Mehr revaskularisieren, statt amputieren!

Michael Brendler / Dr. Susanne Gallus

Auch nach missglückten Interventionen nicht einfach aufgeben. Auch nach missglückten Interventionen nicht einfach aufgeben. © Piorkowski M, Renczes J. internistische praxis 2018; 59: 203-212; © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach

Patienten mit kritischer Extremitätenischämie werden nach wie vor zu häufig amputiert. Die Ursachen: Mangelndes Wissen der Kollegen und fehlende interventionelle Kompetenz gerade bei komplexen Gefäßläsionen.

Vor einer Major-Amputation sollten alle Möglichkeiten ergriffen werden, um diese zu verhindern, fordern Dr. Michael Piorkowski und Dr. Johannes Renczes vom Cardioangiologischen Centrum Bethanien in Frankfurt. Dazu gehöre auch, ggf. eine auswärtige, nicht-chirurgische Expertise zu nutzen. Die Realität in Deutschland sei allerdings eine andere.

So zeigte eine retrospektive Analyse von Krankenkassendaten, dass bei 44 % der amputierten Patienten zuvor weder eine Gefäßdarstellung noch eine Revaskularisation erfolgt war. „Neben den falschen Anreizen der Vergütung von Amputationen fehlt an vielen Stellen das Wissen um die Möglichkeiten einer interventionellen Gefäßtherapie“, schreiben die beiden Kollegen.

Dabei ist die interventionelle im Vergleich zur chirurgischen Behandlung deutlich weniger invasiv und geht mit einer niedrigeren Morbidität und Mortalität einher. Laut S3-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Angiologie ist sie bei peripheren Gefäßverschlüssen und -stenosen das primär zu bevorzugende Verfahren.

Nicht aufgegeben

Als der 67-Jährige mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit in die Ambulanz des Bethanien Krankenhauses in Frankfurt kommt, sind zwei Zehen an seinem rechten Fuß infiziert und gangränös (Abb. 1). Die arterielle Versorgung ist unzureichend, der Fuß bedroht – schon wieder. Drei Jahre zuvor hatte sich der Diabetiker bereits einem gefäßchirurgischen Eingriff unterzogen. Ein popliteo-cruraler Venenbypass auf die A. fibularis sollte die Stenose aller drei Unterschenkelgefäße und die damit verbundene kritische Extremitätenischämie beheben. Kurz nach der OP waren die Durchblutungsverhältnisse dann auch so gut, dass die behandelnden Kollegen beschlossen, auf weitere revaskulisierende Maßnahmen zu verzichten. Nun das erneute Desaster, dem die Frankfurter zunächst mit vorsichtigem Débridement und adäquater Wund- und Schuhversorgung begegnen wollten. Allerdings kam es zum progredienten Gewebsuntergang (Abb. 2), weshalb sich die Kollegen dafür entschieden, die native Gefäßstrombahn zu rekonstruieren und den cruralen Bypass auszuschalten. Die erste Rekanalisation und Rekonstruktion von A. tibialis posterior und Tractus tibio-fibularis und der Bifurkation von A. fibularis und A. tibialis posterior führte kurzzeitig zur Besserung. Dann verschlechterte sich die Durchblutung des Fußes wieder, was ein erneutes Débridement erforderlich machte (Abb. 3). Durch einem zweiten interventionellen Eingriff u. a. mit medikamenten-beschichteten Ballons konnten die Kollegen dann eine langfristige Offenheit der ATP erreichen – der Fuß heilte ab (Abb. 4).

Für die genaue Planung braucht‘s die Angiographie

Voraussetzung ist die rasche und aussagekräftige Diagnostik. Mithilfe des Ultraschalls gelingt es in den meisten Fällen Art und Lage der Gefäßläsion und auch den möglichen Zugangsweg „hinreichend genau“ zu beurteilen. Außerdem lassen sich sonographisch Patienten mit neuropathischen Fußläsionen oder phlebologischen Ursachen ausschließen. Zur genauen Planung der Revaskularisation sollte man aber die invasive Gefäßdiagnostik, das heißt die Angiographie anstreben. Bei Niereninsuffizienten kann diese mit Kohlendioxid erfolgen oder man greift auf die kontrastmittelfreie Magnetresonanz-Angiographie zurück. Schnittbildverfahren ersetzen die Angiographie nicht, mahnen die Frankfurter Experten. Direkt im Anschluss an die diagnostische Gefäßdarstellung kann man mit der interventionellen Therapie starten, bei der man zwischen Komplettrevaskularisation und Revaskularisation nach dem Angiosom-Konzept unterscheidet. Durch vielfältige Zugangswege und -techniken sowie moderne Verschlusssysteme sind auch bei Mehretagenläsionen einzeitige Sanierungen der Iliakal-Strombahn bis in den Unterschenkel möglich. Das Angiosom-Konzept wird oftmals bei Patienten mit einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit des Unterschenkels, z.B. Diabetikern, verfolgt. Bei ihnen soll vor allem das Gefäß revaskularisiert werden, das das Wundgebiet spezifisch versorgt. Allerdings ist das Angiosom-Konzept nicht bei jedem Kranken umsetzbar und erfolgreich, weshalb über seine Anwendung immer im Einzelfall entschieden werden muss. Dabei sind der Aufwand für die Rekanalisierung und die zu erwartende Offenheitsdauer des Gefäßes zu berücksichtigen.

