Pharmakotherapie bei Senioren - das ist zu beachten

Dr. Andrea Wülker

Interaktionen und Nebenwirkungen verschiedener Arzneimittel sind häufig. Dies muss vor allem bei multimorbiden, betagten Patienten bedacht werden.

Ältere Menschen haben meist mehrere somatische Erkrankungen, außerdem kommt es mit zunehmendem Alter zu Veränderungen der Pharmakokinetik und -dynamik. Dies erhöht das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen und -interaktionen.


Kombinationstherapien führen bei geriatrischen Patienten signifikant häufiger als Monotherapien zu Stürzen und deliranten Zuständen, schreiben Privatdozent Dr. Walter Hewer von der Gerontopsychiatrischen Abteilung des Vinzenz von Paul Hospitals in Rottweil und Mitarbeiter in der Zeitschrift „Psychopharmakotherapie“.

Delirant durch anticholinerg wirkende Medikamente

Insbesondere Arzneien mit anticholinerger Wirkung fördern die Entwicklung eines Delirs, während psychotrope Substanzen (Antipsychotika, Antidepressiva, Anxiolytika und Hypnotika) sowie Herz-Kreislauf-Medikamente (Antihypertensiva, Nitrate, Antiarrhythmika) Sturzereignisse provozieren können.


Einige Arzneimittel erscheinen bei betagten Patienten bereits als Monotherapeutikum problematisch (s. Kasten). Kombinationen mit diesen Pharmaka sollten vermieden werden, empfehlen die Autoren. Für sehr kritisch halten die Kollegen Substanzen mit starker anticholinerger Wirkung (z.B. Amitriptylin, Promethazin), da diese bei Patienten mit Demenz oder MCI (mild cognitive impairment) die Kognition verschlechtern und die Wirkung von Cholinesterasehemmern antagonisieren können.


Zu beachten ist ferner, dass auch Wirkstoffe, die nicht zwingend mit unerwünschten Wirkungen auf das cholinerge System assoziiert werden, bedeutsame anticholinerge Effekte entfalten können, z.B. Furosemid und Theophyllin.



Für ältere Patienten problematisch*

• Lang wirksame Benzodiazepine (Flurazepam, Chlordiazepoxid)
• Kurz wirksame, höher dosierte Benzodiazepine (Lorazepam > 3 mg/d; Oxazepam > 60 mg/d)
• Trizyklische Antidepressiva (Amitriptylin, Doxepin)
• Antihistaminika (Diphenhydramin, Promethazin)
• Thioridazin
• Fluoxetin
• Barbiturate (Ausnahme: Phenobarbital als Antikonvulsivum)

*Auszug aus der Beers-Liste

Achtung: Gefährliche Interaktionen bei Psychopharmaka

Psychotrope Substanzen können untereinander zu teils gefährlichen Interaktionen führen. Ein Beispiel für klinische Folgen ist das Serotonin-Syndrom, das zwar in seltenen Fällen auch bei einer SSRI-Monotherapie möglich ist, doch insbesondere bei der Kombination serotonerger Medikamente beobachtet wird.


Ein Serotonin-Syndrom zeigt sich ggf. nur durch verstärkten Tremor mit Myoklonien. Doch auch lebensbedrohliche Symptome mit schwersten Störungen des Herz-Kreislauf-Systems oder der Bewusstseinslage kommen vor. Diese Risiken bestehen vor allem für Patienten, bei denen serotonerge Medikamente wie SSRI oder Clomipramin mit einem MAO-Hemmer kombiniert werden.

Durch Antibiotika klettert der Spiegel der Antidepressiva

Auch Interaktionen zwischen psychotropen Wirkstoffen und Medikamenten gegen somatische Erkrankungen sind einzukalkulieren. Benötigt ein älterer Patient z.B. ein Antibiotikum, sind die Wechselwirkungen zu beachten, die durch das Cytochrom-P450-System verursacht werden. Ciprofloxacin beispielsweise führt zu einer starken Hemmung von Cytochrom-P450-Isoenzymen mit der Folge, dass die Plasmaspiegel von Duloxetin, Clozapin oder Ropinirol sehr stark ansteigen können, evtl. sogar in den toxischen Bereich.


Als kritisch gelten auch Wechselwirkungen zwischen psychotropen Substanzen und Diuretika. Besondere Vorsicht ist bei einer Kombination von Lithiumsalzen mit Diuretika geboten, weil es hier durch eine verminderte Lithium-Clearance zu einer lebensbedrohlichen Lithiumintoxikation kommen kann.

Nebenwirkungen bestimmter Arzneimittel potenzieren sich

Die Autoren nennen zahlreiche weitere mögliche Medikamenten-Interaktionen, beispielsweise zwischen Psychopharmaka und Antidiabetika, Gerinnungshemmern, Urologika (anticholinerge Wirkungen von Medikamenten zur Behandlung der Reizblase oder der Dranginkontinenz!) und antineoplastisch wirksamen Substanzen.


Klinisch bedeutsam sind auch die potenziellen Nebenwirkungen, die bei einer Kombination von Psychopharmaka und Schmerzmitteln auftreten können. Zentral wirksame Analgetika entfalten sedierende und delirogene Effekte, die sich verstärken können, wenn der Patient gleichzeitig Benzodiazepine, Antidepressiva oder Antipsychotika mit anticholinerger Wirkung nimmt. Auch nichtsteroidale Antirheumatika können gegebenenfalls delirogen wirken, erinnert das Autorenteam.


Paracetamol, Metamizol, Tilidin/Naloxon und Buprenorphin gelten bei geriatrischen Patienten dagegen als relativ sicher. Wer ältere Patienten behandelt, sollte immer die Grundsätze der Arzneimitteltherapie im Alter beachten, raten die Autoren. Bei der Vielzahl möglicher Wechselwirkungen sind elektronische Datenbanken hilfreich, um sich rasch über mögliche Interaktionen zu informieren.

Bei Kombinationen zu beachten

Bei Senioren ist Vorsicht bei Substanzen mit anticholinerger Begleitwirkung geboten:
•    Besonders riskante Kombinatio­nen vermeiden
•    „Start low, go slow“ –  wo immer möglich
•    Polypharmazie (fünf oder mehr Medikamente) möglichst umgehen
•    Sorgfältige Überwachung
•    Aufklärung des Patienten/seines Rechtsvertreters über potenzielle Risiken der Medikation
•    Elektronische Interaktions-Datenbanken nutzen:
    www.psiac.de
    www.mediQ.ch
    www.genemedrx.com


Walter Hewer et al., Psychopharmakotherapie 2011; 18: 10–17

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