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Ohnmacht kommt vor dem Fall

Ich kann mich nicht mehr erinnern, warum ich gestürzt bin“ – diese Aussage hört man von älteren Menschen, die hingefallen sind, häufig. Solchen Stürzen mit unklarer Ursache könnte öfter als bislang angenommen eine orthostatische Synkope zugrunde liegen, berichtet Prof. Dr. Christina Haubrich, Neuro Praxis Düsseldorf, in einer aktuellen Publikation.
Hinweise auf eine Ohnmachtsattacke ergeben spezielle Umstände und Symptome, die man in der Anamnese erfragen sollte. Doch auch wenn man nach solchen Vorzeichen fragt, können sich viele Patienten nicht unbedingt daran erinnern. Ein verkürzter Schellongtest mit dreiminütiger Stehzeit sollte deshalb in der Abklärung von Sturzursachen bei älteren Menschen nicht fehlen. Er kann Hinweise auf eine Kreislaufregulationsstörung liefern.
Auch wenn bei der Kipptischuntersuchung eine orthostatische Hypotonie festgestellt wird, d.h. ein Abfall des systolischen Blutdrucks um mindestens 20 mmHg und des diastolischen um mindestens 10 mmHg beim Aufrichten, tolerieren dies die meisten Patienten beschwerdefrei. Die stärksten Blutdruckabfälle beobachtet man bei Patienten, die im Liegen hypertone Blutdruckwerte aufweisen. Dies sind sehr häufig Patienten mit neurologischen oder neurodegenerativen Erkrankungen – die zu den wichtigen Risikofaktoren für orthostatische Synkopen gehören. Kardiale Erkrankungen erhöhen das Risiko ebenfalls.
Hinweise auf einen Ohnmachtsanfall
Wenn diese Umstände oder Symptome vor einem Sturz zutrafen, macht das eine Synkope als Ursache für das Hinfallen wahrscheinlicher:
- Schwindel
- Benommenheit
- langes Stehen
- plötzliches Aufrichten
- Einnahme bestimmter Medikamente
- Hitze
- Schmerzen
Blutdrucksenker und Bettruhe begünstigen Synkopen
In der Medikamentenanamnese sollte man vor allem auf Blutdrucksenker, Nitrate, Antiarrhythmika, Digoxin, Neuroleptika, trizyklische Antidepressiva, Benzodiazepine und L-Dopa achten. Schließlich muss an begünstigende Faktoren gedacht werden wie vorausgehende lange Bettruhe, Gewichtsverlust, Diarrhö, Dehydratation oder große Mahlzeiten.
Etwa ein Drittel der Patienten mit neurologischen Erkrankungen entwickelt im Rahmen einer Orthostase keine typischen Symptome wie Schwindel. Hingegen werden häufig atypische Beschwerden beobachtet wie Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen oder ein Schweregefühl in den Beinen. Dies ist ein weiterer Grund dafür, dass Synkopen übersehen werden.
Die Autorin berichtet über einen 80-jährigen Mann mit Polyneuropathie, der mehrfach gestürzt war. Meist geschah dies, wenn er sich aus dem Liegen oder Sitzen aufrichtete. Da die Polyneuropathie bereits zu einer Muskelatrophie der Beine geführt hatte, nahm man zunächst an, dass die Stürze paresebedingt seien. Doch die Kipptischuntersuchung zeigte einen massiven Abfall des Blutdrucks um 50 mmHg systolisch und 30 mmHg diastolisch nach dem Aufrichten in 70°-Position. Ein passageres Schwindelgefühl gab der Patient erst an, als der Blutdruck bereits wieder anstieg. Auch die Herzfrequenz stieg erst eine Minute nach dem Aufrichten an. Es handelte sich hier um eine verzögerte Kreislaufreaktion beim Aufstehen, bedingt durch verspäteten Anstieg des peripheren arteriellen Widerstands oder des kardialen Schlagvolumens.
Derselbe Patient berichtete auch, dass seine Ohnmachtsanfälle besonders häufig auftraten, wenn er sich nach einer Mahlzeit aufrichtete. Die autonome Funktionsdiagnostik ergab eine Störung des Baroreflexes als Ursache. Mithilfe des Valsalva-Manövers gelang es dem Patienten, sein Kreislaufproblem gut in den Griff zu bekommen. Dazu trug auch bei, dass er den Rat befolgte, lieber mehrere kleinere Mahlzeiten zu sich zu nehmen und vor dem Essen immer zwei bis drei Gläser Wasser zu trinken.
Plötzlicher Blutdruckabfall um 100 mmHg systolisch
Einen besonders heftigen Absturz des Blutdrucks beobachtete man in der Kipptischuntersuchung bei einem 78-jährigen Patienten mit Parkinsonerkrankung. Im Liegen wies der Patient eine arterielle Hypertonie auf. Beim Aufrichten in die 70°-Position fiel der Blutdruck um 100 mmHg systolisch und 35 mmHg diastolisch. Die Herzfrequenz stieg nach dem Aufrichten nur um 10 Schläge/min. Der Patient gab ein leichtes Schwindelgefühl an. Immer wieder war er in der Vergangenheit gestürzt, ohne dass dafür eine Ursache gefunden wurde.
Wenn notwendig, kann ein erniedrigter Blutdruck im Stehen medikamentös, z.B. mit Midodrin, angehoben werden. Das Medikament sollte vormittags appliziert werden, damit nicht die Hypertonie im Liegen verstärkt wird. Die horizontale Position sollte der Patient tagsüber vermeiden. Für die Nacht ist es empfehlenswert, den Oberkörper um etwa 20° erhöht zu lagern, um den Blutdruck im Liegen zu senken. Generell sollte die medikamentöse Senkung des Blutdrucks am Tag aber bei Patienten mit neurogenen Kreislaufstörungen vorsichtig gehandhabt werden, so Prof. Haubrich. Als weitere vorbeugende Maßnahmen bieten sich – neben der immer nötigen Aufklärung der Patienten und ihrer Angehörigen – an, dass die Betroffenen ein Blutdrucktagebuch führen, kleinere und kohlenhydratarme Mahlzeiten zu sich nehmen und ggf. Kompressionsgurt oder Kompressionsstrümpfe tragen. Das Kreislaufvolumen lässt sich durch eine tägliche Trinkmenge von 1,5–2‚0 l sowie, wenn möglich, 5 g Kochsalz pro Tag erhöhen. Akute Gegenmaßnahmen bei drohenden Synkopen sind physikalische Manöver (Hocken, Kreuzen der Beine und Anspannung der Bein-, Gesäß-, Bauch- und Armmuskeln) sowie das schnelle Trinken von 500 ml Flüssigkeit, das einen raschen Blutdruckanstieg bedingt.
Quelle: Haubrich C. Nervenheilkunde 2022; 41: 465-470; DOI: 10.1055/a-1846-4835
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