Nüchtern oder mit der Mahlzeit?

Dr. Melanie Söchtig

„Auf nüchternen Magen einnehmen“ heißt auf die Morgenmahlzeit bezogen i.d.R.: 30-60 min vor dem Frühstück. „Auf nüchternen Magen einnehmen“ heißt auf die Morgenmahlzeit bezogen i.d.R.: 30-60 min vor dem Frühstück. © Dobrila Vignjevic/ gettyimages

Bei der Neuverordnung eines Medikaments klären Ärzte und Apotheker die Patienten in der Regel zu dessen Anwendung auf. Was viele vergessen: Auch Zeitpunkt und Zusammensetzung der Mahlzeiten können den Therapieerfolg beeinträchtigen.

Die Anweisung „auf nüchternen Magen einnehmen“ findet sich in der Gebrauchsinformation zahlreicher Medikamente. Wann man wirklich nüchtern ist und welche Wechselwirkungen es zwischen Nahrungs- und Arzneimitteln zu beachten gibt, erklärt ­Holger ­Petri von der Zentral­apotheke der Wicker Kliniken in Bad Wildungen.

In Abhängigkeit von der Nahrungsaufnahme kann sich die Arzneistoffexposition verstärken oder herabsetzen. So verzögert beispielsweise eine verlangsamte Magenentleerung den Wirkeintritt von bestimmten Analgetika. Im Fall von wasserlöslichen und flüssigen Substanzen wie Metamizol und Tramadol lässt sich dieses Problem umgehen, indem die Einnahme mit ausreichend Wasser erfolgt. Gleiches gilt für orodispersible Tabletten, den sogenannten Schmelztabletten.

Bei Arzneimitteln, die schlecht wasserlöslich sind, erhöht die Nahrungsaufnahme oft die maximale Plasmaspiegelkonzentration. Das atypische Neuroleptikum Ziprasidon ist ein Beispiel, bei dem dieser Effekt besonders ausgeprägt ist. Es sollte mit einer Mahlzeit, die mindestens 500 kcal enthält, eingenommen werden.

Wann ist der Magen komplett entleert?

Für Arzneimittel mit enger therapeutischer Breite wird die Einnahme auf nüchternen Magen empfohlen, da sonst unvorhersehbare Blutspiegelschwankungen drohen. Hierzu zählen Tyrosinkinase-Inhibitoren, deren Einnahme mindestens zwei Stunden nach bzw. eine Stunde vor einer Mahlzeit erfolgen sollte. Für die Anwendung von Abirateron wird sogar ein leerer Magen und damit ein deutlich längerer Mahlzeitenabstand gefordert. Die Einnahme auf nüchternen Magen empfiehlt sich auch bei monolithischen Arzneimittelformen, da diese erst in einer späteren Phase, zusammen mit nicht-verdaulichen Bestandteilen aus dem Magen entlassen werden.

Mit hoher Sicherheit kann man von einem leeren Magen nach ausreichender Nachtruhe ausgehen. Bei gesunden Menschen liegt die mittlere Magenentleerungszeit bei 2–4 kcal/min. Je nach Gehalt der Mahlzeit ist der Magen also möglicherweise erst nach sechs Stunden vollständig entleert. Ein Patient, der drei Hauptmahlzeiten und weitere Zwischenmahlzeiten verzehrt, erreicht den Nüchternzustand also tagsüber vermutlich nie. Entsprechend sollte die Medikamenteneinnahme nach Möglichkeit auf die Morgenstunden verlegt oder die Kalorienaufnahme limitiert werden. 

Kalzium und Magnesium bilden­ als mehrwertige Kationen schwerlösliche, schlecht resorbierbare Chelatkomplexe mit einigen Wirkstoffen. Deshalb reduzieren Milch und Milchprodukte die Bio­verfügbarkeit des Antibiotikums Ciprofloxacin um 30 %. Aber auch Wasser mit einem hohen Kalziumgehalt kann die Resorption bestimmter Medikamente wie Bisphosphonate beeinträchtigen. Noch stärker ist der Effekt von polyvalenten Kationen auf den Thrombopoetin-Rezeptor­agonisten Eltrombopag, der eine kalziumarme Ernährung (Lebensmittel mit weniger als 50 mg) erfordert.

Warum die Grapefruit toxisch wirken kann

Bestimmte Inhaltstoffe, vor allem aus der Grapefruit, aber auch aus Pomelo und Bitterorange, hemmen das Enzym CYP3A4. Indem sie eine kovalente Bindung mit dem Enzym eingehen, ist diese Hemmung irreversibel, sodass auch ein zeilticher Abstand nach Konsum des Grapefruitsafts eine Wechselwirkung nicht verhindern kann. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Plasmakonzentrationen von CYP3A4-Substraten wie Simvastatin, Domperidon, Oxycodon und Ciclosporin ein toxisches Niveau erreichen.

Bei Clozapin ist Vorsicht mit Tee und Kaffee geboten

Koffein verlangsamt über eine kompetitive Hemmung den Metabolismus von Wirkstoffen, die über das Enzym CYP1A2 verstoffwechselt werden. In der Folge steigen die Plasmakonzentrationen. Relevant ist dies unter anderem bei dem atypischen Neuroleptikum Clozapin, weshalb die Patienten ihren Kaffee- oder Teekonsum nach dem Erreichen stabiler Plasmaspiegel konstant halten sollten. Darüber hinaus bilden Gerbstoffe, die ebenfalls in Tee und Kaffee enthalten sind, Präzipitate mit Butyrophenonen, dem atypischen Neuroleptikum Risperidon und einigen stickstoffhaltigen, basischen Psychopharmaka wie Promethazin. Haben sich solche Präzipitate gebildet, wird der Wirkstoff hieraus nicht mehr resorbiert. 

Eine plötzliche und drastische Umstellung der Ernährung führt mitunter dazu, dass sich aktive Substanzen aus Arznei- und Nahrungsmitteln direkt in ihrer Wirkung beeinflussen. So kann ein erhöhter Koffein- oder Alkoholkonsum Wechselwirkungen im zentralen oder vegetativen Nervensystem hervorrufen. Außerdem sollten Menschen mit chronischem Alkoholmissbrauch auf Paracetamol und andere potentiell hepatotoxische Arzneimittel verzichten. Bei Einnahme des Reserve­antidepressivums Tranyl­cypromin, einem nicht-selektiven MAO-Hemmer, ist der Verzicht auf biogene Amine angeraten. Denn deren Abbau wird durch die Medikation beeinträchtig­t und dadurch kann es zu Bluthochdruckkrisen kommen.

Quelle: Petri H. internistische praxis 2023; 67: 137-149

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„Auf nüchternen Magen einnehmen“ heißt auf die Morgenmahlzeit bezogen i.d.R.: 30-60 min vor dem Frühstück. „Auf nüchternen Magen einnehmen“ heißt auf die Morgenmahlzeit bezogen i.d.R.: 30-60 min vor dem Frühstück. © Dobrila Vignjevic/ gettyimages