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Mehr Therapiesicherheit bei Alpha-1-Antitrypsin-Mangel

Der Alpha-1-Antitrypsin-Mangel ist eine relativ seltene genetisch bedingte Erkrankung, die gekennzeichnet ist durch verminderte Spiegel von Alpha-1-Antitrypsin (ATT) im Serum. Diese führen zu einer erhöhten Aktivität der Elastase im Lungengewebe, wodurch unter anderem das Risiko für ein Emphysem steigt. Ein schwerer Mangel tritt meist in Verbindung mit dem homozygoten Pi*ZZ-Genotyp auf. Schätzungen zufolge liegt bei einer von 3.000 bis 5.000 Personen europäischer Abstammung der Pi*ZZ-Genotyp vor. Zudem gibt es zahlreiche weitere Varianten des betreffenden Gens.
Die einzige spezifische Behandlung, um Entwicklung bzw. Fortschreiten eines mit AAT-Mangel assoziierten Lungenemphysems zu bremsen, ist die intravenöse Substitution des fehlenden Proteins. Dieses wird aus Spenderplasma gewonnen und muss im Rahmen der so genannten Augmentationstherapie (AT) ein Leben lang einmal wöchentlich verabreicht werden. Obwohl diese Therapie seit über 35 Jahren zum Einsatz kommt, werden klinische Wirksamkeit sowie Indikationsstellung und Behandlungsschema nach wie vor kontrovers diskutiert. In einer aktuellen Publikation nimmt ein Forscherteam um Dr. Marc Miravitlles von der Universitätsklinik Vall d’Hebron in Barcelona Stellung zu strittigen Fragen.
Gibt es einen Schwellenwert für die Augmentationstherapie?
Das Konzept der Augmentationstherapie beruht auf der dauerhaften Anhebung des AAT-Serumlevels über einen protektiven Schwellenwert von 11 µmol/l. Gemessene Werte können allerdings variieren, ja nach Messverfahren und Gesundheitszustand des Patienten (z.B. akute Entzündung, Infekt, Schwangerschaft). Empfohlen wird deshalb, die Therapieindikation in erster Linie auf Basis des Genotyps zu stellen und nicht aufgrund von bestimmten AAT-Werten im Serum.
Wann ist der richtige Zeitpunkt für einen Therapiestart?
Ein Lungenemphysem entwickelt sich langsam. Insofern muss man eine AT nicht sofort beginnen. Der Zeitpunkt des Behandlungsbeginns sollte nach sorgfältiger Evaluation der klinischen und funktionellen Merkmale von einem Expertenteam festgelegt werden. Da es sich um eine lebenslange Injektionstherapie handelt, die nicht in jedem Fall einen Nutzen bringt, müssen Betroffene unbedingt in die Entscheidung einbezogen werden.
Nach welchem Dosierungsschema wird das Enzym gegeben?
Die zugelassene Dosierung für Alpha-1-Antitrypsin liegt bei 60 mg/ kgKG pro Woche. Teilweise werden die Infusionen auch off label in größeren Abständen verabreicht. Angesichts der Halbwertszeit des Alpha-1-Antitrypsins von 4,4 Tagen raten die Autoren zur wöchentlichen Applikation. Die Gabe von 120 mg/kgKG alle zwei Wochen ist Studien zufolge in der Regel gut verträglich und führt meist ebenfalls zu angemessenen Talspiegeln, schreiben sie. Von Infusionen in drei- oder vierwöchigem Rhythmus raten sie ab.
Ist die Augmentationstherapie auch bei Patienten mit sehr schwerer Erkrankung indiziert?
Signifikante Verbesserungen der Lungenfunktion bringt die Augmentation für Patienten mit einer FEV1 zwischen 35 % und 49 % des Solls, wie Auswertungen des NHLBI*-Registers vor einiger Zeit ergaben. Bei Werten darunter zeigte sie jedoch kaum einen Effekt. Die Autoren plädieren dennoch dafür, auch Patienten mit sehr schwerer Erkrankung (FEV1 < 30%) eine Augmentationstherapie nicht vorzuenthalten. Sie könne das Überleben der Betroffenen verbessern. Neuere Leitlinien tragen dieser neuen Erkenntnis Rechnung und nennen teils keine untere FEV1-Grenze mehr für die Indikation.
Sollten auch Patienten mit Bronchiektasie eine AT erhalten?
Bei Bronchiektasen ist die Augmentationstherapie aktuell nicht angezeigt, auch wenn sich in den Lungen von Patienten mit AAT-Mangel in der Regel eine erhöhte Elastaseaktivität nachweisen lässt. Derzeit gibt es keine Evidenz für die klinische Wirksamkeit oder für einen Nutzen hinsichtlich der Prävention von Exazerbationen. Die Autoren sprechen sich dafür aus, mehr Daten zur inhalativen Augmentationstherapie bei Bronchiektasen zu erheben.
Besteht die Indikation zur AT auch für Patienten mit komorbidem Asthma?
Häufig leiden Patienten mit einem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel gleichzeitig an Asthma, das pathophysiologisch durch das enzymatische Defizit befeuert werden kann. Trotzdem ist ein therapeutischer Ausgleich des Mangels in diesen Fällen derzeit nicht indiziert. Denn unter der Therapie wurde lediglich ein langsamerer Rückgang der Lungendichte nachgewiesen, jedoch keine weiteren signifikanten Effekte auf respiratorische Symptome oder Exazerbationen.
Ist eine AT bei Patienten mit Genotyp Pi*SZ oder Pi*MZ angezeigt?
Daten aus klinischen Registern belegen, dass zunehmend auch Patienten mit Genotyp Pi*SZ oder Pi*MZ behandelt werden. Die Autoren halten jedoch eine Augmentationstherapie bei Pi*MZ und in den meisten Fällen auch bei Pi*SZ aufgrund unzureichender Evidenz für nicht indiziert.
Sollte trotz Erhalt eines Spenderorgans eine AT erfolgen?
Letzte Option für Patienten mit Alpha-1-Antitrypsin-Mangel ist die Lungentransplantation. Das Ungleichgewicht zwischen Proteasen und Antiproteasen bleibt allerdings auch nach dem Eingriff bestehen. Einige Untersuchungen bestätigen der Augmentationstherapie jedoch einen präventiven Nutzen hinsichtlich Infektionen, Transplantaterhaltung und Vorbeugung von Abstoßungsreaktionen. Aufgrund der sehr limitierten Datenlage kann die Therapie für diese spezielle Patientengruppe nicht generell empfohlen werden.
Abschließend betonen die Autoren, dass es sich bei einem Alpha-1-Antitrypsin-Mangel um eine Erkrankung handelt, deren individueller klinischer Verlauf sehr schwer vorherzusagen ist. Die Meinungen, welcher Patient wann für eine Behandlung geeignet ist, gehen weit auseinander. Deshalb empfehlen Dr. Miravitlles und Kollegen, Patienten zumindest für die initiale Verschreibung einer Augmentationstherapie an ein spezialisiertes Referenzzentrum zu überweisen. Das weitere Management der Patienten könne, vor allem in ländlichen Gegenden, wohnortnah gestaltet werden. Nach Möglichkeit sollten ergänzend jährlich Kontrollen durch Spezialisten stattfinden.
* National Heart, Lung, and Blood Institute
Quelle: Miravitlles M et al. Eur Respir Rev 2023; 32: 230170; DOI: 10.1183/16000617.0170-2023
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