Pädophilie wegspritzen? Medikament scheint Triebe von potenziellen Tätern zu bremsen

Michael Brendler

Nach der Behandlung fühlten sich die Probanden weniger zu Kindern hingezogen. Nach der Behandlung fühlten sich die Probanden weniger zu Kindern hingezogen. © kalligrafie – stock.adobe.com

Rund zehn Jahre ringen Pädophile mit ihren Gefühlen, bis sie sich an Kindern vergehen. Zeit, präventiv einzugreifen, gäbe es also genug. Allerdings mangelte es bisher an Evidenz für entsprechende medikamentöse Optionen.

Nun wurde durch eine randomisierte Studie erstmals belegt, dass ein Gonadotropin-Releasing-Hormon(GnRH)-Antagonist relativ kurzfristig Schlimmeres verhindern kann. Das Mittel ist nicht unbekannt: Bereits vor zwölf Jahren wurde Degarelix für die Therapie des Prostatakarzinoms zugelassen. Der GnRH-Antagonist senkt den Tes­tosteronspiegel innerhalb weniger Tage auf Kastrationslevel, GnRH-Agonisten brauchen dafür 1–3 Monate. Zudem kommt es bei ihrem Einsatz anfangs zu kurzzeitigen Testosteron-Anstiegen.

Mangels Evidenz kam Degarelix dagegen bei pädophiler Störung bisher nur sehr selten zum Einsatz. Ethisch hatten es viele Behörden für fragwürdig gehalten, die Therapie von „antipädophil“-wirkenden Medikamenten langfristig bei Patienten mit hohem (Rückfall-)Risiko placebokontrolliert zu testen.

Sexualforscher bezeichnet Studie als Meilenstein

Dr. Valdemar Landgren vom Institut für Neurowissenschaften und Physiologie der Universität Göteborg und seine Kollegen fanden einen Ausweg aus diesem Dilemma. Sie behandelten in einer Doppelblindstudie 52 Hilfesuchende bei einer schwedischen Telefonhotline für ungewollte Sexualität entweder mit 240 mg Degarelix oder Placebo per Subkutanspritze. Nur wenige wurden als Hochrisikopatienten eingestuft und die schnelle Wirkung des Medikaments erlaubte ein verhältnismäßig kurzes Studienintervall.

Zwei und zehn Wochen später bestimmten die Wissenschaftler das Risiko der Teilnehmer zwischen 18 und 66 Jahren, Kindesmissbrauch zu begehen, anhand eines Komposit-Punktwertes (0–15 Punkte). Dieser setzte sich aus dem Abschneiden bei Messungen einzelner Risikofaktoren zusammen – sexuelle Präokkupation, gestörte Selbstregulierung, vermindertes Empathie­gefühl, Pädophilie und Risiko-Selbsteinschätzung.

Nach zwei Wochen war der Kompositwert unter Degarelix um drei Punkte signifikant abgesunken, bei einem Ausgangswert von 7,4 von 15 möglichen Punkten. Das Placebo hatte ihn nur um 1,2 Punkte reduziert. Acht Wochen später schnitt die Placebogruppe ebenfalls schlechter ab – zudem wurden erstmals Unterschiede bei Risikofaktoren, wie sexuelle Präokkupation und Pädo­philie, nachgewiesen.

Bei zweien der 25 Degarelix-Probanden hatten allerdings Suizidgedanken zu einer stationären Einweisung geführt. Zudem ließen sich als Nebenwirkung lokale Reaktionen auf die Spritze und erhöhte Leberwerte feststellen. Abschließend zeigte sich, dass nach zehn Wochen 58 % der Degarelix-Gruppe angaben, Minderjährigen gegenüber keine sexuelle Anziehung mehr zu empfinden. Die gleiche Anzahl äußerte den Wunsch, die Therapie weiterzuführen.

„Einen Meilenstein“ nennt Professor Dr. Peer Briken vom Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf die Studie in seinem begleitenden Kommentar. Die Autoren selbst halten sogar eine Behandlung mit Degarelix bei jedem hilfesuchenden Pädophilen für erwägenswert.

Quellen:
1. Landgren V et al. JAMA Psychiatry 2020; DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2020.0440
2. Briken P. A.a.O.; DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2020.0430

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Nach der Behandlung fühlten sich die Probanden weniger zu Kindern hingezogen. Nach der Behandlung fühlten sich die Probanden weniger zu Kindern hingezogen. © kalligrafie – stock.adobe.com