Warum viele Senioren potenziell schädliche Medikamente erhalten

Schlechtes Nutzen-Risiko-Verhältnis und/oder unsicherer therapeutischer Effekt – diese Merkmale kennzeichnen eine „potenziell inadäquate Medikation“ bei Senioren. In Deutschland warnt die sogenannte PRISCUS-Liste (lat. priscus = alt, altehrwürdig) vor 83 Arzneimitteln, auf die man bei älteren Patienten besser verzichten sollte. Bleibt die Frage, ob Hausärzte hierzulande diese Liste auch nutzen.
Das Team um Diplompsychologin Dr. Nadine Janis Pohontsch vom Institut für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf interviewte 42 Allgemeinmediziner und diskutierte mit ihnen über 47 ihrer Praxispatienten im Durchschnittsalter von 89 Jahren. 25 nahmen Medikamente ein, die in die Kategorie „potenziell unangemessen“ fielen, 22 erhielten keine entsprechenden Präparate.
Ärzte fühlen sich durch die PRISCUS-Liste eingeschränkt
Von der PRISCUS-Liste hatte die Mehrheit der teilnehmenden Mediziner allerdings noch nie gehört. Diejenigen, die sie kannten, standen ihr mit gemischten Gefühlen gegenüber. Viele fühlten sich durch sie eingeschränkt und würden sich lieber eine weiße statt einer schwarzen Liste wünschen.
Unabhängig davon stimmten die Punkte, die Hausärzte zum Für und Wider eines Präparats heranzogen, durchaus oft mit denen von PRISCUS überein, z.B. Nierenfunktion oder kognitiver Status. Die Kollegen waren sich auch der Gefahren bewusst, wenn sie ein möglicherweise inadäquates Medikament einsetzten, und rechtfertigten das meist mit einer intensiven Überwachung.
Kollegen meinen: Fachärzten fehlt der geriatrische Blick
Polypharmazie galt für die Niedergelassenen als Hauptrisikofaktor in Sachen Sicherheit. Die meisten versuchten, die Zahl verschiedener Arzneien möglichst gering zu halten. Doch nicht nur hausarztbezogene Aspekte, sondern auch patienten- oder systembezogene beeinflussten das Verschreibungsverhalten und den Medikamentenstatus. So kannten die Befragten z.B. sehr wohl die Regel, Benzodiazepine und Z-Substanzen maximal vier Wochen einzusetzen. Einige umgingen das, indem sie Privatrezepte ausstellten – um die Dosis aufgrund der finanziellen Hürde gering zu halten.
Viele Allgemeinmediziner bemängelten das Vorgehen von Spezialisten und nennen als Beispiele die umfangreichen Medikationspläne nach Klinikentlassung und die mangelnde Information durch Fachärzte, wenn diese ein neues Präparat ansetzen. Ganz zu schweigen davon, dass vielen dieser Kollegen der „geriatrische Blick“ aufs Ganze fehle. Auch sehen die Befragten die Patienten in der Pflicht, über eingenommene OTC-Mittel und Facharztbesuche auf eigene Faust zu berichten.
Die Wissenschaftler konnten aus dieser Studie schon erste Schlüsse ziehen und haben einige Vorschläge, um die Lage zu verbessern. Demnach sollten nicht nur die Verordner verstärkt geschult, sondern auch Arzneimittel mit mehr Informationen für Patienten versehen werden. Zudem erscheint es sinnvoll, das gesamte medizinische und pharmazeutische Personal für die Problematik zu sensibilisieren.
Quelle: Pohontsch NJ et al. BMC Fam Pract 2017; 18: 22
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).