Prof. Dr. Sven Mahner über radikale Resektionen bei Vulvakarzinomen

Lara Sommer

Wann sollten Ärzt:innen den Verdacht Vulva­karzinom hegen? Wann sollten Ärzt:innen den Verdacht Vulva­karzinom hegen? © SENTELLO – stock.adobe.com

Wann sollten Ärzt:innen den Verdacht Vulva­karzinom hegen? Spielen zielgerichtete Medikamente bereits eine Rolle im klinischen Alltag? Berücksichtigen die aktualisierten ESGO-Empfehlungen den HPV-Status? Prof. Dr. Sven Mahner, LMU München, zu Grundprinzipien und Neuerungen bei Vulvatumoren.

Wie viele Menschen erkranken in Deutschland jährlich an Vulva­karzinomen?

Prof. Dr. Sven Mahner: Wir gehen von 4.000–4.500 Betroffenen im Jahr aus. Es gibt allerdings keine vollständig verlässlichen Zahlen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Krebserkrankungen zeigte sich hier in den vergangenen Jahren ein ­Aufwärtstrend.

Wann ist eine Biopsie indiziert und was müssen Behandelnde beachten?

Prof. Mahner: Man sollte immer eine Biopsie durchführen, wenn irgendeine Veränderung an der Haut vorliegt, die erstens nicht seit 20 Jahren besteht und zweitens nicht nach wenigen Wochen von allein verschwindet. Eines der Hauptprobleme von Vulvakarzinomen besteht darin, dass die Diagnose häufig sehr verzögert erfolgt. Eine Registeranalyse aus Deutschland belegt, dass im Schnitt 100–400 Tage vergehen zwischen dem ersten Praxisbesuch und der Diagnosestellung.

Gemäß der Leitlinie sollen Erkrankte an spezialisierte Zentren überwiesen werden. Wie finden Ärzt:innen qualifizierte Ansprechpartner:innen?

Prof. Mahner: Mediziner:innen sollten sich mindestens an ein zertifiziertes gynäkologisches Zentrum wenden. Aufgrund der Seltenheit des Vulvakarzinoms verfügen aber auch diese nicht immer über viel Erfahrung mit der Entität. Anders sieht es an Kliniken aus, wo zahlreiche Studien zu ­Vulvatumoren durchgeführt werden. Auch an den Autor:innen von Leitlinien und deren Arbeitsstätten können sich Kolleg:innen orientieren.

Gilt noch immer, dass eine möglichst vollständige Resektion die höchste Priorität haben sollte?

Prof. Mahner: Radikale Resektionen haben in den ersten Behandlungsschritten an Stellenwert eingebüßt. Wir wissen, dass lokal fortgeschrittene Vulvakarzinome sehr gut auf eine Bestrahlung oder eine Kombination aus Radiatio und Chemotherapie ansprechen können, sodass in den vergangenen Jahren häufig auch ein neoadjuvanter Ansatz Anwendung fand. Dadurch kann man den Tumor verkleinern und schonender operieren, oder teilweise sogar auf eine Resektion verzichten. 

Die Behandelnden müssen die Situation individuell betrachten und die Optionen abwägen. Generell besteht die Kunst eben auch darin, möglichst schonend den Tumor komplett zu resezieren. Weil manche Ärzt:innen leider weiterhin stets eine komplette Vulvektomie als notwendig erachten, werden viele Frauen unnötig verstümmelt. 

Welche Sicherheitsränder sollten bei einer kurativen OP eingehalten werden?

Prof. Mahner: Es handelt sich um eine wichtige Frage, die nicht abschließend geklärt ist. In der Vergangenheit geisterten Werte von 8–10 mm durch die Literatur. Diese würden zwangsläufig bedeuten, dass man fast immer eine komplette Vulvektomie durchführen muss. Sicher können wir sagen: Raus ist raus und das ist viel besser, als wenn irgendwo noch Tumorzellen am Rand sitzen. In Studien gab es aber keine ­Unterschiede im Hinblick darauf, ob 2 mm, 4 mm oder gar 10 mm ­Sicherheitsabstand eingehalten wurden. Um eine R0-Resektion ­sicherzustellen, braucht es trotzdem gute präoperative, intra­operative und pathologische Diagnostik sowie ­Erfahrung.

Bleibt im Falle positiver Resektionsränder eine Reexzision die erste Wahl?

Prof. Mahner: Ja, das ist stets besser als Bestrahlen. Eine R1-Resektion ist immer schlecht.

