Schienbeinmuskel hinüber: Chirurgischer Assistenzarzt hielt Kompartmentsyndrom für Rheuma
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retten können."
Mit Druckschmerz und leichter Schwellung im Bereich der Tibialis anterior-Loge kam der Mann nach dem Sport in die Notfallambulanz marschiert. Nach klinischer und röntgenologischer Untersuchung erhielt er dort die Diagnose „Überlastung“ und wurde, versorgt mit Analgetikum und Salbenverband, nach Hause geschickt. In der Nacht erschien der Patient erneut.
Das Schmerzmittel wirkte nicht, der Unterschenkel hatte deutlich an Umfang zugenommen und es bestand Spannungsgefühl. Der Pulsstatus war allerdings unauffällig, die Dopplersonographie ergab durchlässige arterielle Gefäße. Der diensthabende Internist einigte sich mit dem ebenfalls anwesenden angehenden Chirurgen auf ein „rheumatisches Geschehen“ und empfahl eine Konsultation bei der Hausärztin.
Über klassische Symptome hinweggesehen
Und die reagierte am Folgetag sofort, nachdem sich auch noch eine Fußheberschwäche entwickelt hatte. Das nun offensichtliche Kompartmentsyndrom wurde sofort operativ versorgt, weitere Eingriffe mit Entfernung des abgestorbenen Tibialis anterior-Muskels folgten. Der Fall landete bei der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern.
Der geschilderte Symptomverlauf ist geradezu klassisch für ein Kompartmentsyndrom, schreibt der hinzugezogene Gutachter. Die dokumentierten Untersuchungen zeigten auch, dass man zumindest daran gedacht hatte. Die Diagnose „Rheuma“ dagegen sei bei fehlendem Erfolg von Analgetika und rasch zunehmender Schwellung nach sportlicher Betätigung nicht vertretbar. Der Patient hätte auf jeden Fall spätestens zu diesem Zeitpunkt stationär aufgenommen und bei weiterer Unsicherheit einem unfallchirurgischen Facharzt vorgestellt werden müssen. Die anschließende chirurgische Versorgung des dann bereits komplizierten Falls verlief dagegen aus Beurteilersicht ordnungsgemäß.
Die Schlichtungsstelle schließt sich der Meinung des Gutachters an und attestiert einen vermeidbaren Diagnosefehler der Notfallambulanz – und zwar des hinzugezogenen chirurgischen Assistenzarztes. Ein fehlerhaftes Handeln des internistischen Notdienstarztes war nicht erkennbar, da dieser nicht genügend Fachkompetenz zur Beurteilung eines Kompartmentsyndroms besitzt. Er musste sich auf die Einschätzung des Chir-urgen in Ausbildung verlassen. Und der hätte im Zweifel den Rat eines Facharztes einholen müssen.
Quelle: Schauwecker HH et al. Niedersächsisches Ärzteblatt 5/2017; 32-34
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