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Multisystematrophie als Parkinson maskiert
Als neurodegenerative Erkrankung ist die Multisystematrophie nicht nur eine diagnostische Herausforderung für Neurologen – auch Kardiologen, Urologen, Gastroenterologen, HNO-Ärzte und Schlafmediziner können mit den schwer einzuordnenden Symptomen konfrontiert werden, so Dr. Alessandra Fanciulli von der Abteilung für Neurologie der Universität Innsbruck (s. Kasten).
Bei 20 bis 75 % der Patienten beginnt die Multisystematrophie (MSA) schon Monate bis Jahre vor den ersten motorischen Auffälligkeiten mit typischen Prodromalsymptomen. Dazu gehören sexuelle Dysfunktion, Dranginkontinenz, orthostatische Hypotonie, inspiratorischer Stridor oder REM-Schlaf-Verhaltensstörungen.
Patienten, die am Parkinson-Subtyp erkranken, zeigen zunächst ein sogenanntes asymmetrisches Parkinson-Syndrom mit Bewegungsverlangsamung, Rigidität und Fallneigung. Ein Ruhetremor ist eher ungewöhnlich und nur 50 % haben einen Aktionstremor.
Wichtige Fakten zur Multisystematrophie |
Mit einer Häufigkeit von 0,6 bis 0,7 Fällen pro 100 000 Personenjahre zählt die Multisystematrophie (MSA) zu den seltenen Erkrankungen. Meist beginnt die MSA in der 6. Lebensdekade und nur wenige Patienten überleben mehr als 15 Jahre (im Mittel 6–10 Jahre).
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Aufgrund der fortschreitenden Degeneration des Striatums sprechen Betroffene schlecht auf L-Dopa an. Dies gilt wiederum als diagnostisches Kriterium, um das idiopathische Parkinson-Syndrom abzugrenzen. Ein vorübergehender Therapieerfolg mit L-Dopa lässt sich jedoch in frühen Stadien immerhin bei 40 % der Patienten erzielen. Beim zerebellären Subtyp steht anfangs die Kleinhirn-Ataxie im Vordergrund. Dazu gehören ein breitbeiniges Gangbild, unkoordinierte Extremitätenbewegungen, Aktionstremor und Nystagmus.
Parkinsonsymptomatik spricht
schlecht auf L-Dopa an
Spastizität und abgeschwächte Pyramidenzeichen sollten Zweifel an der Diagnose wecken – eine generalisierte Hyperreflexie und ein positives Babinski-Zeichen findet man dagegen in 30 bis 50 % der Fälle. Haltungsauffälligkeiten wie eine Wirbelsäulenverkrümmung mit schwerer Halsflexion oder Hand-Fuß-Dystonien gehören ebenfalls zu den motorischen Symptomen.
Frühe und schwere Ausfälle des autonomen Nervensystems sind das Markenzeichen der MSA:
- Bereits zum Zeitpunkt der Diagnose klagen Männer häufig über erektile Dysfunktion und Frauen über genitale Hyposensibilität. Dies geht oft einher mit Miktionsproblemen wie Dranginkontinenz, Pollakisurie und Nykturie – in seltenen Fällen auch mit einer inkompletten Blasenentleerung.
- Das kardiovaskuläre System ist meist in Form einer schweren orthostatischen Hypotension in Mitleidenschaft gezogen. Charakteristisch sind wiederholte Synkopen, Schwindelgefühl, Schwäche, Zittern, Kopfschmerzen und Schmerzen in der Nacken-Schulter-Muskulatur.
- Auch der Atemtrakt bleibt nicht verschont. Vor allem in späteren Stadien findet man einen inspiratorischen Stridor und 40 % der Patienten entwickeln ein Schlaf-Apnoe-Syndrom.
- Weitere autonome Symptome sind Auffälligkeiten der Pupillenmotorik und reduzierte oder fehlende Schweißbildung.
Wie behandeln? |
Präsentiert sich die Multisystematrophie als Parkinsonsubtyp kann anfangs L-Dopa helfen. Auch wenn es nicht zu wirken scheint, darf man es nicht abrupt absetzen, um keine plötzliche, irreversible Verschlechterung zu riskieren. Dopaminagonisten scheinen weniger wirksam zu sein.
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Demenz und visuelle Halluzinationen gehören eher nicht zu einer MSA, sie sollten eher an eine Lewy-Körperchen-Demenz denken lassen. Es kann aber zu Aufmerksamkeitsdefiziten, emotionaler Inkontinenz und Verhaltensstörungen wie Angst, Depressionen, Panikattacken und Selbstmordgedanken kommen.
Nach fünf Jahren sind 60 % auf den Rollstuhl angewiesen
Die Erkrankung schreitet meist rasch fort. Bereits fünf Jahre nach Beginn der motorischen Symptome sind 60 % der Patienten auf einen Rollstuhl angewiesen. Die Diagnose ist vor allem in frühen Stadien nicht einfach. Gesichert werden kann die MSA im Grunde nur post mortem anhand der typischen neurodegenerativen Veränderungen. Als „wahrscheinlich“ wird die MSA angesehen, wenn im Erwachsenenalter (> 30 Jahre) fortschreitende autonome Symptome plus eine Parkinson- oder Kleinhirnsymptomatik auftritt.
Bei einzelnen MSA-Symptomen, die keiner anderen Erkrankung zuzuordnen sind, spricht man von „möglicher“ MSA. PET-Untersuchungen mit verschiedenen Tracern können die Diagnose stützen und dienen wie weitere bildgebende Verfahren auch zum Ausschluss anderer Erkrankungen. Die Therapie ist rein symptomatisch (s. Kasten). Die autonomen Symptome erfordern ggf. eine engmaschige Betreuung durch Urologen, Kardiologen, Pneumologen und Gastroenterologen. Eine antidementive Therapie ist in der Regel nicht nötig. Bei Depressionen, Angst und emotionaler Inkontinenz können SSRI hilfreich sein.
Quelle: Alessandra Fanciulli et al., N Engl J Med 2015; 372: 249-263
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