Moderne Systeme erhöhen die Erfolgsraten

Frustran enden die interventionellen Behandlungen u.a. dann, wenn der Verschluss oder die Stenose mit dem Führungsdraht nicht passiert werden kann oder nach subintimaler Passage das wahre Lumen nicht mehr erreicht wird. Je nach Gefäßbereich wurde über solche Misserfolge in bis zu 40 % der Fälle berichtet. Mittlerweile ließ sich die Quote aber durch sog. Re-Entry-Systeme und retrograde Rekanalisationstechniken verbessern. Bei Letzteren können zum Beispiel auch komplexe Läsionen der femoropoplitealen Achse über die distale A. femoralis superficialis oder über die hohe A. tibialis anterior behandelt werden. Dennoch wird häufig bei frus­tranen oder missglückten Interventionen der Ruf nach dem Chirurgen laut, bedauern Dr. Piorkowski und Dr. Renczes. Und das münde nicht selten in mehrfachen operativen Revisionen der Bypässe und schließlich in einer Major-Amputation. Spätestens vor diesem maximal invasiven Schritt sollte man den Patienten in einem Kompetenzzentrum vorstellen. Durch den therapeutischen Algorithmus – erst revaskularisieren, dann demarkierte Nekrosen entfernen – ist zwar das Risiko für einen septischen Krankheitsverlauf erhöht, die Chancen, dass die Extremität erhalten werden kann, steigen jedoch. Wichtig ist u.a. die enge Kooperation mit dem Fußchirurgen und mit einem Kollegen, der sich mit der Wundbehandlung bzw. mit dem neuropathischen Fußsyndrom auskennt, betonen die Frankfurter Angiologen. Die notwenigen Ultraschallkontrollen sollten gerade nach komplexen Revaskularisationen von einem Arzt durchgeführt werden, der über die interventionellen Prozeduren Bescheid weiß.

Re-Verschlüsse sind kein Indiz des Scheiterns

Am Unterschenkel ist die Ultraschalldiagnostik allerdings nicht ausreichend sensibel. Daher ist klinische Expertise gefordert, um Verschlechterungen rasch zu erkennen und dann zeitnah eine Re-Intervention durchführen zu können. Im Bereich der Becken- und Oberschenkelgefäße sind akute Re-Verschlüsse keine Seltenheit. Sie sind aber kein Zeichen für das Versagen der interventionellen Revaskularisation, betonten die beiden Experten. Vielmehr sollten sie Anlass sein, nach den Ursachen zu suchen – nach Re-Stenosen, Neo-Arteriosklerose bei unzureichend eingestellten Risikofaktoren (z.B. fehlendem Rauchverzicht), mangelnder Therapieadhärenz, nicht wirksamem Thrombozytenaggregationshemmer bei Non-Respondern. Durch die interventionelle Thromb-ektomie mit oder ohne regionale Lyse lässt sich nach Erfahrung von Dr. Piorkowski und Dr. Renczes das ursprünglich erzielte Ergebnis oft wiederherstellen.

Quelle: Piorkowski M, Renczes J. internistische praxis 2018; 59: 203-212; © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach

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Auch nach missglückten Interventionen nicht einfach aufgeben. Auch nach missglückten Interventionen nicht einfach aufgeben. © Piorkowski M, Renczes J. internistische praxis 2018; 59: 203-212; © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach
Abb. 1: Als der 67-Jährige mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit in die Ambulanz des Bethanien Krankenhauses in Frankfurt kommt, sind zwei Zehen an seinem rechten Fuß infiziert und gangränös (siehe Kasten). Abb. 1: Als der 67-Jährige mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit in die Ambulanz des Bethanien Krankenhauses in Frankfurt kommt, sind zwei Zehen an seinem rechten Fuß infiziert und gangränös (siehe Kasten). © Piorkowski M, Renczes J. internistische praxis 2018; 59: 203-212; © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach
Abb. 2: Es kam zum progredienten Gewebsuntergang (siehe Kasten). Abb. 2: Es kam zum progredienten Gewebsuntergang (siehe Kasten). © Piorkowski M, Renczes J. internistische praxis 2018; 59: 203-212; © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach
Abb. 3: Nach kurzzeitiger Besserung verschlechterte sich die Durchblutung des Fußes wieder (siehe Kasten). Abb. 3: Nach kurzzeitiger Besserung verschlechterte sich die Durchblutung des Fußes wieder (siehe Kasten). © Piorkowski M, Renczes J. internistische praxis 2018; 59: 203-212; © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach
Abb. 4: Durch einem zweiten interventionellen Eingriff u. a. mit medikamenten-beschichteten Ballons konnten die Kollegen dann eine langfristige Offenheit der ATP erreichen – der Fuß heilte ab (siehe Kasten). Abb. 4: Durch einem zweiten interventionellen Eingriff u. a. mit medikamenten-beschichteten Ballons konnten die Kollegen dann eine langfristige Offenheit der ATP erreichen – der Fuß heilte ab (siehe Kasten). © Piorkowski M, Renczes J. internistische praxis 2018; 59: 203-212; © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach
Mit einer retrograden Technik gelang es bei einer 92-Jährigen mit nicht heilendem Fersenulkus die Arteria tibialis posterior zu rekanalisieren. Mit einer retrograden Technik gelang es bei einer 92-Jährigen mit nicht heilendem Fersenulkus die Arteria tibialis posterior zu rekanalisieren. © Piorkowski M, Renczes J. internistische praxis 2018; 59: 203-212; © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach