Reizdarmsyndrom: Barbaren in Rom

Dr. Anja Braunwarth

Konsensuskriterien zum Reizdarm bereiten manchen Experten Bauchschmerzen. Konsensuskriterien zum Reizdarm bereiten manchen Experten Bauchschmerzen. © fotolia/Wellnhofer Designs

35 Jahre Forschung mit einer Fülle von Publikationen und wofür? Immer noch weiß keiner so genau, was es mit dem Reizdarmsyndrom auf sich hat und was am besten dagegen hilft. Drei Experten reden sich den Frust darüber von der Seele.

Professor Dr. Paul Enck aus Tübingen*, Professor Dr. Thomas Frieling­ aus Krefeld** und Professor Dr. Michael­ Schemann aus München*** zählen zu den Prominenten unter den deutschen Neurogastroenterologen. In ihrer Publikation wollen sie gar nicht abstreiten, dass es das Reizdarmsyndrom (RDS) gibt. Was ihnen aber Bauchschmerzen bereitet, ist der wissenschaftliche Umgang damit. Denn der führt dazu, dass es weiter an vernünftiger Definiton, Diagnostik und Therapie mangelt. Dabei nehmen die Fachmänner sich selbst nicht aus.

„Den Hausarzt interessiert Rom herzlich wenig“

„Funktionelle Magen-Darm-Störungen“ dürften wohl schon immer existieren und Namen gab es auch einige dafür, z.B. irritables Kolon oder nervöser Darm. Doch ab etwa 1990 schickten sich laut den Autoren „selbsternannte Experten“ an, die Kennzeichen dafür zu standardisieren. Ihr Treffpunkt war und blieb Rom und so wurde aus ihnen die Rom-Konsensus-Kommission mit den Rom-Kriterien. Das Ergebnis Stand heute: Fünf Auflagen, 32 verschiedene funktionelle Erkrankungen. „Die Barbaren sind nicht vor den Toren Roms, sondern bereits drinnen“, so der Kommentar von Prof. Enck und Kollegen.

Die Problematik zeigt sich schon bei der Inzidenz. 50 Fragen des Rome-Modular-Questionnaire muss man beantworten, um die Häufigkeit des RDS zu ermitteln. Und die Zahl der Erkrankten schwankte mit jeder Weiterentwicklung der Kriterien erheblich. Noch während die Patienten in den Wartezimmern auf Therapien warten, hätten sie die Diagnose bereits wieder verloren, moniert das Trio.

Wann wird aus Beschwerden eine Krankheit?

Leidet ein Drittel einer Bevölkerung unter bestimmten Beschwerden, stellt sich die Frage, ob es sich um eine Krankheit oder die Auswirkungen von Verhaltensweisen handelt. Beispiel Übergewicht: Die halbe USA ist zu dick und es droht eine Vielzahl medizinischer Folgeprobleme. Damit wird die Adipositas aber nicht per se zur Krankheit. Und so kann ein RDS aus dem Bündnis der Verhaltensweisen bei Ernährung, Stuhlgang und allgemeiner Gesundheit mit dem Anspruch an die medizinische Betreuung entstehen. Damit entwickelt sich aus einer Befindlichkeitsstörung eine Krankheit epidemischen Ausmaßes. Das Ganze wird dann noch gefördert, weil die Sache einen Namen bekommt, man unterschiedliche Pathophysiologien unter den Tisch fallen lässt und den Betroffenen weismacht, es gäbe für alle eine wirksame Therapie.

Nächster Kritikpunkt: das biopsychosoziale Modell der Erkrankung. Gerne wird über diffuse psychologische Konstrukte diskutiert, die Bio­logie bleibt aber oft auf der Strecke. Dabei liegen somatische Ursachen, z.B. Infektionen, doch viel näher als eine universelle psychische Störung.

In der Praxis landen die Patienten in erster Linie beim Allgemeinmediziner und nicht beim Gastroenterologen. Und den interessieren Rom und seine Ergüsse herzlich wenig. Er schließt relevante organische Krankheiten aus (zu denen er das RDS übrigens selten zählt) und behandelt pragmatisch und symptomorientiert.

Besser auf Frust einstellen, statt Hoffnung zu machen

Pharmakologisch verliefen bislang ohnehin alle Ansätze enttäuschend. Kleine Medikamentenwirkungen bei großen Placeboeffekten: So lassen sich die Entwicklungen zusammenfassen. Einen Blockbuster darf man wahrlich nicht erwarten, es handelt sich eben nicht um eine einheitliche Krankheitsentität.

In den 1980er-Jahren waren sich Prof. Frieling und Prof. Enck sicher, die Auflösung des Rätsels RDS noch zu erleben. Die Hoffnung trog und so bleibt ihnen heute nicht viel, außer die Nachfolgenden auf den kommenden Frust vorzubereiten.

* Innere Medizin VI am Universitätsklinikum
** Medizinische Klinik II am Helios Klinikum
*** Lehrstuhl für Humanbiologie der Technischen Universität
Quelle: Enck P et al. Z Gastroenterol 2017; 55: 679-684

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