Neue Marker braucht die Niere

Dr. Anne Benckendorff

Neue Marker weisen neue Möglichkeiten, aber auch einige Limitationen auf - angesichts der komplexen Schädigungsmechanismen gilt es, weitere Möglichkeiten zu untersuchen und zu entwickeln. Neue Marker weisen neue Möglichkeiten, aber auch einige Limitationen auf - angesichts der komplexen Schädigungsmechanismen gilt es, weitere Möglichkeiten zu untersuchen und zu entwickeln. © natali_mis – stock.adobe.com

Aktuell wird die Diagnose einer akuten Nierenfunktionseinschränkung anhand von Serumkreatinin und Urin­ausscheidung gestellt. Werden diese auffällig, ist die Niere allerdings schon stark geschädigt. Die Suche nach dem optimalen Frühmarker gestaltet sich schwierig.

Serumkreatinin und Urinausscheidung werden gemäß der allgemein anerkannten KDIGO*-Empfehlungen für die Stadieneinteilung der akuten Nierenschädigung (AKI) bzw. Nierenfunktionseinschränkung genutzt. Dadurch hat man zwar eine standardisierte einheitliche Klassifikation, doch das Serumkreatinin steigt erst an, wenn bereits mindestens die Hälfte der Nephrone verloren gegangen ist, warnen Dr. ­Moritz ­Schanz, Allgemeine Innere Medizin und Nephrologie am Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart und Prof. Dr. Martin Kimmel, Klinik für Nieren-, Hochdruck- und Autoimmunerkrankungen der Alb Fils Kliniken GmbH in Göppingen. 

Auch wenn die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) bereits abfällt, liegt das Serumkreatinin zunächst noch im Referenzbereich. Dies bedeutet, dass der Anstieg sich erst mit einer Latenz von rund 24 bis 48 Stunden nach der akuten Schädigung zeigt. Das therapeutische Fenster, das sich durch diese späte Diagnose möglicherweise auftut, ist somit sehr klein, der Schaden womöglich bereits unumkehrbar. Wünschenswert wäre es daher, eine Schädigung bereits im Frühstadium erkennen zu können – oder vielleicht sogar bereits das gestiegene Risiko für einen Schaden durch renalen Stress zu erfassen. 

Cystatin C spiegelt die GFR wohl besser als Kreatinin 

Ein neuerer, bereits verfügbarer Filtrationsmarker ist Cystatin C. Dabei handelt es sich um einen 13 kD großen Cystein-Proteinase-Inhibitor. Er ist aus Sicht der beiden Autoren möglicherweise als Biomarker für die glomeruläre Filtrationsrate besser geeignet als ­Serumkreatinin, weil er von weniger Störfaktoren abzuhängen scheint.  Dennoch ist auch Cystatin C nicht ganz ohne Bias. Der Stellenwert von traditionellen Verfahren und Markern wie Urinmikroskopie, Urin-Indizes und tubulären Enzymen ist für die AKI-Diagnostik dagegen beispielsweise aufgrund der geringen Sensitivität und mangelnder Validierung gering. 

In den letzten Jahren wurden eine ganze Reihe von Molekülen auf ihre Tauglichkeit als mögliche Biomarker für das frühe Erkennen einer Nierenschädigung untersucht. Ihr Einsatz muss individuell in Abhängigkeit vom Risikoprofil erfolgen, um eine ausreichende Aussagekraft zu erreichen, schreiben die Autoren. Die gewählten Moleküle entstehen im Rahmen spezifischer pathophysiologischer Prozesse in unterschiedlichen Abschnitten der Niere. 

Potenzielle Indikatoren noch ohne Grenzwerte

Einige von ihnen hat man unter kontrollierten Studienbedingungen untersucht und gute prädiktive Werte ermittelt. Jedoch war die Vorhersagekraft unter Standardbedingungen – beispielsweise bei verschiedenen Komorbiditäten oder bei unbekanntem Zeitpunkt der Nierenschädigung – gering. Zwar korrelierte eine Veränderung mit einer Zunahme der Schädigung, routinemäßig nutzbare Grenzwerte exis­tieren aber (bislang) nicht. 

  • Neutrophil Gelatinase Associated Lipocalin hat sich im pädia­trischen herzchirurgischen Setting als prädiktiv für eine AKI erwiesen und war 1–3 Tage vor dem Serumkreatininanstieg positiv. 

  • Kidney Injury Molecule-1 zeigt eine Tubulusschädigung an.

  • Liver-Type Fatty Acid

Binding Protein scheint eine AKI bei Ischämie-Reperfusions-/Kontrastmittelschäden vorhersagen zu können und böte sich möglicherweise auch als therapeutischer Wirkstoff an. 

  • Interleukin-18 ist sowohl an inflammatorischer, als auch an ischämischer Nierenschädigung beteiligt. 

  • Der Spiegel von CC-Chemokine Ligand 2 (CCL2) steigt bei ­Ischämie-/Reperfusionsschäden ebenfalls an.

NephroCheck hat Stresstest bereits bestanden

Allerdings weisen auch die neuen Marker Limitationen auf. Abgesehen von den fehlenden Grenzwerten sind sie nicht immer spezifisch für eine Nierenschädigung und/oder werden durch verschiedene Störfaktoren beeinflusst. 

Bereits kommerziell erhältlich als NephroCheck ist der Urin-­Biomarker [TIMP-2]-[IGHBF7]. Als Stressmarker steigt er bereits an, bevor ein manifester Nierenschaden entstanden ist. Mit seinem Einsatz ließ sich bei (herz-)chirurgischen Patienten die AKI-Inzidenz senken, so die Autoren. Weiterhin befindet sich das Protein Dickkopf-3 (­DKK 3) in der Pipeline – nicht nur als Stress-, sondern auch als prognostischer Marker. Angesichts der vielfältigen Schädigungsmechanismen könnten sich auch Mikro-RNA-­Panels als vielversprechend erweisen. Zudem gehen die Experten davon aus, dass auch Künstliche Intelligenz in Zukunft bei der AKI-Prädiktion helfen wird.

* Kidney Disease: Improving Global Outcomes

Quelle: Schanz M, Kimmel M. Dtsch Med Wochenschr 2023; 148: 610-619; DOI: 10.1055/a-1916-7598

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Neue Marker weisen neue Möglichkeiten, aber auch einige Limitationen auf - angesichts der komplexen Schädigungsmechanismen gilt es, weitere Möglichkeiten zu untersuchen und zu entwickeln. Neue Marker weisen neue Möglichkeiten, aber auch einige Limitationen auf - angesichts der komplexen Schädigungsmechanismen gilt es, weitere Möglichkeiten zu untersuchen und zu entwickeln. © natali_mis – stock.adobe.com