bis zum Erwachsenenalter aus und die Chance ist hoch, dass nach dem Absetzen der Medikation kein Rezidiv auftritt. Noch besser ist die Aussicht auf ein rezidivfreies Leben ohne ASM bei der SELECTS (self limiting epilepsy with central temporal spikes), die im Wesentlichen der früheren Rolando-Epilepsie entspricht.

Dagegen haben Kinder mit entwicklungsbedingter epileptischer Enzephalopathie (z. B. Lennox-Gastaut-Syndrom) ein hohes Rezidivrisiko. „Die Frage des Absetzens stellt sich meist gar nicht, weil die Betroffenen nicht anfallsfrei werden“, so Prof. Hamer. Je später sich eine Epilepsie manifestiert, desto schlechter die Prognose hinsichtlich des Ausheilens. So ist das Rezidivrisiko bei juveniler Absenscen-Epilepsie höher als im Kindesalter. Bei der juvenilen myoklonischen Epilepsie beträgt es sogar mehr als 80 %.

Bei einer Erkrankung im Erwachsenenalter ist die Evidenz für das Absetzen dürftig, stellte der Experte fest. Idiopathisch bzw. genetisch generalisierte Epilepsien können im Verlauf milder werden, sodass ein Absetzen im Erwachsenenalter nicht gänzlich unmöglich ist. 

Die meisten Rezidive treten innerhalb eines Jahres auf

Die Chance auf eine anhaltende Anfallsfreiheit ist jedoch eher gering. In einer Studie mit 47 Patientinnen und Patienten hatten 53 % innerhalb eines Jahres nach Absetzen der ASM wieder ein Rezidiv. In einer anderen Studie lag die Rate erneuter Anfälle über drei Jahre nach Absetzen der ASM bei 45 %, wobei die meisten Anfälle im ersten Jahr nach Absetzen auftraten.

Ein signifikanter Prädiktor für das Auftreten erneuter Anfälle war ein anfallsfreier Zeitraum von weniger als zwei Jahren vor dem Absetzen. 80 % der Patientinnen und Patienten wurden bei erneuter Therapie mit ASM wieder anfallsfrei. Dies sollte man laut Prof. Hamer mit den Betroffenen im Vorfeld des Absetzens besprechen: Es besteht eine hohe Chance, nach einem Anfallsrezidiv wieder anfallsfrei zu werden, garantiert ist das aber nicht. Nach ungefähr einem Jahr Anfallsfreiheit ohne ASM kann man seiner Ansicht nach eine vorsichtige Entwarnung geben.

Nach der S2k-Leitlinie kann das Absetzen der ASM gemeinsam mit der Patientin oder dem Patient erwogen werden, wenn mindestens zwei Jahre lang keine Anfälle mehr aufgetreten sind. Das Absetzen kommt eher infrage, wenn eine günstige Konstellation im Hinblick auf mögliche Prädiktoren für Rezidive vorliegt. Auch ob die Therapie Nebenwirkungen hervorgerufen hat und wie dringlich die Betroffenen sich das Absetzen wünschen, z. B. wegen eines Kinderwunsches, sollte in die Entscheidung einfließen. Für ein Absetzen der ASM sprechen:

  • schnelle Anfallsfreiheit unter der initialen Monotherapie
  • insgesamt wenige Anfälle
  • epileptogene Läsionen entfernt
  • lange Anfallsfreiheit
  • unauffälliges EEG
  • Nebenwirkungen, die eine Veränderung notwendig machen

Gegen eine Unterbrechung der Therapie sprechen laut Prof. Hamer:

  • später Erkrankungsbeginn
  • Entwicklungsverzögerung
  • Fieberkrämpfe
  • unklare Ätiologie
  • in situ verbliebene epileptogene Läsion
  • Therapieerfolg erst nach mehreren Antikonvulsiva
  • erst seit Kurzem bestehende Anfallsfreiheit
  • pathologisches EEG (insbesondere epilepsietypische Potenziale) zum Zeitpunkt des Absetzens

Wurde das ASM bei normalem EEG abgesetzt, sollte im Verlauf eine Kontrolle erfolgen. Betroffene, die während des Absetzprozesses eine EEG-Verschlechterung zeigen, haben wahrscheinlich eine ungünstige Prognose hinsichtlich der Anfallsfreiheit, erläuterte Prof. Hamer. Allerdings beruht diese Annahme vor allem auf Absetzstudien bei Kindern.

Wichtig ist der richtige Zeitpunkt des Absetzens. Es sollte mit den Patientinnen und Patienten besprochen werden, wie gut ein Rezidiv in ihrer aktuellen Situation verkraftbar wäre, also z. B., wie wichtig die Fahreignung ist und wie das unterstützende Umfeld aufgestellt ist. Gerade die Frage der Fahreignung stimmt nach der Erfahrung von Prof. Hamer einige Patientinnen und Patienten um und sie nehmen vom Absetzen doch zunächst wieder Abstand von der Idee.

Quelle: 97. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie

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Bei einer entwicklungsbedingten epileptischen Enzephalopathie werden die Betroffenen nur selten anfallsfrei. Bei einer entwicklungsbedingten epileptischen Enzephalopathie werden die Betroffenen nur selten anfallsfrei. © Science Photo Library/PHANIE / BURGER