
Reizdarmsyndrom - Von Dysmotilität bis Serotonin
Mittlerweile sind zahlreiche Faktoren bekannt, die bei der Entstehung des Reizdarmsyndroms eine Rolle spielen und die Symptomatik erklären. Sie reichen von sozialen Gegebenheiten über Veränderungen der zentralnervösen Schmerz- und Sensorikverarbeitung bis hin zu immunologischen Reaktionen und genetischer Disposition. Auf dem Internistenkongress stellte Professor Dr. Hubert Mönnikes von der Abteilung für Innere Medizin am Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin den aktuellen Wissensstand zum Reizdarmsyndrom vor.
• Faktor Dysmotilität
In zahlreichen Studien ist gezeigt worden, dass bei Patienten mit Reizdarmsyndrom eine Dysmotilität vorliegt. Bei Diarrhö-prädominantem Reizdarm ist sowohl die motorische Aktivität, insbesondere des Kolons, als auch der Tonus des Dickdarms gesteigert. Leiden Patienten vor allem unter Obstipation, findet man dagegen eine Abnahme der motorischen Kolonaktivität, der gastrokolische Reflex ist verringert.
• Faktoren Hypersensitivität und Hypervigilanz
Die Sensitivität ist bei Reizdarmpatienten im Sinne einer Übererregbarkeit verändert. Bei identischer Intensität eines Stimulus geben die Kranken viel häufiger Schmerzen an als gesunde Kontrollen. Ursache dafür können sowohl Veränderungen der sensorischen Nervenzellen im Kolon sein als auch Veränderungen auf Rückenmark- oder ZNS-Ebene.
Bei Reizdarmpatienten werden andere Hirnregionen aktiviert als bei Gesunden
Man konnte nachweisen, dass Gesunde auf einen Darmreiz vermehrt mit der Aktivierung von Hirnregionen reagieren, die Schmerz und Wahrnehmung hemmen. Bei Reizdarmpatienten werden dagegen vermehrt Regionen im Gehirn aktiviert, die bei der Verarbeitung von Emotionen und der Steuerung der Aufmerksamkeit eine Rolle spielen. Selbst wenn Betroffene einen Darmreiz nur erwarten, zeigen sich solche Reaktionen. Dies spricht dafür, dass bei ihnen eine Hypervigilanz vorliegt, die zusammen mit höherer Schmerzempfindlichkeit, gesteigerter Aufmerksamkeit und stärkerem Schmerzerleben einen positiven Feedback-Mechanismus unterhält.
• Faktor Mikro-Inflammation
Bei vielen Reizdarmpatienten konnte man Veränderungen im Sinne einer Mikro-Inflammation nachweisen, z.B. eine höhere Rate von sensorischen Nervenfasern im Kolon, die u.a. auf Capsaicin reagieren. Wie es zu der Entzündungsaktivität kommt, ist weitgehend unbekannt. Ausnahmen sind Patienten, die nach einer Gastroenteritis ein postinfektiöses Reizdarmsyndrom entwickeln.
• Faktor Serotonin
Ein wichtiger Botenstoff im Verdauungstrakt, der eine Rolle bei der Regulation von Motorik und Sekretion, aber auch in der Vermittlung sensorischer Informationen von der Peripherie zum ZNS spielt, ist Serotonin. Es wird insbesondere aus den entero-chromaffinen Zellen freigesetzt und durch die Wiederaufnahme in die Enterozyten über den 5-HT-Transporter inaktiviert.
Gestörter Serotonin-Transport im Darm und im Gehirn?
Bei Reizdarmpatienten scheint das Serotoninsystem gestört. So weisen Betroffene mit Diarrhö-prädominantem Reizdarm postprandial erhöhte Serotoninspiegel auf, in ihren Thrombozyten ist die 5-HT-Konzentration erniedrigt. Genau umgekehrt ist es bei Patienten mit Obstipations-prädominantem Reizdarm. Man kann also propagieren, dass ein Transportproblem des Serotonins im Verdauungstrakt und möglicherweise auch im ZNS vorliegt, meinte Prof. Mönnikes.
• Faktor genetische Disposition
Bestimmte genetische Faktoren disponieren zu den Veränderungen im Serotoninstoffwechsel. Man weiß aus Studien, dass es funktionelle Polymorphismen des Serotoninrezeptors gibt, die das Risiko für den Reizdarm um den Faktor 10 bis 30 erhöhen, berichtete der Kollege.
• Faktor Stress
60 % der Frauen und 40 % der Männer berichten, dass sie einen Zusammenhang zwischen ihren Beschwerden und Stress sehen. Auch bei Gesunden hat Stress direkte Effekte auf Motilität und Sensitivität im Verdauungstrakt. Die Magenentleerung wird gehemmt, die Stuhlfrequenz erhöht und die Sensitivität gesteigert. Vermittelt werden diese Effekte wiederum über Serotonin und das Mastzellprodukt Histamin.
Experten gehen davon aus, dass die stressbedingte Freisetzung der Botenstoffe zu einem Barrieredefekt im Darm führt. Dadurch werden vermehrt immunogene Substanzen aus dem Lumen aufgenommen, die für eine Mikro-Inflammation sorgen. Man spricht sogar von einer neuroimmunen ZNS-Mastzell-Achse, berichtete Prof. Mönnikes. Ein Reizdarmpatient muss aber nicht vermehrt Stress haben. Sein Darm reagiert nur stärker auf Belastungen, weil z.B. mehr Mastzellen im Darm vorhanden sind.
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