Reizdarmsyndrom: Blähungen mehr Beachtung schenken!

Dr. Anja Braunwarth

Krampfartige, dumpfe Bauchschmerzen – so beschreiben viele Patienten mit Reizdarmsyndrom ihre Beschwerden. 
Krampfartige, dumpfe Bauchschmerzen – so beschreiben viele Patienten mit Reizdarmsyndrom ihre Beschwerden. © thinkstock

Flatulenzen haben sich beim Reizdarmsyndrom als das Schlüsselsymptom herauskristallisiert. Die Tage, an denen man die Stuhlfrequenz bestimmt hat, sind derweil gezählt, betont ein Experte und präsentiert aktuelle Erkenntnisse zu einem der meist beackerten Felder der Medizin.

Vieles liegt in puncto Pathogenese des Reizdarmsyndroms (RDS) noch im Dunkeln, doch als gesichert gilt die kausale Rolle von Infektionen. Bekannt ist in diesem Zusammenhang vor allem Camplyo­bacter, jetzt rückt zunehmend Clostridium difficile in den Blickpunkt.

Konsistenz ist die neue Frequenz

Ein Vergleich von 891 Menschen mit durchgemachter Clostridien-Kolitis und 3231 Kontrollen ergab ein mehr als sechsfach gesteigertes Risiko für ein RDS nach der Infektion, berichtete Professor Dr. Peter Layer von der Medizinischen Klinik am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg.

Hinsichtlich der Symptomatik des RDS erfahren Blähungen unter Experten viel zu wenig Beachtung, so Prof. Layer. Nun beschäftigen sich Forscher mit der Bedeutung der Flatulenz. Eine multizentrische Studie evaluierte 2203 Patienten mit obstipationsbetontem RDS und fand Blähungen mit einer Prävalenz von 92 %. Sie erwiesen sich als Schlüsselsymptom, das alle relevanten Parameter der Lebensqualität hochsignifikant negativ dominierte. Umgekehrt führte eine erfolgreiche Therapie der Windabgänge zur stärksten Besserung des Befindens.

Darmhypnose, Yoga-Interventionen und Akupunktur unter der Lupe

  • Die vor allem in Großbritannien sehr populäre Hypnotherapie – eine Hypnose für den Darm – erwies sich in einer prospektiven Studie an 74 Patienten gegenüber Low-FODMAP oder in Kombination damit über sechs Wochen als gleichwertig. Alle drei Maßnahmen besserten die Symptome um etwa 70 % und nach der Einzelanwendung hielten die Effekte in dieser Größenordnung auch über ein halbes Jahr an.
  • Eine Metaanalyse aus sechs randomisierten Untersuchungen mit 273 Patienten fand günstige Effekte einer systematischen Yoga-Intervention auf Symptomschwere und Angst, die Lebensqualität nahm zu.
  • Die traditionelle Akupunktur führte gegenüber einer Schein-Nadelung bei 1075 Patienten mit schwerer Obstipation zu einer stärkeren Besserung (Ansprechrate 31 vs. 12 % über acht Wochen). Allerdings gab Prof. Layer zu bedenken, dass nur Chinesen teilnahmen und man nicht weiß, ob sich die Ergebnisse in einer westlichen Population reproduzieren ließen.
  • Schließlich sollte der allgemeine Lebensstil nicht vergessen werden. Ein regelmäßiger Tagesrhythmus mit festen Mahlzeiten plus ausreichend Bewegung und genügend Schlaf wirken in jedem Fall protekiv oder adjuvant therapeutisch beim RDS.
Durchfall wurde lange über die Frequenz definiert. Das ist passé, heute zählt die Konsistenz. Ihrer Erfassung dient häufig die „Bristol Stool Form Scale“­. Ob die Skala auch objektiv was taugt, untersuchte man nun in einer prospektiven Studie an 169 gesunden Freiwilligen und 19 Patienten mit diarrhöbetontem RDS. 86 Laien klassifizierten die insgesamt 1204 Stuhlproben anhand der Stuhlskala, die „seriöse“ Beurteilung erfolgte über Messung des Stuhlwassergehaltes. Dabei fand sich eine hervorragende Übereinstimung: 81 % waren von den Laien korrekt befundet worden. Im Rahmen der Abklärung darf man mögliche Differenzialdiagnosen nicht vergessen, allen voran die Sprue. In einem Vergleich von 400 Reizdarm-Patienten mit genauso vielen asymptomatischen Kontrollen hatten 5,3 % der Kranken, aber nur 1,5 % der Gesunden Antikörper gegen Transglutaminase. Eine Zottenatrophie fand sich histologisch bei 2,5 % der vermeintlichen Reizdarm-Betroffenen. Eine Metaanalyse mit rund 15 000 Teilnehmern bestätigte diese Daten. „Irgendwann im Verlauf muss man die Sprue auf jeden Fall ausschließen“, fasste Prof. Layer die Ergebnisse zusammen. Infrage kommt auch eine chologene Diarrhö, die zumindest „mitveranwortlich“ für das diarrhö­betonte RDS sein kann. „Hatte der Patient eine Ileumresektion, können Sie eigentlich Gift darauf nehmen, dass sein Durchfall chologener Natur ist“, betonte der Referent. In zwei Metaanalysen zeigten sich signifikante Symptom­über­lappungen zur mikroskopischen Kolitis. Bis zu 10 % der scheinbar typischen Reizdarmpatienten litten in Wirklichkeit unter der mikroskopischen Entzündung.

