Schmerzen wegtanzen

Dr. Nils Bröckelmann

In Deutschland leiden knapp drei Millionen Menschen unter Fibromyalgie. In Deutschland leiden knapp drei Millionen Menschen unter Fibromyalgie. © amenic181 - stock.adobe.com

Erschöpfung, Schlafstörungen und vor allem chronische, generalisierte Schmerzen: Die Fibromyalgie macht den Betroffenen das Leben richtig schwer. Auch die Therapie hat es in sich. Denn eine Analgesie nach WHO-Stufenschema bringt rein gar nichts. Stattdessen hilft ein multimodales Konzept mit viel Bewegung.

Knapp drei Millionen Menschen leiden in Deutschland unter Fibromyalgie, schreibt Dr. Andreas Winkelmann von der Tagesklinik für Fibromyalgie und Physikalische und Rehabilitative Medizin in München. Stand heute ist der Ursprung der Erkrankung nach wie vor nicht gut verstanden. Bei einer Reihe von Begleiterscheinungen wie einer veränderten Schmerzwahrnehmung im Gehirn kann nicht sicher zwischen Ursache und Wirkung unterschieden werden. Ähnliches gilt für die unspezifische Erhöhung von Zytokinen als möglicher Hinweis auf eine inflammatorische Komponente.

Mehr weiß man über Risikofaktoren. Derer gibt es zahlreiche für die Fibromyalgie. Dazu gehören 

  • entzündlich-rheumatische Erkrankungen, vor allem die rheumatoide Arthritis,
  • Genpolymorphismen des 5HT2-Rezeptors,
  • Vitamin D-Mangel,
  • Lebensstilfaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel und
  • psychische Faktoren (Misshandlung, sexuelle Gewalt, Depressionen).

Hinweise auf eine Fibromyalgie können chronische Schmerzen in mehreren Körperregionen sein, für die es keine spezifische Ursache gibt. Nach gründlichem Ausschluss möglicher Differenzialdiagnosen helfen spezielle Fragebogen weiter, z.B. der FMS-Beschwerdefragebogen nach den Kriterien des ACR* sowie der PHQ-4** zur Erfassung von Aktivitätseinschränkung, Depression und Suizidalität.

Für viele Patienten ist die Diagnosestellung, also die Benennung ihrer Erkrankung, der erste Schritt zu einer besseren Lebensqualität. Denn die meisten blicken auf eine mehrjährige Ärzte-Odyssee zurück – im Schnitt vergehen sechs Jahre, bis die Fibromyalgie erkannt wird. Die Therapie richtet sich nach dem individuellen Krankheitsbild des Patienten. Wichtigste Therapiesäule ist regelmäßige Bewegung. Mindestens zwei- bis dreimal pro Woche stehen 30 Minuten Ausdauertraining an, geeignet sind schnelles Spazierengehen, Radfahren, Ergometertraining oder Tanzen. Wasser- und Trockengymnastik inklusive Dehnübungen sowie Funktions- und Krafttraining sollten ebenfalls regelmäßig mehrmals pro Woche betrieben werden.  Auch physikalische Anwendungen wie Wärmetherapie sind mitunter hilfreich.

So plagt die Fibromyalgie

Bei den Kriterien zur Fibromyalgie werden drei Beschwerdekomplexe abgefragt: 

I. Muskuläre Symptome und Schmerzen in verschiedenen Körperregionen (Auswahl)

  • z.B. Kiefer, Arme
  • Schultern, Hüfte, Beine
  • Nacken, Rücken, Brustkorb 

II. Schlafstörungen und Tagesmüdigkeit

  • Qualitative Erfassung und Erfassung Häufigkeit
  • Symptome: Nicht-erholsamer Schlaf, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen

III. Weitere Symptome 

  • Depressionen
  • Kopfschmerzen 
  • Unterbauchschmerzen und -krämpfe

Die FMS ist keine psychiatrische Erkrankung. Laut Dr. Winkelmann ist eine Psychotherapie oder Verhaltenstherapie in der Regel nur dann empfohlen, wenn psychische Risikofaktoren für eine Chronifizierung erkennbar sind oder die  Beschwerden im Zusammenhang mit Alltagsstress oder interpersonellen Konflikte auftreten.

Die medikamentöse Therapie der Schmerzen unterscheidet sich von dem Vorgehen bei anderen Schmerzsyndromen und folgt nicht dem klassischen WHO-Stufenschema. Opioide und NSAR sind beispielsweise nicht empfohlen – Letztere können jedoch wie Glukokortikoide eine Option sein, wenn entzündliche Begleiterkrankungen vorliegen. Paracetamol oder Metamizol können zeitlich befristet erwogen werden, um Schmerzen zu lindern und eine Bewegungstherapie zu starten.

Amitriptylin setzt man bei Schlafstörungen, chronischen Schmerzen oder Depressionen ein. Zu beachten sind die Nebenwirkungen wie anticholinerge Effekte oder eine Gewichtszunahme. Bei generalisierter Angst kommen Pregabalin und Duloxetin infrage, letzteres auch bei komorbider Depression. Die Indikation sollte nach einigen Wochen bis Monaten geprüft werden. Zugelassen zur Behandlung der Fibromyalgie ist in Deutschland keiner der drei genannten Wirkstoffe.
Nicht empfohlen bei Fibromyalgie sind unter anderem Magnetfeldtherapie, hyperbare Sauerstofftherapie, Chirotherapie, Kältekammern oder Massagen.

Dr. Winkelmann bewertet in seiner Arbeit aktuelle Literatur, die in der S3-Leitlinie Fibromyalgie von 2017 noch nicht berücksichtigt wurde. So haben Komplementärmedizinische Verfahren wie Yoga oder Tai Chi (die teils vorher schon empfohlen waren) eine besonders förderliche Wirkung auf die Lebensqualität. Mit sensomotorischem Training, zum Beispiel mit Tanzen, ließ sich in Studien die deutlichste Schmerzreduktion erreichen.

*American College of Rheumatology
**Patient Health Questionnaire-4

Quelle: Winkelmann A. Orthop Rheuma 2024; 27: 40-52; doi: 10.1007/s15002-024-4808-6; www.springermedizin.de/fibromyalgiesyndrom/chronisches-schmerzsyndrom/fibromyalgiesyndrom-update-2024/27003218

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In Deutschland leiden knapp drei Millionen Menschen unter Fibromyalgie. In Deutschland leiden knapp drei Millionen Menschen unter Fibromyalgie. © amenic181 - stock.adobe.com