Wann kann eine Untersuchung der Sentinellymphknoten eine Lymph­­adenektomie ersetzen?

Prof. Mahner: In den meisten Fällen. Es gibt gewisse Voraussetzungen für den Tumor: Er muss weniger als 4 cm messen und sollte nur uni­fokal auftreten und nicht an drei Stellen der Vulva. Außerdem sollten die Lymphknoten klinisch und sonografisch unauffällig sein. Insbesondere das letzte Kriterium finde ich elementar in der klinischen Routine. 

Wie sollten Ärzt:innen vorgehen, wenn die Sentinellymphknoten befallen sind?

Prof. Mahner: Das hängt davon ab, ob eine oder beide Seiten befallen sind sowie der Größe der ­Filiae. Sind sie kleiner als 2 mm, kann man bei ansonsten unauffälligen Lymphknoten auf eine Lymph­adenektomie verzichten und nur die Leiste bestrahlen. Liegen größere Meta­stasen vor, entfernen wir die restlichen ­Inguinallymphknoten und empfehlen eine anschließende Radiatio und Chemotherapie.

Welchen Patient:innen bieten Sie eine adjuvante Behandlung an?

Prof. Mahner: Erkrankte mit R1-Resektion an der Vulva, bei denen keine Möglichkeit einer Nachresektion besteht, erhalten eine adjuvante Bestrahlung und Chemotherapie. Patient:innen, die Lymphknotenmetastasen aufweisen, behandeln wir ebenfalls adjuvant. 

Worin besteht die bevorzugte systemische Therapie bei meta­stasierter oder ausgebreiteter rekurrenter Erkrankung?

Prof. Mahner: Für diese Situation ist kein Medikament zugelassen. Hinsichtlich Chemotherapien exis­tieren am meisten Daten zu Platin­derivaten, allein oder in Kombination mit Tax­anen. Zudem gibt es auch Studien zu ­EGFR-gerichteten Therapien, die jedoch nicht überzeugt haben. Aus Mangel an Alternativen haben wir manchmal Patient:innen damit behandelt – teilweise mit ­Erfolg.

In jüngster Zeit kamen Immuntherapien hinzu, die nicht bei allen Erkrankten wirken, aber teilweise fantastische Ergebnisse erzielen. Viele unserer Patient:innen mit Metastasen erhalten heutzutage diese Medikamente. Einige Ärzt:innen nutzen auch Cemiplimab, das für Plattenepithelkarzinome der Haut zugelassen ist.

Beeinflusst der HPV-Status des ­Malignoms die Behandlungs­entscheidung?

Prof. Mahner: In Expert:innenhand hilft die Information ein bisschen, die Therapie zu manövrieren. Bestrahlt man oder führt man eine Radiochemotherapie durch? Wie erfolgt die Nachsorge? Wie hoch ist das Risiko für ein Rezidiv? Derzeit können wir allerdings keine Leitlinien oder Empfehlungen auf Grundlage des HPV-Status formulieren. Aber das ändert sich bestimmt, wie bereits bei Kopf-Hals-Tumoren. 

Haben Sie noch weitere Ratschläge für betreuende Mediziner:innen?

Prof. Mahner: Auch betagte Erkrankte müssen ausreichend gut versorgt werden. Ärzt:innen sollten sich nicht allein aufgrund des Alters gegen eine Therapie entscheiden. Ebenso wichtig ist, im Rahmen der Tumor­chirurgie plastische Rekonstruktionen durchzuführen. Und auch das hat eine 80-Jährige genauso verdient wie eine 18-Jährige.

Quelle: Interview

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Wann sollten Ärzt:innen den Verdacht Vulva­karzinom hegen? Wann sollten Ärzt:innen den Verdacht Vulva­karzinom hegen? © SENTELLO – stock.adobe.com
Bei diesem frühen Plattenepithelkarzinom der Vulva können die Behandelnden auf eine vollständige Vulvektomie verzichten. Bei diesem frühen Plattenepithelkarzinom der Vulva können die Behandelnden auf eine vollständige Vulvektomie verzichten. © Prof. Dr. Sven Mahner
Gegen lokal fortgeschrittene Vulvakarzinome kommen mittlerweile auch neoadjuvante Therapien zum Einsatz. Gegen lokal fortgeschrittene Vulvakarzinome kommen mittlerweile auch neoadjuvante Therapien zum Einsatz. © Prof. Dr. Sven Mahner