Diäten könnten eine Renaissance erleben

Die Abklärung hat deshalb so große Bedeutung, weil sich letztere einfach und effektiv therapiereren lässt. „Da geben Sie Budesonid und weg ist das Problem“, so Prof. Layer. Aus diesem Grund gehört bei prädominanter Diarrhö die Koloskopie mit Stufenbiopsien – auch bei endoskopischem Normalbefund – zur obligaten Primärdiagnostik. Schließlich können die Beschwerden in manchen Fällen einfach eine Medikamentennebenwirkung sein. Französische Kollegen identifizierten unter rund 4,5 Millionen Patienten, die AT1-Rezeptorblocker oder ACE-Hemmer einnahmen, 218 Fälle einer schweren intestinalen Malabsorption unter Olmesartan. Keine Gefahr bestand bei einer Behandlungszeit unter einem Jahr, im Bereich von ein bis zwei Jahren stieg das relative Risiko auf 3,7 und bei noch längerer Anwendung auf 10,7. Was die Therapie angeht, könnten Diäten eine Renaissance erleben. Eine glutenfreie Kost führte bei 71 % von 41 Patienten mit diarrhödominantem RDS zu einem signifikanten Rückgang der Symptomschwere. 72 % davon setzten die Diät fort und blieben beschwerdefrei. Man vermutet, dass Gluten bei einem gewissen Prozentsatz der Betroffenen die Barriere reizt und die Abstinenz diese Störung wieder moduliert.

Diagnose über Gas-Analyse

Den Reizdarm sicher erkennen und gegen chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) abgrenzen: Das wäre ein echter Fortschritt. Ein Proof-of concept-Experiment weckt diesbezüglich Hoffnungen. 41 Gesunde, 28 Patienten mit RDS und 83 mit CED unterzogen sich darin fäkalen Darmgasanalysen. Die Geräte kombinierten gaschromatographische Techniken in Kopplung mit einem Metalloxid-Gassensor und konnten Moleküle separieren. Tatsächlich gelang es damit, ein RDS gegenüber Gesunden mit einer Treffsicherheit von 78 % zu identifizieren, CED und RDS-Kranke ließen sich zu 87 % unterscheiden.
Dass Low-FODMAP* beim Reizdarm günstig wirkt, belegten schon zahlreiche Untersuchungen. „Das hält aber auf Dauer kein Mensch aus“, so Prof. Layer. Ein Langzeit-Follow-up lässt nun hoffen: Von 180 Patienten (131 mit RDS) lockerten 84 % die strenge Kostform im Verlauf. Trotzdem blieb etwa ein Drittel weitgehend beschwerdefrei, mehr als die Hälfte berichtete zumindest über eine anhaltende Linderung. „Man kann Low-FODMAP also quasi als Bolusdiät über sechs bis acht Wochen einsetzen“, meinte der Kollege.

Probiotika wirken eher bei vorherrschender Obstipation

Für Probiotika gab es bislang nicht viel Evidenz. Zwei randomisierte Studien nahmen nun Saccharomyces unter die Lupe, das seit Langem bei akutem Durchfall eingesetzt wird und eine gewisse Wirksamkeit entfaltet. In der ersten Untersuchung mit 179 Patienten besserte das Probiotikum über acht Wochen die Schmerzen stärker als Placebo, an Stuhlfrequenz oder -konsistenz änderte sich nichts. Die zweite Studie mit 379 Kranken ergab ebenfalls eine signifikante Besserung der gastrointestinalen Symptome. Erstaunlicherweise machten sich aber die Effekte eher bei Obstipations-Prädominanz bemerkbar und nicht bei Durchfall-Geplagten. * Fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole

25. Gastroenterologie-Update-Seminar Wiesbaden

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Krampfartige, dumpfe Bauchschmerzen – so beschreiben viele Patienten mit Reizdarmsyndrom ihre Beschwerden. 
Krampfartige, dumpfe Bauchschmerzen – so beschreiben viele Patienten mit Reizdarmsyndrom ihre Beschwerden. © thinkstock