Mehr Nebenwirkungen und höherer Pflegeaufwand als unter Placebo

ERS 2024 European Respiratory Society

Auch in Europa greifen palliativmedizinisch Tätige bei schwerer Atemnot infolge von COPD oder ILD häufig zu Antidepressiva. (Agenturfoto) Auch in Europa greifen palliativmedizinisch Tätige bei schwerer Atemnot infolge von COPD oder ILD häufig zu Antidepressiva. (Agenturfoto) © RFBSIP - stock.adobe.com

Bei schwerer Atemnot im Zuge einer fortgeschrittenen COPD oder interstitiellen Lungenerkrankung ist der ärztliche Handlungsdruck groß, wirksame Medikamente sind rar. Eine Studie nimmt nun denjenigen den Wind aus den Segeln, die seit Langem off label auf Mirtazapin gesetzt hatten.

Auch in Europa greifen palliativmedizinisch Tätige bei schwerer Atemnot infolge von COPD oder ILD häufig zu Antidepressiva.1 Dieses Vorgehen wird teilweise durch die Leitlinien unterstützt. Die deutsche S3-Leitlinie zur Palliativmedizin für Krebskranke spricht sich allerdings explizit dagegen aus.2 Zu Recht, wie die BETTER-B-Studie zeigt, deren Ergebnisse Prof. Dr. ­Irene ­Higginson vom King‘s College in London vorstellte und die gleichzeitig publiziert wurde.3 Eigentlich hatte das Studienteam Daten zu Mirtazipin erwartet, die einen günstigen Effekt auf die Atemnot bei fortgeschrittener ILD oder COPD belegen. Denn im Rahmen der Studienplanung war man davon ausgegangen, dass sich nach 56 Tagen die schlimmste Atemnot der vergangenen 24 Stunden um mehr als 0,55 Punkte auf einer numerischen Ratingskala (NRS) bessert. Tatsächlich betrug der Unterschied bei Einnahme von Mirtazapin gegenüber Placebo im Mittel aber nur 0,11 Punkte. 

Für die Studie hatte das Team 225 Patientinnen und Patienten mit schwerer Atemnot rekrutiert, die in ihren Charakteristika dem entsprachen, was einem im praktischen Alltag begegnet, berichtete Prof. Higginson. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag bei 72,2 Jahren, 66 % waren Männer. Insgesamt 55 % hatten als Grunderkrankung eine COPD, 45 % eine ILD. Zusätzlich wiesen vier von fünf Teilnehmenden eine oder mehrere Begleit­erkrankungen auf. 16% wurden mit Opioiden behandelt. Nach dem Zufallsprinzip erhielt die eine Hälfte der Patienten über 56 Tage Mirtazapin oral. Die anfängliche Dosis von 15 mg/d wurde bei ausbleibendem Ansprechen auf 45 mg/d eskaliert. Die Kontrollen bekamen ein Scheinmedikament.

Den aktuellen Ergebnissen zufolge ist es unwahrscheinlich, dass Mirtazapin in einer Dosis von 15–45 mg/d über 56 Tage die schwere Atemnot bei COPD oder ILD reduziert, stellte Prof. Higginson fest. Zudem traten unter dem Verum öfter unerwünschte Wirkungen auf als unter Placebo (64 % vs. 40 %). Schwerwiegende Nebenwirkungen waren in beiden Gruppen ähnlich häufig (5 % vs. 6 %). Unter Mirtazapin kam es außerdem zu einer nicht näher beschriebenen unerwarteten schwerwiegenden Reaktion. Darüber hinaus verbrachten in dieser Studiengruppe doppelt so viele Patientinnen und Patienten eine oder mehrere Nächte wegen einer Akutversorgung im Krankenhaus (4,4 vs. 2,1). Auch suchten sie etwas häufiger ambulanten ärztlichen Rat (2,6 vs. 2,0). Angehörige wendeten außerdem mehr Zeit für die Versorgung der Betroffenen auf als in der Placebogruppe (153,3 h vs. 142,7 h). 

Prof. Higginson warnte davor, Medikamente wie Mirtazapin off label einzusetzen, nur weil man beispielsweise bei schwerer Atemnot irgendetwas tun möchte und die Medikamente für andere Indikationen verfügbar sind. Die BETTER-B-Studie zeige einmal mehr, wie wichtig es ist, mehr oder weniger etablierte Vorgehensweisen mit Off-Label-Präparaten in randomisierten kontrollierten Studien zu überprüfen.

Quelle: ERS* Congress 2024

*    European Respiratory Society

1.    Krajnik M et al. BMC Pulm Med 2022 ; 22: 41; doi: 10.1186/s12890-022-01835-0
2.    S3-Leitlinie „Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung“, AWMF-Register-Nr. 128-001OL, www.awmf.org
3.    Higginson IJ et al. Lancet Respir Med 2024; 12: 763-774; doi: 10.1016/S2213-2600(24)00187-5

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